Wintersemester 2016/2017

Herbert Kopfer, Universität Bremen, Logistik

Abstract

Die Analyse und Modellierung von Entscheidungsproblemen aus Produktionswirtschaft und Logistik führen in der Regel zu hochkomplexen Optimierungsproblemen, die aufgrund von zahlreich auftretenden Ganzzahligkeits-Bedingungen sehr schwer zu lösen sind. Zumeist ist eine exakte Lösung derartiger Probleme mit exakt optimierenden mathematischen Verfahren nur für kleine oder sehr kleine Probleminstanzen möglich. Daher kommen vielfach Heuristische Verfahren zum Einsatz, mit denen "suboptimale" Lösungen generiert werden. Das Adjektiv "suboptimal" ist in diesem Zusammenhang im Gegensatz zum umgangssprachlichen Gebrauch des Wortes keine abgeschwächte Umschreibung des Adjektivs "schlecht", sondern es bedeutet hier "so gut wie möglich, jedoch ohne die Forderung eines Nachweises, dass es keine noch bessere Lösung gibt". Methoden zur Entwicklung von Heuristiken stammen hauptsächlich aus den Wissenschaftsdisziplinen "Operations Research" und "Künstliche Intelligenz". Es gibt außerdem eine Fülle von heuristischen Ansätzen, die auf einer Abwandlung exakter mathematischer Verfahren beruhen. In letzter Zeit haben sich sogenannte Matheuristiken, die aus einer Kombination von exakten Optimierungsverfahren und Heuristiken bestehen, als sehr erfolgreich erwiesen.

In dem Vortrag werden typische Entscheidungsprobleme aus Produktionswirtschaft und Logistik aufgezeigt, und es werden ausgewählte Lösungsansätze diskutiert, um erfolgreiche Strategien zur Suche nach vielversprechenden Entscheidungen zu identifizieren.

Adele Diedrich, Jacobs University, Life Sciences & Chemistry

Abstract

Psychologische Theorien des Entscheidens befassen sich damit, wie Personen sich tatsächlich entscheiden und nicht, wie sie sich entscheiden sollten. Ein Beispiel ist die Prospect Theory (PT), die Risikoeinstellungen des Entscheiders in Abhängigkeit vom erwarteten Gewinn oder Verlust erklärt und somit verschiedene Framing-Effekte beschreiben kann. PT jedoch ist deterministisch und statisch und kann weder die beobachtbaren Fluktuationen beim Entscheiden erklären noch Effekte, die unter Zeitdruck entstehen. Das hier vorgestellte Modell verbindet verschiedene theoretische Ansätze, - PT, Dual Process Model, Decision Field Theory (DFT), MultiAttribute Attention Switching (MAAS) Model - um das Entscheidungsverhalten in einer Vielzahl von Wahlsituationen zu erklären.

Stefan Bornholdt, Universität BremenInstitut für Theoretische Physik

Abstract

Ein Börsencrash, ein Stau aus dem Nichts, ein überraschender Wahlausgang: Das kollektive Verhalten von Menschen hat gelegentlich abrupte Folgen, ohne dass es dafür naheliegende Erklärungen gäbe. Gibt es Mechanismen kollektiver Dynamik, die in großen Systemen auftreten können? In der Tat sind ähnliche Prozesse in der Physik bekannt, wie zum Beispiel Lawinenphänomene oder sogenannte Phasenübergänge (wenn z.B. Wasser beim Siedenplötzlich seinen Zustand ändert). Aus der Neugier, physikalische Methoden auf kollektives menschliches Verhalten anzuwenden, sind in den letzten Jahren die neuen Forschungsrichtungen Econophysics und Soziophysik entstanden, die die komplexe Dynamik von Märkten und sozialer Systeme aus dieser ungewohnten Perspektive betrachten. Ich werde in diesem Vortrag an einigen Beispielen illustrieren, wie physikalische Ansätze zum Verständnis kollektiver Dynamik beitragen können, von Lawinenmodellen für Finanzmärkte bis hin zu Magnetmodellen der Meinungsbildung.

Wolfram Elsner, Universität Bremen, Institut für Institutionelle Ökonomik und Innovationsökonomik

Abstract

Der neoklassischen Mainstream Ökonomik liegt i.W. ein einfaches Modell „rationaler“ Entscheidung eines isolierten repräsentativen Akteurs zugrunde, der bei vollständiger Information über alle gegenwärtigen und zukünftigen Gleichgewichtspreise eine vollständig definierte Zielfunktion (Präferenz-/Profitfunktion) unter (Budget-)Restriktionen maximiert. Auch die Standard-Spieltheorie geht zunächst in 2x2-Spielen von analytisch lösbaren Problemen aus, denen Maximierungskalküle zugrunde liegen. Strategische Unsicherheit im Sinne von imperfekten Informationen (über die Entscheidungen der anderen) kann ggf. noch über Rationalitäts-(Maximierungs-)Kalküle, Lernen unter Wiederholungen (Superspiele) sowie stochastische Strategien (gemischte Strategien) bewältigt werden. Wenn jedoch realistischer Weise Populationen mit vielen und heterogenen Akteurstypen (Strategien) angenommen werden müssen, werden die Grundlagen für eine globale Informationsausstattung und globale Rationalität dünner, und wir verlassen den Bereich der mainstreamigen neoklassischen Annahmen und entsprechenden Modellierens. Akteure können die Zahl der Entscheidungsalternativen und möglichen optimalen Strategien i.d.R. nicht mehr global analytisch bestimmen, verfügen nur noch über lokales Wissen (können nur noch lokal optimieren) und müssen zum Zweck der Komplexitätsreduktion typischerweise zu regelbasiertem und institutionalisiertem Verhalten, zu Such- und Imitationsstrategien (Heuristik des „Satisficing“ statt „Maximizing“) übergehen. Systemprozesse werden dann sinnvollerweise als evolutorische, mit expliziten Replikatormechanismen konzipiert und analysiert werden. Wenn zudem Formen von Partner-Selektion, „preferential mixing“ bzw. „preferential attachment“ möglich sind, kommt es zu komplexem, oft schwer prognostizierbarem Systemverhalten mit empirisch-statischen Eigenschaften (z.B. heavy-tail Verteilungen), die auf vielfältige Formen von Selbstorganisation deuten. Und insbesondere wenn Topologien (genauer: Netzwerkstrukturen) angenommen werden müssen und preferential mixing über Nachbarschaften, Clustering, Gatekeeper-Funktionen usw. beeinflusst wird, kommen verschiedene Netzwerkstrukturen mit vielfältigen besonderen Eigenschaften (z.B. skalenfreien Zentralitätsverteilungen) in den Blick. Spiele in Populationen auf Netzwerken stoßen schnell an die Grenzen analytischer Lösbarkeit und verlangen in letzter Instanz ein sog. Agent-Based Modeling und entsprechende Computersimulationen (Agent-Based Computational Economics). Erst damit wird die Ökonomik auch wieder anschlussfähig für eine neue Dimension der Transdisziplinarität mit Biologie, Physik, Anthropologie, Psychologie, Neuro- und Hirnforschung, aber auch den Sozialwissenschaften. Standardökonomische Konzepte wie (prädeterminiertes, einzigartiges/eindeutiges) Gleichgewicht, Optimalität und Rationalität verlieren in der Kooperation der Komplexitätswissenschaften ihre Sinnhaftigkeit. Die gemeinsame Basis der Komplexitätswissenschaften wird vielmehr durch die Methoden der Statistik von Systemen, der Netzwerkanalyse, der agentenbasierten Modellierung und Simulation, durch Theorien der Selbstorganisationprozesse, aber auch durch eine geeignete Meta-Theorie (Ontologie und Epistemologie) komplexer Systeme neu definiert.

Wolfgang Detel, Universität Bremen, Philosophie

Abstract

In dieser Vorlesung wird die kognitive Operation des Entscheidens im Rahmen der modernen Theorie des Geistes analysiert. Das bedeutet, Entscheidungen zu diskutieren, die im logischen Raum der Gründe verortet, an bestimmte Rationalitätsstandards gebunden und mit einer determinierten Freiheit korreliert sind. Grundzüge einer Hermeneutik (social cognition) der Entscheidungen werden skizziert, und es wird die Frage aufgeworfen, ob einige kognitiv weit entwickelte Tiere zu rationalen freien Entscheidungen fähig sind.

Klaus Pawelzik, Universität Bremen, Institut für Theoretische Physik

Abstract 

Um Ziele zu erreichen muss eine Agentin die Folgen ihrer möglichen Handlungen abschätzen. Dabei ist es günstig wenn sie ihre jeweils aktuelle Situation versteht. Insbesondere sollte sie die erwarteten Gewinne und Verluste gegeneinander abwägen. Da aber niemand die Welt genau kennen kann, basieren individuelle Entscheidungen höherer Lebewesen auf Lernen.

Bereits in einfachen Spielen zeigt sich, dass Menschen oft auch nach vielen Runden nicht das für ihr eigenes Ziel optimale (sogenannte 'rationale') Verhalten zustande bringen. Ausserdem findet man in der Bewegungskontrolle (wie z.B. beim Balancieren eines Stabes) erstaunlich große Schwankungen, die ebenfalls 'irrational' erscheinen könnten. Schließlich beobachtet man sowohl in Gruppenspielen wie auch in Finanzmärkten extreme Fluktuationen des kollektiven Verhaltens, die der Hypothese zu widersprechen scheinen, dass Menschen wenigstens gemeinsam zu rationalen Entscheidungen in der Lage sind.

Belegen diese experimentellen Befunde, dass gewissermaßen 'Konstruktionsfehler' des Gehirnes eine Hauptursache von irrationalem Verhalten sind? Nicht unbedingt. Zum einen erscheint dies angesichts der evolutionären Optimierung des Lernvermögens wenig plausibel. Zum anderen belegt die Analyse einfacher Modelle des Lernens in dynamischen Umgebungen mit Methoden der Physik, dass Lernen als Anpassung des Verhaltens auf der Grundlage vergangener Erfahrungen nicht zwangsläufig in Systemzustände führt, die für das Individuum optimal sind. Tatsächlich zeigt sich, dass extreme Schwankungen eine natürliche Folge idealer Kontrolle sein können. Insbesondere werde ich einen Mechanismus vorstellen, der sogar optimal adaptierende Agenten in kollektive Zustände bringen kann, in denen sie im Zusammenspiel mit der Welt katastrophische Wirkungen entfalten. Dieser universelle Mechanismus könnte z.B. die notorischen Preisschwankungen an Finanzmärkten erklären (siehe dazu auch The Seesaw Game). Diese Ergebnisse demonstieren, wie die Sichtweise der Physik dazu beitragen kann die Dynamik komplexer Systeme auch aus der Biologie, der Psychologie und der Ökonomik zu verstehen.