Reconfiguring Anonymity

Eine der grundlegenden kulturellen Formationen der Moderne, unsere Praktiken und Vorstellungen von Anonymität, durchläuft derzeit einen tiefgreifenden Wandel. Ausgelöst und vorangetrieben wurde und wird dieser Wandel nicht zuletzt durch neue Medien-, Informations-, Identifikations- und Überwachungstechnologien. Obwohl die damit verbundenen Fragen in der Öffentlichkeit immer breiter diskutiert werden, liegen kaum empirisch fundierte und theoretisch anspruchsvolle Forschungsarbeiten zu den sozialen Dynamiken, Chancen und Problematiken von Anonymität vor. Wie funktionieren Anonymitätsregime im Alltag? Wie werden sie an den Schnittstellen von Technologie, Infrastruktur, Praxis und Regulierung ausgehandelt? Was passiert, wenn Anonymitätsregime sich rekonfigurieren? Was geht dabei für wen verloren und was wird gewonnen?

Das Projekt integriert Perspektiven der Sozialanthropologie, der Medienwissenschaften, der Soziologie und der Kunstwissenschaft, um in einem transdisziplinären Zugang die Aufrechterhaltung, Veränderung, Neubildung und Abschaffung von Anonymitätsregimen in zeitgenössischen Online-Offline-Welten zu erforschen. Unter Anonymitätsregimen verstehen wir Konfigurationen von sozialen, technischen, normativen und politischen Elementen, in denen Marker zur Identifizierung von Individualität und Differenz von Individuen und Kollektiven losgelöst werden. Wir gehen dabei nicht nur der Frage nach, wie Anonymitätsregime entstehen und wie sie sich erhalten und verändern, sondern auch, wie sie sich auf zentrale Aspekte des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens auswirken: Formierungen der Person und der Sozialität im Allgemeinen und der Reziprozität, Verantwortlichkeit und Identifizierbarkeit im Besonderen.

Erforscht werden Anonymitätsregime in ethnographischen Fallstudien zur Produktion und Nutzung sozialer Medien (Teilprojekt (TP) 1 an der Leuphana Universität Lüneburg), zu anonymen Eizell- und Samenspenden (TP 2 an der Universität Bremen), zu Infrastrukturen und dem Gebrauch von Magnetstreifen- und Chipkarten (TP 3 an der Universität Hamburg) sowie zu Interaktionen zwischen Polizei und BürgerInnen (TP 4 an der Universität Hamburg). Deutschland und Großbritannien formen den komparativen Rahmen, der mit zusätzlichen Fallstudien in den USA und Nordirland erweitert wird. Ergänzt wird dieser Ansatz um neue kollaborative Formen der Wissensproduktion, die aus der Zusammenarbeit von ExpertInnen, ProgrammiererInnen und KünstlerInnen erwachsen (TP 5). Die daraus entwickelten theoretischen Modelle zur Transformation von Anonymitätsregimen sind anschlussfähig für Fragen und Problematiken, die sich gegenwärtig auf unterschiedlichen gesellschaftlichen, trans- und supra-staatlichen Ebenen stellen. Sie schaffen eine Grundlage für zukünftige politische und rechtliche Auseinandersetzungen mit dem Thema.

Projekthomepage http://reconfiguring-anonymity.net

Götz Bachmann, Michi Knecht, Andreas Wittel (2017): The Social Productivity of Anonymity. http://www.ephemerajournal.org/issue/social-productivity-anonymity

Kontakt
Prof. Dr. Michi Knecht
Institut für Ethnologie und Kulturwissenschaft (IFEK)
Universität Bremen
Enrique-Schmidt-Straße 7
28359 Bremen
knecht[at]uni-bremen.de

Projektmitarbeiterin
Amelie Baumann (Teilprojekt 2)

Laufzeit
07/2015 – 06/19

Finanzierung
Gefördert im Programm „Schlüsselthemen für Wissenschaft und Gesellschaft“ der VolkswagenStiftung