Filmprogramm

LES PLAGES D’AGNÈS

Ciné-Tamaris

MI 7.5. / 20:00 Uhr
Die Strände von Agnès, F 2008, Regie: Agnès Varda, 112 Min., 35mm, OmdtU
* mit Einführung von Birgit Kohler

Zum Ende ihrer Karriere reflektiert Agnès Varda ihr Leben und Werk – aber nicht, ohne den Modus autobiografischer Erzählungen ein Stück weit zu dekonstruieren. Ihr Blick zurück gleicht dem Spiegellabyrinth, das sie und ihre Filmcrew zu Filmbeginn an einem der Strände ihres Lebens aufstellen. Es sind die titelgebenden Strände, die Vardas essayistisches Selbstportrait als Knotenpunkte eines assoziativen Erinnerungsnetzwerkes strukturieren.
Ihr Unterfangen ist alles andere als bitterernst oder verkopft – vielmehr ist LES PLAGES D‘AGNÈS geprägt von einem spielerischen Umgang mit Erinnerungen, Medien und Erzählmodi. Bei aller Konzentration auf ihre eigene Persönlichkeit findet der Film auch immer den Raum, zu zeigen, wie offen und zugewandt Varda anderen Menschen gegenübertritt.

„Wer sich für den französischen Film im Allgemeinen und für Agnès Varda im Besonderen interessiert, für den ist dieser Film eine wahre Fundgrube an Bildern, Eindrücken und Gedankensplittern. Niemals bequem, aber stets voller Überraschungen. Kurzum: Ein Fest des Kinos.“ (Joachim Kurz, 2009)

SANS TOIT NI LOI

Ciné-Tamaris

DO 8.5. / 20:30 Uhr
Vogelfrei, F 1985, Regie: Agnès Varda, mit Sandrine Bonnaire, Macha Méril, Yolande Moreau, 105 Min., OmengU
* mit Einführung von Birgit Kohler

Die Landstreicherin Mona streift ziellos durch die spröde Winterlandschaft Südfrankreichs. Sie erfährt Freiheit, aber auch Neid, Unverständnis und patriarchale Gewalt. Ihr Tod, mit dem der Film einsetzt, hinterlässt – inspiriert von der Erzählweise von CITIZEN KANE – nur die Erinnerungen und Gefühle, die sie in ihren flüchtigen Bekanntschaften ausgelöst hat.
Die Spuren feministischer Freiheitskämpfe nach 1968, denen sich Varda inmitten der konservativen Wende der 1980er Jahre widmet, sind nur noch eine Reminiszenz in Monas roter Kleidung. Im Film vermischen sie sich mehr und mehr mit den Blautönen der Winzerei, worin sich der Stillstand von Monas Treiben wie auch der Frauenbewegung äußert. Ausgezeichnet mit dem Goldenen Löwen 1985.

„Eine Drifterin, die wenig preisgibt, und für die Menschen, denen sie begegnet, zur Projektionsfläche wird. In Interviews versuchen ihre flüchtigen Begegnungen etwas über sie zu erzählen, erzählen am Ende jedoch nur etwas über sich selbst. [...] Einer Frauenfigur zu folgen, die sich nicht erklärt, und die auch der Film nicht versucht zu erklären, ist für mich auch heute noch etwas Besonderes.“ (Maren Ade, 2023)

Content Note: Darstellung von Tierhäutung sowie Drogen- und Alkoholkonsum, Andeutung von sexuellem Übergriff.

IM DIALOG: VON VARDA LERNEN – FILMPRODUKTION ALS MANUFAKTUR

Eva Knopf

DO 8.5. / 17:30 Uhr
* mit Eva Knopf und Dennis Göttel
* moderiert von Birgit Kohler

1954 gründete Agnès Varda für ihren ersten Film die Produktionsgesellschaft Ciné-Tamaris. Seitdem war ihr Filmschaffen, neben einem Netzwerk von Künstlerfreund*innen, auch von einem Unternehmertum geprägt, das Varda größte künstlerische Freiheit und Kontrolle über die Produktionsprozesse erlaubte. Diese Ausrichtung ging mit hohen wirtschaftlichen Risiken einher, etablierte aber auch zahlreiche freundschaftliche Arbeitsbeziehungen und hinterließ die Spur einer spezifisch weiblichen Autorschaft in der Männer-Domäne Film.
Der Rückblick auf Vardas Produktionsweisen bietet Anlass, um über zeitgenössische und historische Formen und Möglichkeiten des Filmschaffens zu diskutieren: Wir sprechen dazu mit der Filmemacherin Eva Knopf über das „Handwerkliche“ an ihrer aktuellen Produktion sowie mit Dennis Göttel von der FU Berlin. Das Gespräch moderiert Birgit Kohler vom Berliner Arsenal.

Eva Knopf ist Filmemacherin (Majubs Reise) und Lektorin für die künstlerisch-ästhetische Praxis Fotografie und Film/Video an der Universität Bremen. Ihr derzeitiges Filmprojekt über die japanische „Kintsugi“-Technik, eine handwerkliche Reparaturpraxis, reflektiert u.a. den Umgang mit Lücken in Filmarchiven.
Dennis Göttel ist Professor für Filmwissenschaft u.a. mit Schwerpunkt zu historischer Produktionsforschung an der Freien Universität Berlin und leitet das DFG-Forschungsprojekt „Frühgeschichte des Making-of-Films: Produktionskulturen des Kinos in Drehberichten des westdeutschen Fernsehens“.
Birgit Kohler leitet den Kinoprogrammbereich des Arsenal – Institut für Film und Videokunst e.V. in Berlin. Kuratorisch befasst sie sich vor allem mit künstlerischen Positionen des internationalen Gegenwartskinos und dem zeitgenössischen Dokumentarfilmschaffen.

IN THE HOOD – OF PEOPLE AND PLACES

Ciné-Tamaris

DO 8.5. / 20:30 Uhr
* Kurzfilmprogramm kuratiert und vorgestellt von Christine Rüffert, ca. 90 Min.

Vardas Ästhetik geht stets von ihrem persönlichen Interesse an Menschen, Orten und ihren Geschichten aus. Die Verbindung zweier ihrer frühen Kurzfilme mit denen ihrer Zeitgenoss*innen lässt gerade wegen thematischer Übereinstimmungen die Spezifität des Varda‘schen Universums zutage treten.
ORCHARD STREET von Ken Jacobs portraitiert die gleichnamige Einkaufsstraße im Zentrum der jüdischen Neighborhood in der New Yorker Lower East Side. Auf der anderen Seite des Atlantiks schildert Varda mit dem Marktgeschehen auf der Rue Mouffetard ein ähnliches Pariser Quartier als ein subjektives Dokument. Beheimatet auf den entlegenen schottischen Orkney Islands portraitiert Margaret Tait ihre Großmutter. Varda reist nach Griechenland, um in überbordenden Farben ihren ONCLE YANCO zu filmen und über die eigene Familiengeschichte zu sinnieren.

 

Die Filme:

   | Orchard Street // Ken Jacobs, USA 1955/2014, 27 Min., stumm
   | L’Opéra-mouffe // Agnès Varda, F 1958, 16 Min., OmengU
   | A Portrait of Ga // Margaret Tait, GB 1952, 4 Min., OF
   | Oncle Yanco // Agnès Varda, F/USA 1967, 22 Min., OmengU

 

CLÉO DE 5 À 7

Ciné-Tamaris

FR 9.5. / 15:00 Uhr
Mittwoch zwischen 5 und 7, F/I 1961, Regie: Agnès Varda, mit Corinne Marchand, Anna Karina, Jean-Luc Godard, 90 Min., OmengU
* mit Einführung von Birgit Kohler

Die zwei Stunden, die die Chansonsängerin Cléo noch auf ihre Biopsie-Ergebnisse warten muss, sind ihr eine Qual. Sie reißt aus ihrem alten Leben aus, trägt schwarz und nennt sich bei ihrem echten Namen Florence. Sie beginnt, sich frei durch Paris zu bewegen und ihre Umgebung anders wahrzunehmen.
In ihrem minimalistischen Film über Schönheit, Tod und die Unaufhaltsamkeit der Zeit schreibt Varda den Meister aus Diderots Jacques der Fatalist um zu einer sich emanzipierenden, modernen Frau am Wendepunkt ihres Lebens. CLÉO DE 5 À 7 markiert Vardas internationalen Durchbruch und den Beginn ihrer filmischen Reflexion feministischer Solidarität.

Agnès Varda (2005): „Schützt Schönheit also nicht, weder vor Spiegeln noch vor den Blicken anderer? Die schönen und erschreckenden Gemälde von Baldung Grien wurden sehr schnell zur Bedeutung des Films und zu seiner Triebfeder: Man sieht Frauen, schön in ihrem blonden Fleisch, die von einem Skelett umarmt werden, das sie malträtiert oder erschreckt.“

Content Note: Darstellung von Catcalling, Erwähnung von suizidalen Gedanken.

Mit freundlicher Unterstützung des Institut Français Deutschland

MENSCHEN AM SONNTAG

Deutsche Kinemathek

FR 9.5. / 19:30 Uhr
D 1930, Regie: Robert Siodmak, Edgar G. Ulmer, mit Brigitte Borchert, Valeska Gert, Heinrich Gretler, 74 Min., dt. Zwischentitel mit engl. UT
* mit Einführung von Winfried Pauleit
* Live-Musik von Eunice Martins

Arbeitende Bevölkerung trifft sich zum Sonntagsausflug. Auch ohne Tonspur ist der Film voll von Musik: Ein transportables Grammophon eröffnet und beendet den Badeausflug. Ins Bild gesetzt wird eine Serie bewegter Portraits, die sich mit der Kultur des Musikhörens und auch des Fotografierens im Freien verbindet. Auf der einen Seite die Kraft der erklingenden Schallplatte, die die Körper in Bewegung versetzt, auf der anderen der Akt der Fotografie, der einen Moment aus dem bewegten Leben als Pose einfängt.

Nach einem Drehbuch von Billy Wilder schildert dieser späte Vertreter der Neuen Sachlichkeit das Leben junger Berliner Arbeiter*innen Ende der 1920er Jahre, das die Macher als Reportage kennzeichnen, während die Presse von einem „Experimentier-Film“ spricht.
Das bald nach der Uraufführung veränderte und verschwundene Werk wurde 1998 in Amsterdam aus unterschiedlichsten Quellen rekonstruiert und restauriert, 2010 in 2K digitalisiert und jener Scan dann 2014 unter Leitung der Deutschen Kinemathek neu gemastert.

 „Zahlreiche dokumentarische Wannsee-Impressionen lassen die inszenierten Passagen noch deutlicher als Kunstprodukte erscheinen, als man es bisher bemerkte. ‚Menschen am Sonntag‘ ist eben nicht das glückliche Zufallsprodukt reiner Improvisation, als das es die Filmgeschichte in Kenntnis späterer Entwicklungen wie des Neorealismus’ oder der ‚Nouvelle Vague‘ sah. In sechs- bis achtwöchiger Drehzeit hatten die ehrgeizigen jungen Filmemacher [...] Zeit genug, Perfektion in Personen- und Kameraführung zu erzielen.“ (Daniel Kothenschulte, 2018)

Content Note: Andeutung von sexuellem Übergriff.

Eunice Martins ist Komponistin und Pianistin und komponiert für Ensemble, Film, VR und Sound Design. Sie ist Gast bei zahlreichen internationalen Festivals, Theatern und Kinematheken und seit 2000 Hauspianistin des Arsenal – Institut für Film und Videokunst. www.eunicemartins.eu

Doppelprogramm

Ciné-Tamaris

FR 9.5. / 21:15 Uhr
SALUT LES CUBAINS
F 1963, Regie: Agnès Varda, mit Michel Piccoli, Sara Gómez, 29 Min., OmengU
CEREAL / SOY CLAUDIA, SOY ESTHER Y SOY TERESA. SOY INGRID, SOY FABIOLA Y SOY VALERIA.
A 2022, Regie: Anna Spanlang, 35 Min., verschiedene Sprachen mit engl. UT
* mit Einführung von Birgit Kohler

„Ich war auf Kuba …“ Damit leitet Varda den fotografischen Blick auf die kubanische Revolution in SALUT LES CUBAINS ein. Im Zentrum stehen die Kubaner*innen, darunter die Regisseurin Sara Gómez, mit der die Zukunft des kubanischen Kinos als weiblich imaginiert wird. Aus Reisefotos und der kubanischen Musikkultur entsteht ein Foto-Film, der Versatzstücke des Kulturfilms neu zusammensetzt.

Mit freundlicher Unterstützung des Instituto Cervantes Bremen

In Dialog dazu tritt der Handy-Film CEREAL / Soy Claudia, soy Esther y soy Teresa. Soy Ingrid, soy Fabiola y soy Valeria. von Anna Spanlang, einer unbeirrten Sammlerin und Meisterin der rasanten Montage. Ein Feuerwerk aus Reiseimpressionen und popkulturellen Zitaten mischt sich mit Aufnahmen von queer*-feministischen Protesten weltweit und von einer „Community, in der Freund*innenschaft und Frauen*solidarität, aber auch künstlerischesSchaffen groß geschrieben werden“ (Christiane Erharter).

Content Note zu CEREAL: Andeutung von Blut

DOCUMENTEUR

Ciné-Tamaris

SA 10.5. / 15:00 Uhr
Menschengesichter, F/USA 1981, Regie: Agnès Varda, mit Sabine Mamou, Mathieu Demy, 65 Min., OmengU
* mit Einführung (tba)

Emilie lebt und geistert mit ihrem Sohn im grauen, regnerischen Los Angeles umher. Sie findet keine innere Ruhe im Großstadtmosaik der Gesichter und spürt den Schmerz der Einsamkeit. DOCUMENTEUR ist ein per Fiktionalisierung dünn verschleiertes Selbstportrait der Regisseurin, die Emilies und Martins Existenz entschieden fragmentarisch erzählt: Statt eines übergeordneten Handlungsbogens präsentiert Varda versprengte Episoden, in denen ihre fiktiven Protagonisten mit den realen Drehorten und Statist*innen verschmelzen und durch ein lyrisches Voice-Over emotional zusammengehalten werden. Bereits der Titel des parallel zu MUR MURS entstandenen Films kündigt einen Grenzgang zwischen Dokumentation und Fiktion an: Menteur aus dem Originaltitel bedeutet auf Französisch „Lügner“.

„[N]owhere does the director seem more nakedly on display than in a film in which she doesn’t appear at all: Documenteur (1981), a wrenching fictionalized account of her temporary separation from her husband, Jacques Demy, which Varda punningly refers to as ‚an emotion picture.‘“ (Melissa Anderson, 2015)