Theoretische Philosophie

Forschung in der Theoretischen Philosophie

Ausgangspunkt vieler unserer Forschungs- und Lehrtätigkeiten sind theoretisch-philosophische Fragestellungen, die sich aus dem Kontext von Einzelwissenschaften ergeben oder sich inhaltlich mit ihnen berühren. Die einzelnen Teammitglieder haben dementsprechend nicht nur philosophische, sondern auch einzelwissenschaftliche Qualifikationen (Physik, Mathematik, Geschichte, Ingenieurswissenschaften). Die diversen inner- und vor allem interdisziplinären Projekte, an denen die Professur bspw. im Bereich der Zeitforschung, Raumfahrt, Musik und Datenwissenschaft beteiligt ist, zielen nicht nur auf fachwissenschaftliche Resultate ab, sondern auch darauf, die gesellschaftliche Relevanz des Untersuchten kritisch zu reflektieren.

Philosophie der Zeit

Zeit tritt in unterschiedlichen Erscheinungsformen auf: unter anderem als physikalische Zeit, als wahrgenommene Zeit, als gesellschaftlich-intersubjektive Zeit und als historische Zeit. Dementsprechend war und ist das Thema Zeit immer wieder der Gegenstand von grundlegenden Diskussionen in unterschiedlichen philosophischen Teildisziplinen – von der Metaphysik über die Wissenschaftsphilosophie und die Philosophie des Geistes bis hin zur Philosophiegeschichtsschreibung und zur Ethik. Vergleichsweise wenig behandelt werden allerdings die Verbindungen und Gemeinsamkeiten dieser Diskussionen. Es ist das Ziel dieses Projektes, diese Lücke zumindest teilweise zu füllen. Mehr erfahren.

Zwei Projekte beschäftigen sich mit der Epistemologie von Zeit (und, eng damit verbunden, Raum): (1) Im Kontext der Quantenmechanik werden die Bedingungen untersucht, unter denen Quantensysteme so etwas wie eine objektive und für einen Beobachter prinzipiell zugängliche Zeitskala generieren können – also um die allgemeinen Voraussetzungen dafür, dass etwas als Quantenuhr fungieren kann. (2) Im Kontext unserer besten Raumzeittheorien (wie der Allgemeinen Relativitätstheorie, kurz ART), wird erforscht, unter welchen Bedingungen und zu welchem Grade der empirische Gehalt von ART und verwandten Raumzeittheorien mittels Uhren (Chronometrie) bestimmt werden kann. Mehr erfahren.

Das Subprojekt behandelt die metaphysisch-konzeptuelle Frage, wie viel Raum und wie viel Zeit in vielversprechenden Quantengravitationsansätzen (wie etwa der String Theory) tatsächlich noch erhalten bleiben, und von welcher Form der vielfach angedeutete nicht-raumzeitliche Charakter dieser Kandidaten tatsächlich ist.

Inwiefern sind Aussagen über die Geometrie und Form (Topologie) von Raum und Zeit konventionell – gerade nicht wörtlich zu nehmende Behauptungen über Tatsachen, sondern (wie Konventionalisten behaupten) Ausdruck eines nicht-faktischen, auf menschlichen Setzungen beruhenden Theorieelementes? Wir untersuchen neue Ansätze dieser provokanten These und ihr Status in gegenwärtigen Theorien der Physik.

Zeit ist für Menschen nicht unmittelbar erfahrbar. Hierfür bedarf es zum einen der Präsentation durch sich raumzeitlich entfaltende Prozesse, zum anderen der Repräsentation, die stets historisch-kulturellen Bedingungen unterliegt. Im Spätmittelalter ermöglichten spätgotische Flügelaltäre aufgrund ihrer besonderen Eigenschaften als dreidimensionale und veränderbare Bildträger ästhetische Zugänge zu christlich-propositionalem Zeitwissen, das sie in öffentlich sichtbare und (be-)greifbare Formen brachten. Gegenstand dieses Projektes ist die Frage, wie christliche Zeitkonstruktionen – als etwas zwar philosophisch-theologisch häufig Diskutiertes, jedoch selbst Unsichtbares – konkret über Flügelaltäre im 15. Jahrhundert dargestellt wurden. Mehr erfahren.

Methodologie in Philosophie und Wissenschaften

Das Projekt analysiert und verteidigt die Bedeutung, die begriffsgeschichtlicher Sachkenntnis in den Einzelwissenschaften zukommt. Diese Kenntnis ist sowohl von intrinsischem als auch instrumentellem Wert, denn sie erlaubt es, die innere Dynamik dessen, was man als Wissenschaftler macht, besser zu verstehen und gegebenenfalls aktiv zu beeinflussen. Mehr erfahren.

Die Suche nach einer empirisch adäquaten Theorie der Quantengravitation – also einer Theorie, die einen Gültigkeitsbereich abdecken soll, in dem traditionell sowohl quantenmechanische als auch gravitative Aspekte relevant sind – zieht sich nun schon seit den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts hin. Das Projekt behandelt methodologisch-konzeptuelle Fragen in der Theorieentwicklung und -verfolgung einer Theorie der Quantengravitation: Können Kandidaten bereits vor dem eigentlichen Experiment sinnvoll getestet bzw. miteinander verglichen werden? Wie systematisch sind die bekannten Kandidaten gefunden worden? Sind sinnvolle Richtungen der Theorieentwicklung aus rein kontingenten aber inhaltlich ungerechtfertigten Gründen außer Acht gelassen worden? Mehr erfahren.

Eines unserer derzeitigen wissenschaftsphilosophischen Schwerpunkte befasst sich mit sogenannten super-empirischen Theorietugenden, d.h. über die empirische Adäquatheit hinausgehende Theoriekriterien (mit Schwerpunkt auf Formen von Einfachheit und Vereinheitlichungskraft), die für die Theorienauswahl und -beurteilung eine wichtige Rolle spielen. In konkreten Anwendungen auf physikalische Theorien untersuchen wir verschiedene Explikationen dieser Kriterien. Die resultierenden Fallstudien werfen kritisches Licht auf den Status dieser Theorietugenden und erlauben eine nuancierte, praxisorientierte Beurteilung dieser Kriterien.

Die Begriffe Paradigma und Paradigmenwechsel werden in Wissenschaft und Alltag inflationär gebraucht und so scheint es überall Paradigmenwechsel in der Wissenschaft zu geben. Aber inwiefern ist das Konzept für andere Disziplinen als der Physik, an welcher Kuhn das Konzept entwarf, passend? Mehr erfahren.

Philosophie der Einzelwissenschaften

Wir beschäftigen uns mit philosophischen Fragen im Grenzbereich zwischen Musik, musikalischer Wahrnehmung und Hören. Dabei gibt es immer auch Zusammenarbeiten mit anderen akademischen Disziplinen (insbesondere Naturwissenschaften; siehe Aufsatz "Paradoxien beim Hören") und auch mit Künstlern (siehe das Konzert "ZeitHören").

Versucht man sich an einer konzeptuellen Klärung innerhalb der Physik, dann stößt man auch auf daraus resultierende Fragen der Metaphysik und Wissenschaftstheorie. Viele unserer Projekte lassen sich daher als klassische Projekte der Philosophie der Physik einordnen – etwa die zur Epistemologie und Metaphysik von Raum und Zeit. Mehr erfahren.

Was kann man im Weltraum schlussendlich lernen, was wir nicht auch “zu Hause” auf der Erde lernen könnten? Was ist, salopp gesagt, so interessant am Mars im Gegensatz zu dem, was wir in irdischen Labors untersuchen können oder was wir auf der Erde noch erforschen können (wie etwa die Tiefsee)? Warum soll etwas interessant(er) sein, nur weil es weit weg ist? Als Theoretische Philosophen sind wir insbesondere an solchen epistemischen Fragen zur Raumfahrt interessiert - natürlich nie in vollständiger Isolation von den spannenden ethischen, anthropologischen und technikphilosophischen Fragen, die sich im Zuge von Raumfahrt ergeben. Wir betreiben Philosophie der Raumfahrt insbesondere im Kontext der Bremer Forschungsinitiative "Menschen auf dem Mars".

Siehe auch unsere Ausschreibung.

Dem Klimawandel vom Weltraum aus begegnen? Zusammen mit der OHB, dem Bremer Raumfahrtunternehmen, und weiteren internationalen Institutionen aus der Raumfahrt- und Umweltforschung ist die Theoretische Philosophie der Universität Bremen teil eines Konsortiums zum Thema space-based geoengineering. Wir diskutieren ergebnisoffen, inwiefern wir dem Klimawandel aus dem All heraus begegnen können und sollten. Mehr erfahren.

Kritisches Denken

Die gegenwärtigen Entwicklungen im Bereich Künstlicher Intelligenz und des Machine Learning, aber auch die steigende Bedeutung des allgemeinen Umgangs mit großen Datenmengen, führen direkt auf wichtige Fragenstellungen der theoretischen Philosophie, insbesondere der Erkenntnistheorie: Welche Rolle spielt beispielsweise „Transparenz“ in rechnergestützten Erkenntnisprozessen und was genau ist damit gemeint? Wann kann man von genuin „neuen“ Erkenntnissen sprechen? Mehr erfahren.

"Kritisches Denken in den Wissenschaften" – das klingt wie eine Tautologie! Denn Wissenschaft und Forschung haben es vermeintlich immer mit kritischer Reflektion zu tun. Es wird untersucht und hinterfragt, statt die Dinge einfach so zu nehmen, wie sie scheinen. Oder ist das vielleicht nur ein Ideal? Die tägliche Praxis mag tatsächlich anders aussehen. Zahlreiche Sachzwänge wie etwa ökonomische Belange, Finanzierungs- und Zeitbeschränkungen sowie Druck von den Fachkollegen erschweren es oft, sich kritisch auseinanderzusetzen mit den verwendeten Methoden, den vorausgesetzten Begrifflichkeiten und den gezogenen Schlussfolgerungen. Mehr erfahren (inklusive Anwendungsprojekt Whiteboard KNOW).

Wenn man sich der Geschichte der afrikanischen Philosophie nähert, zeichnen sich zwei Tendenzen ab: Erstens durch Nicht-Afrikaner, die „einseitig das Recht beanspruchen, im Namen der Afrikaner zu sprechen und die Bedeutung von Erfahrung und Wahrheit für sie zu definieren“. Zweitens wehren sich die Afrikaner gegen ihre selbsternannten Biographen und stellen diese in Frage. Aus diesen beiden Ereignissen ist die afrikanische Philosophie entstanden (Masolo, 1994). Die Bedingungen, unter denen die afrikanische Philosophie entstand, können als ein Ort der Widersprüche untersucht werden, und das philosophische Werk afrikanischer Philosophen kann als Versuch betrachtet werden, sich von diesen Widersprüchen zu befreien. Ich möchte untersuchen, welche Formen von Wissen aus diesem eng gefassten intellektuellen Horizont hervorgingen und wie die damit verbundenen Widersprüche die afrikanische Philosophie prägten. Mehr erfahren.

Dieses Projekt behandelt ausgewählte Begriffe und Problemstellungen, die am Beginn der abendländischen philosophischen Tradition stehen und in der Folge prägend wurden für diverse geistesgeschichtliche Entwicklungen. Es werden jeweils historisch-systematische Verbindungen aufgezeigt zwischen den Ansätzen einzelner Vorsokratiker und zentralen Auseinandersetzungen neuzeitlicher Philosophie und Naturforschung. Mehr erfahren.

Titel des Podcasts neben einer Zeichnung von drei Figuren auf einer komplexen, in sich verschränkten geometrischen Form.

Ein Interview-Podcast der Theoretischen Philosophie

Jeden Tag denken viele Menschen an der Uni Bremen über verschiedene Probleme und Fragen nach. Ein wichtiger Teil von Philosophischer Arbeit ist das Fragenstellen. Den Blick zu weiten und das Reflektieren über die eigene als auch fremde Disziplinen möglich zu machen, ist eines der Ziele der Philosophie, das sich auch im neuen Masterprogramm ,,Angewandte Philosophie“ realisiert. Die Theoretische Philosophie in Bremen hat die philosophische Auseinandersetzung mit Einzelwissenschaften zu einer ihrer zentralen Aufgaben gemacht: Ihre Mitglieder haben jeweils neben ihrem philosophischen einen weiteren akademischen Fachhintergrund und befinden sich unter anderem im ständigen Austausch mit VertreterInnen aus Physik, Raumfahrt und Mathematik; gemeinsam entstehen Lehrveranstaltungen, Publikationen und Vorträge. Als PhilosophInnen arbeiten wir konstant daran, das theoretische Gerüst und die Dynamik und innere Logik einer Disziplin gemeinsam mit FachwissenschaftlerInnen herauszuarbeiten und wissenschaftstheoretisch zu reflektieren. So können wir im Austausch mit FachkollegInnen gegenseitig unsere Blickwinkel weiten und ergründen gemeinsam, wie Wissenschaft eigentlich funktioniert. Insbesondere bei gezielt herbeigeführten Zusammenstößen von oft stark idealisierter Wissenschaftstheorie und konkreter fachwissenschaftlicher Praxis können an diesen Grenzflächen spannende Einsichten entstehen.

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: Prof. Dr. Dr. Norman Sieroka
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Gäste und Projektbeteiligte

: Yichen Luo

Yichen Luo

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Gruppenfoto des Teams Theoretische Philosophie
(V. l. n. r.) Prof. Dr. Dr. Norman Sieroka, Jonathan Assmus, Mahé Crüsemann, Catherine Herbin, Jasper Misselwitz, Dr. Niels Linnemann

Neuigkeiten

Theoretische Philosophie

Podiumsdiskussion zu digitaler Kunst und sozialer Gesundheit (Interactive Digital Art & Societal Health, December 2-3, 2022)


Wieder ein ZeitHören-Event

Das Workshop- und Konzert-Format vom vergangenen Jahr geht in die zweite Runde -- diesmal Ende November in Leipzig.


Podiumsdiskussion zum Thema ,,architektonische Intelligenz"

Welche Rolle spielt die Automatisierung von Abläufen, der Einsatz künstlicher Intelligenz für die Architektur und unseren Lebensraum? Hannes Mayer (Hg. der „Manege für Architektur") diskutiert mit Norman Sieroka sowie Vertreter:innen des Bremer Zentrums für Baukultur und der School of Architecture.


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