(J) Michel de Montaigne (1533-1592) - Freigeist und Menschenfreund in Zeiten blutiger Religionskriege

Seine Schriften nannte er „Essais“ (französisch, Versuche) und schuf damit eine völlig neue Art, literarisch zu schreiben, sehr persönlich, unkonventionell. Obwohl philosophisch in den Klassikern geschult, vermied er die künstliche, hoch gestochene Sprache der gelehrten Welt und drückte sich in Alltagssprache aus. Als Adliger mit kleinem Grundbesitz, der ihm Unabhängigkeit garantierte, wurde er zum Bürgermeister von Bordeaux gewählt, was ihm äußere Würden einbrachte, aber er schrieb, wie er es nannte, als Mensch, nichts weiter.
Seine philosophischen Fragen waren einfach: Was weiß ich? (siehe nebenstehendes Motto). Was treibt mich an? Wie komme ich mit dem Leben zurecht?
Sein Hauslehrer, nur Lateinisch mit ihm sprechend, hatte ihn tief in die Welt der Antike geführt. Er war geprägt durch die Gedanken der Skeptiker, bewunderte den Platon, las gern den Plutarch und liebte den Epikur, der seinen Essais die ganz besondere Note verleiht. Sie sind durchzogen von einer tiefen Achtung vor Tieren und Menschen, einem Grundgefühl von Interesse am Leben, einer Wertschätzung von Freundschaft und einem unbefangenen Bezug zu seinem Körper, den er untrennbar mit dem Geist verbunden sah.
Er lebte in einer Zeit blutiger, entnervender Religionskriege, die mit dem Massenmord an französischen Protestanten, den Hugenotten, in der Bartholomäusnacht des Jahres 1572 einen ersten traurigen Höhepunkt erreichten. Schon mit 38 Jahren zog er sich in den Turm neben seinem Schloss zurück und schrieb dort im Laufe der Jahre hunderte von Seiten voller Beobachtungen und Reflexionen über die Wunderlichkeiten der menschlichen Existenz, über politische Vermessenheit und religiöse Intoleranz. Nicht ohne Grund setzte die Kirche seine Schriften auf den Index, obwohl er sein Leben lang ein Katholik blieb.
Mit 47 Jahren begab er sich auf eine einjährige Reise bis nach Rom, übte im Anschluss für 4 Jahre sein Amt als Bürgermeister von Bordeaux aus und zog sich dann wieder in den Turm zurück, verwaltete Haus und Familie und versuchte schreibend, mit sich und seinem Altern klarzukommen.
Und wie steht es mit den Frauen bei Montaigne?
Seine langjährige Ehefrau, Francoise de la Chassaigne, wie auch Frauen überhaupt, finden sich nicht als Bezugspersonen in seinen Essais erwähnt. Bis auf eine Ausnahme, Marie de Gournay, die ihm zur späten Gesprächspartnerin wurde.
Bei seinem Tod 1592 bestimmte er die junge Philosophin, die er seine „fille d‘ alliance“ (Wahltochter) nannte – zur Verwalterin seines literarischen Nachlasses. Das war der Beginn ihrer eigenen Karriere als allein lebende selbständige Schriftstellerin und Feministin, wobei sie großen Existenznöten und ständigem Spott der Männerwelt ausgesetzt war.
Schreibende Frauen haben sich überhaupt später gern auf Montaigne bezogen. Vielleicht finden wir heraus, warum?
In der Veranstaltung wird das Lesen einiger ausgewählter Texte im Mittpunkt stehen. Ganz im Sinne Montaignes sollen sie Vergnügen machen und zum Denken anregen. Zur Illustration kommen Bildmaterial und filmische Beiträge dazu.
Und bei dieser Gelegenheit nachzudenken darüber, was für eine Art Mensch wir sind- oder sein möchten, das mag nach wie vor aktuell sein.
„Jeder Mensch trägt in sich die ganze Form der Menschlichkeit“
(Montaigne Essais, 3.Buch)
Literatur:
Michel de Montaigne: Essais. Erste moderne Gesamtübersetzung von Hans Stilett. Die andere Bibliothek, herausgegeben von Hans Magnus Enzensberger (1998)
Angesichts der riesigen Dimension seines Werks – diese maßgebende deutsche Montaigne Gesamtausgabe umfasst 575 Seiten im alten Quartformat! – ist es sinnvoll, sich auf gute Auswahl zu beschränken.
Eine knappe, gute Textauswahl und Übersetzung liefert reclam:
Michel de Montaigne: Essais (übersetzt und herausgegeben von Arthur Franz (1986)
Es wäre schön, wenn alle Teilnehmende sich diesen Text anschaffen könnten.
Wir werden ihn als Grundlage für unsere Diskussionen nehmen.
Den historischen Kontext liefert:
Volker Reinhardt: Montaigne. Philosophie in Zeiten des Krieges. Biographie. C.H.Beck (2023).
Dozentin: Ingrid Davids
Termine: 4 Termine
- Montag, 03.03.2025
- Montag, 10.03.2025
- Montag, 17.03.2025
- Donnerstag, 20.03.2025
Zeit: 10:00 (s.t.) bis 12:00 Uhr
Entgelt: 55,- Euro
Veranstaltungsart/ -ort: hybrid, in Präsenz (Gebäude GW2, Raum B2900) oder wahlweise Online-Teilnahme
Hinweis: Teilnehmerbegrenzung: 50 Personen in Präsenz