Detailansicht

Interaktives Erinnern an sowjetische Kriegsgefangene

Studierende der Universität Bremen haben in einem gemeinsamen Geschichtsprojekt mit Studierenden aus der der Ukraine und Russland untersucht, wie in ihren jeweiligen Ländern an die sowjetischen Kriegsgefangenen erinnert wird. Eine interaktive Internetplattform präsentiert jetzt die Ergebnisse.

„Ziel des Projekts war es, das an sowjetischen Kriegsgefangenen im Zweiten Weltkrieg begangene Unrecht wieder ins Bewusstsein zu rücken“, so die Bremer Projektleiterin Dr. Ulrike Huhn vom Institut für Geschichte an der Universität Bremen.

Spurensuche vor Ort

Die Studierenden analysierten im Rahmen des Projekts sowohl materielle Erinnerungsorte wie Denkmäler oder Friedhöfe als auch Gedenkrituale sowie die nationalen oder lokalen Diskurse über die Erinnerungskultur. Ein besonderer Fokus lag auf der Frage, wieso weibliche Kriegsgefangenen im öffentlichen Bewusstsein eine vergleichsweise geringe Rolle spielen. Die Bremer Studierenden haben sich mit diesen Fragen für ihre eigene Region auseinandergesetzt, hier in Kooperation mit dem Denkort „Bunker Valentin“ und der Gedenkstätte Sandbostel. In drei je einwöchigen Begegnungen im September 2018 in Bremen, im Februar 2019 in Dnipro (Ukraine) und im Mai 2019 in Rostow (Russland) tauschten die Studierenden sich über ihre Ergebnisse aus. Sie besuchten regionale Erinnerungsorte wie die Massenerschießungsstätte Smijowskaja Balka bei Rostow und das ehemalige Stalag 348 auf dem Gebiet einer Psychiatrischen Klinik bei Dnipro. Die bevorstehende Begegnung in Bremen bildet den Abschluss des Projekts.

Kollaborativer Wissensspeicher als zeitgemäßer Zugang zu Erinnerung

Während des Projekts wurde – unterstützt durch eine professionelle Moskauer Graphikerin – die interaktive Plattform „Terra Oblita“ („Vergessenes Land“) erarbeitet, auf der nun die Ergebnisse des Forschungsprojekts in Form von Texten, Quellen, Bildern, Audio- und Videomaterialen auf der präsentiert werden. Jede Bürgerin und jeder Bürger ist eingeladen, daran mitzuarbeiten. Um dies zu erleichtern, wurde ein Leitfaden entwickelt, der zur Mitwirkung an der Plattform aufruft und Methoden zur Auseinandersetzung mit der lokalen Erinnerungskultur bereitstellt. „Die aktive Mitwirkung an der Plattform stellt eine niedrigschwellige historische Lernform dar, die sich für die schulische wie auch außerschulische Bildung sehr gut eignet“, so Ulrike Huhn.

Begegnung unter besonderen Vorzeichen

Eine besondere Herausforderung ist angesichts der politischen Verwerfungen zwischen Russland und der Ukraine seit der Annexion der Krim und der anhaltenden Kriegssituation in der Ostukraine die Zusammenarbeit der drei Studierendengruppen: Die ukrainischen und russischen Studierenden können sich nur in Bremen begegnen. In Bremen fand zu Beginn der Projektwoche ein Gesprächsworkshop zur Situation in der Ostukraine statt, der von einer in den Konfliktregionen des Kaukasus und Osteuropas tätigen Mediatorin geleitet wurde. Denn allen war klar, dass dieses Thema Zündstoff birgt, aber auch nicht völlig auszuklammern sein würde. Den intensiven Austausch und die Zusammenarbeit erlebten die Studierenden als sehr fruchtbar.

Die Gesamtleitung des Projekts Memory-Wiki – Auf den Spuren der Erinnerung an ‚vergessene‘ NS-Opfer in der Ukraine, Russland und Deutschland“ liegt in den Händen des Berliner Vereins KONTAKTE-KOHTAKTbI e.V., der sich seit vielen Jahren um die Erinnerung an das Schicksal sowjetischer Kriegsgefangener bemüht und die Universitäten Dnipro (Ukraine) und Rostow am Don (Russland) zur Zusammenarbeit gewonnen hat. Gefördert wird das Projekt unter anderen vom Auswärtigen Amt, das Begegnungen solcher Art gegenwärtig besonders unterstützt, um angesichts der gegenwärtigen Kriegssituation Fenster der Verständigung offen zu halten.

Öffentlicher Vortrag und Gedenkveranstaltung

Am Dienstag, dem 20. August 2019 um 19 Uhr, hält Dr.. Rolf Keller, Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten, einen Vortrag zum ThemaSowjetische Kriegsgefangene in deutscher Hand. Eine vergessene Opfergruppe?“. Im Anschluss stellen die Beteiligten ihr Projekt sowie die Internetplattform „Terra Oblita“ vor. Die Veranstaltung findet in deutscher und russischer Sprache statt, es gibt eine Simultanübersetzung. Ort ist das Haus der Wissenschaft, Sandstraße 4/5, 28195 Bremen. Der Eintritt ist frei.

Am Mittwoch, dem 21. August 2019 um 12.30 Uhr, wird von den Studierenden auf dem Präsident-Kennedy-Platz (vor dem Staatsarchiv Bremen) eine Gedenkveranstaltung als Intervention im öffentlichen Raum durchgeführt. Sie soll an eines der Bremer Lager für sowjetische Kriegsgefangene, dem ehemaligen Reitstall im Fedelhören 1, erinnern.

Weitere Informationen:

Die Online-Plattform mit dem Titel „Terra Oblita“ ist ab dem 20. August 2019 freigeschaltet unter:
https://terraoblita.com/de

www.geschichte.uni-bremen.de/?page_id=2880

https://kontakte-kontakty.de/jugend-und-bildungsprojekte/

www.hausderwissenschaft.de/Universitaet-Bremen-59.html

www.uni-bremen.de

Rückfragen beantwortet:

Dr. Ulrike Huhn
Fachbereich Geschichtswissenschaft
Universität Bremen
Tel.: +49 421 218-67361
E-Mail: ulrike.huhnprotect me ?!uni-bremenprotect me ?!.de

Eine Studierendengruppe vor dem Bunker Valentin
Für das Projekt besuchten die Studierenden auch den Denkort "Bunker Valentin" in Bremen Farge, in dem ab 1943 viele Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene ihr Leben verloren.