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Ein Vollblut-Mathematiker: „Man muss für die Forschung brennen“

Gebürtig sei er Mathematiker, erklärt Dmitry Feichtner-Kozlov. Das muss er auch wohl sein, denn für sein Fachgebiet braucht man echte Leidenschaft: Algebraische Topologie! Seit acht Jahren arbeitet der Mathematikprofessor an der Uni Bremen. Vor kurzem hat er sich in die Welt des Computing vorgewagt…

In Russland geboren hat DmitryFeichtner-Kozlov sich seit seinem zehnten Lebensjahr mit Mathematik beschäftigt. Sein Arbeitsgebiet ist die diskrete Mathematik. Im Fachbereich Mathematik/Informatik hat er die Professur für Algebra und Geometrie inne. Vor fünf Jahren hat er angefangen sich mit „Computing“ - genauer: der Theorie der Berechnungen - zu beschäftigen. „Ich musste mich völlig neu in das Gebiet einarbeiten. Das ist wirklich nicht leicht zu verstehen – schon gar nicht in meinem Alter. Aber letztlich ist Mathematik hinter allem“, freut sich der 41-Jährige.

Exakte Kommunikation verhindert Katastrophen

„Im Zeitalter des Internet ist die wichtigste Frage nicht mehr „Wie schnell ist ein Rechner“ sondern vielmehr „Wie kommunizieren Computer miteinander“, meint Feichtner-Kozlov. „In unserer Forschungsarbeit haben wir mathematische Modelle entworfen, um zu verstehen, wie Netzwerke miteinander reden. Bei zentralen Netzwerken ist das nicht so problematisch. Anders sieht es bei dezentralen Netzwerken aus – wenn die Rechner nicht miteinander kommunizieren können, kann es gefährliche Folgen haben. Das betrifft zum Beispiel die Flugsicherung: Für die Flugkoordination ist es wichtig, dass die einzelnen Radarsysteme und Computersysteme sich exakt verständigen können. „Wenn es hier zu Störungen in den Abläufen kommt, kann ein Flugzeugabsturz die Folge sein, das hat man 2002 bei der Flugzeugkollision in Überlingen in der Schweiz gesehen. Die Piloten erhielten widersprüchliche Instruktionen: der Tower gab eine bestimmte Flughöhe vor – das Antikollisionssystem im Flugzeug eine andere Höhe. Das Ergebnis war die Kollision, die 71 Menschen das Leben kostete. Auch wenn letztlich menschliches Versagen eine große Rolle spielte, kann eine exakte Kommunikation der Netzwerke untereinander solche Unfälle verhindern helfen.“

Der Mathematiker arbeitet jetzt mit Algorithmen und parallelen Berechnungen zu den Fragen: Wie viele Nachrichten können schnell verarbeitet und neu berechnet werden? Wie erkennt das System die Reihenfolge? Was passiert, wenn eine Nachricht nicht ankommt? Die wichtigsten Parameter werden in das System dann eingebrannt. „Unsere Aufgabe ist es, durch algebraische Topologie die Liste der Spezifikationen festzulegen“, erläutert Feichtner-Kozlov. „Für einen Programmierer ist es wichtig zu wissen, welche Regeln beim Bau eines Netzwerkes berücksichtigt werden müssen.“

„Frisches Blut“ für die Mathematik

Mathematische Modelle zu verteiltem Rechnen gibt es bislang kaum. Hier kommen topologische und geometrische Modelle zum Einsatz – das Spezialgebiet des Bremer Mathematikers: „Das ist relativ bahnbrechend. So entsteht übrigens auch neue Mathematik. Als der gute Gottfried  Leibniz beispielsweise die Differenzialgleichung entwarf, hat er damit völlig neue mathematische Gebiete begründet. Das ist „frisches Blut“ für die Mathematik“.

Es ist kein Quatsch – es gibt Lösungen

Besonders spannend findet der Wissenschaftler die Forschung zu „Shared Memory Systemen“ – also der Umgang mit geteilten Speichern. „Das muss man sich wie ein Schwarzes Brett vorstellen. Wenn ich dort eine Nachricht hinhänge, kann der nächste das lesen, eine weitere Nachricht einstellen und für dritte verfügbar machen. Problematisch wird es, wenn zwei gleichzeitig etwas einstellen, aber nichts voneinander wissen und dennoch glauben, dass sie den neusten Stand haben. Für solche Probleme haben wir geometrische Räume konstruiert, um diese Eigenschaften zu studieren. Die Forschung macht mir unglaublich Spaß, weil es kein Quatsch ist – es gibt Lösungen. Nur um dahin zu kommen, muss man wirklich verstehen, was da passiert. Man kann nicht einfach rumbasteln. Die Kommunikation zwischen Netzwerken ist so fein getunt, dass es zu Katastrophen kommt, wenn Kleinigkeiten übersehen werden. Hier Lösungen aus der diskreten Mathematik beisteuern zu können, empfinde ich wirklich als aufregend und bereichernd. Man muss allerdings auch für die Forschung brennen, um sich in solch komplexe und eigentlich fremde Gebiete einzuarbeiten“.

„A big deal“

Das Buch des Bremer Mathematikprofessors, das er zusammen mit zwei Fachkollegen schrieb, hat es auf Platz 3 der  „Best of Computing 2013“ gebracht. Das ist umso beachtlicher, da es in dem Werk um grundlegende interdisziplinäre Forschung geht. Und mehr noch: Für einen Mathematiker ist es mehr als unüblich von der Association for Computing Machinery (ACM) eine Auszeichnung zu bekommen.

Die internationale Beachtung, die das Buch erhält, kommt nicht von ungefähr: Die Modellberechnungen, die in der Forschungsarbeit vorgestellt werden, sind für den Bereich Computing bahnbrechend und können den Bereich komplett neu definieren. Amerikanische Kollegen haben dem Bremer Forscher mit den Worten „A big deal“ gratuliert. „Ich bin von Natur aus Mathematiker, also recht kühl“, lächelt Feichtner-Kozlov. „Aber meine Informatikkollegen haben sich sehr gefreut“.

Die "Kleinsche Flasche" ist ein geometrisches Objekt – das Lieblingsmodell von Professor Dmitry Feichtner-Kozlov. Es hat die Eigenschaft, dass innen und außen nicht unterschieden werden können.
Topologische und geometrische Modelle sind das Spezialgebiet des Bremer Mathematikers.