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Krotz: „Wir werden uns um unsere Nachrichten kümmern müssen“

Gespräch mit dem Kommunikations- und Medienwissenschaftler und Soziologen Friedrich Krotz

Am Zentrum für Medien-, Kommunikations- und Informationsforschung, kurz ZeMKI, koordiniert Professor Friedrich Krotz seit 2009 ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördertes Schwerpunktprogramm zur „Mediatisierung“. Es besteht derzeit aus 12 Teilprojekten an deutschen und einer österreichischen Universität und kooperiert mit weiteren Projekten in Europa. Das Programm läuft Ende 2016 aus.

„Mediatisierung“ – der Begriff beschreibt, ähnlich wie die „Mediatisierung“ in der Geschichtswissenschaft, dass soziales und kommunikatives Handeln heute immer häufiger vermittelt, also mit Bezug auf Medien stattfindet. Letztlich geht es bei dem Programm darum, wie sich unser aller Alltag, aber auch Kultur und Gesellschaft mit der zunehmenden Medienkommunikation wandeln. Vom Familienleben über die Politik bis hin zur Finanzwelt. Nicht nur zum Guten. Immer wieder erhebt der Bremer Soziologe in der Öffentlichkeit warnend seine Stimme. Seine Grundbotschaft: „Die Zivilgesellschaft muss sich dagegen wehren, dass dieser Wandel stattfindet, ohne dass sie daran aktiv beteiligt ist.“ Mit Friedrich Krotz sprach BUS-Redakteurin Karla Götz.

Sie nennen die sich ausweitende Mediengesellschaft „postdemokratisch“. Das klingt gefährlich.

Ich beziehe mich auf den britischen Politikwissenschaftler Colin Crouch. Er warnt mit seiner Definition von „Postdemokratie“ vor einer Unterhöhlung des Gemeinwesens. Die traditionellen Massenmedien und die Öffentlichkeit lösen sich auf. Wir haben zwar noch eine Demokratie, die Gewaltenteilung funktioniert, doch die demokratischen Institutionen von Staat und Gesellschaft verlieren ihre Funktion. Politische Entscheidungen werden immer häufiger in Hinterzimmern besprochen, zum Beispiel wenn die Koalitionsspitze ein Gesetz beschließen will. Das wird dann gleich über alte und auch neue Medien wie Twitter in der Öffentlichkeit bekannt gemacht, das Parlament beispielsweise gerät in den Hintergrund. Haben Sie bemerkt, dass es im Bundestag längst keine großen Debatten mehr gibt? Dafür wird die Macht der Lobbyisten größer. Wir müssen verdammt vorsichtig sein, was mit Demokratie und Gesellschaft passiert.

Sind Tageszeitungen keine kritische Instanz mehr?

Sie stehen in dem Dilemma, dass sie zugleich eine unverzichtbare gesellschaftliche Aufgabe haben, aber auch Geld verdienen müssen. Und das zusammen funktioniert nicht mehr. Die Leute informieren sich in immer größerem Ausmaß anders. Sie lesen weniger Zeitungen, nutzen Internetportale und social media. Das ist erstmal nur eine Strukturveränderung. Wir müssen dabei aber genau aufpassen, welche inhaltlichen Veränderungen sich einschleichen und ob wir als Zivilgesellschaft diese wollen. Natürlich kann man davon ausgehen, dass in den nächsten 100 Jahren die gedruckten Tageszeitungen eingehen. Was aber nicht untergehen darf und was wir dringend brauchen, ist guter Journalismus. Siehe aktuell Panama-Papers.

Ja, kann man da irgendwas tun, um eine Entwicklung aufzuhalten, in der Politik als PR-Aktion verkauft, statt kritisch hinterfragt wird?

Es gibt verschiedene Versuche. In Norwegen werden große Zeitungen inzwischen vom Staat finanziell unterstützt. In den USA stellt eine Stiftung Journalisten Geld zur Verfügung, damit sie unabhängig sind und Zeit zum kritischen Recherchieren haben. Ganz ohne Zeitung. Die Nachrichten werden dann in verschiedenen Medien veröffentlicht. Ein drittes Modell sind die Crowd-Reporter. Viele Bürger legen Geld zusammen, um unabhängige Journalisten zu finanzieren. Es gibt also schon ein Arsenal von Mitteln, die dem abhelfen, aber das alleine reicht noch nicht. Wir müssen uns auch als Zivilgesellschaft darum kümmern. Ich verwende hier den Habermasschen Begriff der Zivilgesellschaft, der wir alle angehören, soweit wir nicht als Wirtschaftssubjekte und Staatsbürger handeln: Zivilgesellschaft ist danach der Kern der Demokratie.

Was passiert andernfalls?

Wir sollten uns vor Augen führen, dass Informationen heute immer mehr von Computern gesteuert werden. Es gibt beispielsweise Programme, die Artikel schreiben können – gibt man der Software die relevanten Ereignisse eines Fußballspiels wie Tore oder gelbe Karten ein, verfasst sie einen lesbaren Zeitungsartikel darüber. Oder schauen Sie mal den jährlichen Geschäftsbericht von Siemens an – auch so etwas können Computer zusammenfassen, weil es immer um gleichartige Formulierungen geht und der Computer nur die jeweils unterschiedlichen Zahlen und Daten einsetzen muss. Die Entwicklungen in dieser Richtung werden immer weiter gehen. Aber die Zivilgesellschaft darf sich nicht der Kontrolle der Maschinen unterwerfen oder manipulieren lassen. Ich finde es unverantwortlich, dass eine Milliarde Menschen das Management ihrer privaten Beziehungen einem kommerziellen Programm wie Facebook anvertraut, und Facebook damit weitgehend machen kann, was es will. Und Google organisiert das gesamte menschliche Wissen inzwischen für uns. Google sortiert aber auch die Informationen, die es den Menschen zurückgibt. Da kommen erstmal drei Werbeantworten, Google teilt sie mir zu, und dann folgen endlos viele, aber jedenfalls ausgewählte Informationsangebote. All dies beinhaltet Möglichkeiten der Manipulation.

Also sind die neuen Medien Teufelszeug?

Genau das sage ich nicht. Ich sage, neue Medien sind Chancen und Risiken. Derzeit sind sie aber verkehrt organisiert. Durchkommerzialisiert, in der Hand von mächtigen Konzernen. Ein Beispiel. Wir werden gewarnt, wir hinterlassen Spuren im Netz und müssten aufpassen, uns mit technischen Mitteln gegen Ausspähung zu schützen. Das ist aber nicht der Punkt. Gesagt werden muss, dass es systematische Auswertungsprogramme der im Internet tätigen Firmen und der Geheimdienste gibt, die unsere Spuren suchen und sammeln. Nicht wir selber sind schuld, sondern die Organisation. Darum müssen wir uns kümmern. Und um unsere Nachrichten auch.

Porträt eines Mannes mit Brille