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Private Fürsorge für Kinder und Angehörige gerechter verteilen

Forschende des Deutschen Jugendinstituts (DJI) und der Universität Bremen empfehlen, dass alle Menschen ein Recht auf eine etwa neunjährige Auszeit im Berufsleben bekommen, um Kinder zu betreuen, Alte zu pflegen oder sich selbst fortzubilden.

Im Rahmen eines Forschungsprojekts haben sie ein sozialpolitisches Modell entwickelt. Die sogenannten Optionszeiten sollen nach dem Vorschlag des interdisziplinären Teams aus den Rechts- und Sozialwissenschaften teils von Unternehmen, teils vom Staat und teils von den Arbeitenden selbst finanziert werden.

Die Corona-Krise rückt in den Fokus, was lange zu wenig Beachtung in Politik und Gesellschaft gefunden hat: die berufliche und private Sorgearbeit. Gemeint sind damit Kinderbetreuung, Reinigungsarbeiten, Pflege von kranken und alten Angehörigen. Diese gesellschaftlichen Aufgaben werden in Deutschland immer noch überwiegend von Frauen verrichtet – im Privaten ganz ohne Bezahlung. Dies hat viele negative Folgen: Frauen, die ihre Erwerbsarbeit reduzieren, haben Nachteile auf dem Arbeitsmarkt und bei ihrer beruflichen Entwicklung sowie Einbußen bei Gehalt und Absicherung im Alter. Zudem wünschen sich Väter mehr Zeit für die Familie, während Mütter bei der Vielfalt an Aufgaben verstärkt mit Zeitkonflikten kämpfen. Dass Frauen und Männer neben ihrer Erwerbstätigkeit für andere sorgen können und diese Arbeit besser auf den Schultern beider Geschlechter verteilt wird, könnte ein neues sozialpolitisches Modell ermöglichen. Es wurde von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Deutschen Jugendinstituts (DJI) und der Universität Bremen in einem Forschungsprojekt entwickelt, das vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) gefördert wurde.  

„Moderne Erwerbsbiografien anpassen“

Das „Optionszeitenmodell“ sieht vor, dass grundsätzlich allen Menschen in ihrem Erwerbsverlauf ein Zeitbudget von etwa neun Jahren zur Verfügung steht. Es soll ihnen ermöglichen, ihre Erwerbsarbeit zugunsten gesellschaftlich relevanter Tätigkeiten zu unterbrechen beziehungsweise zu reduzieren und gleichzeitig während dieser Zeit finanziell abgesichert zu sein. Im Kern steht  die Fürsorge für Kinder, Alte und Kranke, wobei diese nicht mit der Sorge leistenden Person verwandt sein müssen. Das Zeitbudget wurde auf Grundlage empirischer Daten zu Zeitverwendung und Zeitbedarf für einzelne Tätigkeiten berechnet. Die Optionszeiten sollen nach dem Vorschlag des interdisziplinären Teams aus den Rechts- und Sozialwissenschaften teils von Unternehmen, teils vom Staat und teils von den Arbeitenden selbst finanziert werden. Eine vom Parlament kontrollierte Instanz soll das System verwalten.

„Arbeits-, Sozial- und Steuerrecht, die derzeit auf den drei chronologisch ablaufenden Phasen Bildung, Arbeit, Rente aufbauen, müssen an moderne Erwerbsbiografien angepasst werden, die ein kontinuierliches Fortbilden verlangen“, fordert der Jurist und Politikwissenschaftler Professor Ulrich Mückenberger. Er leitet das Forschungsprojekt an der Universität Bremen. Das Optionszeitenmodell berücksichtige deshalb nicht nur die Sorgearbeit, sondern auch Phasen der Weiterbildung und der persönlichen Selbstsorge.

„Das Optionszeitenmodell bedeutet den Abschied von der Norm der männlichen Erwerbsbiografie mit durchgängiger Vollzeitarbeit, die Unterbrechungen und Teilzeit als Abweichung kennzeichnet“, erklärt Dr. Karin Jurczyk, die das Forschungsprojekt „Selbstbestimmte Optionszeiten im Erwerbsverlauf“ am DJI und viele Jahre lang auch die DJI-Familienabteilung leitete. Stattdessen sollten „atmende Lebensläufe“, also flexible Berufsbiografien, ermöglicht werden, damit beide Geschlechter dem zunehmenden Sorgebedarf in einer alternden Gesellschaft nachkommen können. Begleitet werden müsse das Optionszeitenmodell vom Ausbau guter Infrastruktur für Pflege und Kinderbetreuung sowie einer besseren Bezahlung der sozialen Berufe, betont Jurczyk: „Denn es geht nicht darum, Fürsorgearbeit wieder in die Hände der Familien zu verlagern, sondern um ein produktives Zusammenwirken von Staat, Markt und Gesellschaft“.

Von der Idee des Optionszeitenmodells bis zum Forschungsprojekt

Erstmals in eine breitere Öffentlichkeit gebracht wurde das Konzept des Optionszeitenmodells mit dem siebten Familienbericht, der im Jahr 2006 unter dem Titel „Familie zwischen Flexibilität und Verlässlichkeit“ veröffentlicht wurde. Karin Jurczyk hat das Konzept dort stark gemacht. Sie war Mitglied der Sachverständigenkommission, die mit dem Verfassen des Berichts vom Bundesfamilienministerium beauftragt worden war. Später entwickelte Jurczyk gemeinsam mit Ulrich Mückenberger das Konzept weiter. Zentral dabei war eine Veranstaltung der „Deutschen Gesellschaft für Zeitpolitik“, deren Mitbegründer Mückenberger ist, im Jahr 2016. Danach arbeiteten die beiden Wissenschaftler das Konzept konkret im Rahmen des Forschungsprojekts „Selbstbestimmte Optionszeiten im Erwerbsverlauf“ aus. Dieses wurde von April 2017 bis Oktober 2018 im Rahmen des Fördernetzwerks interdisziplinäre Sozialpolitikforschung“ (FIS) vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales gefördert.

Weitere Informationen:

www.dji.de/Optionszeiten  
www.dji.de/themen/familie  
 

Fragen beantworten:

Prof. Dr. Ulrich Mückenberger (emeritiert)
Zentrum für Europäische Rechtspolitik (ZERP)
Universität Bremen
Tel. +49-421-218-66218
E-Mail: mueckenbprotect me ?!uni-bremenprotect me ?!.de   

Dr. Karin Jurczyk
Bis Ende 2019 Leiterin der Abteilung Familie, DJI
Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Zeitpolitik (DGfZP)
Tel.: +49-89-62021446
E-Mail: kajurczykprotect me ?!posteoprotect me ?!.de

Uta Hofele
Abteilung Medien und Kommunikation
Deutsches Jugendinstitut (DJI)
E-Mail: hofeleprotect me ?!djiprotect me ?!.de

Frau und Mann tragen ein Kind auf dem Rücken und lächeln sich an.
Frauen und Männer sollten neben ihrer Erwerbstätigkeit auch gleichberechtigter für ihre Kinder sorgen können. Ein neues sozialpolitisches Modell soll dies ermöglichen.