Mit der Digitalisierung der Medien- und Kommunikationstechnologien und der voranschreitenden tiefgreifenden Mediatisierung der Gesellschaft haben „digital methods“, „computational social sciences“ und „digital humanities“ für die Kommunikations- und Medienforschung an Bedeutung gewonnen. Auch im Bereich der klassischen Methoden empirischer Sozialforschung kommen sowohl bei der Erhebung als auch bei der Auswertung von Daten zunehmend verschiedenste Formen von Forschungssoftware zur Anwendung. Dabei kann es sich um einfache Scripte handeln, mit denen „digitale Spuren“ der Forschung zugänglich gemacht werden, es können komplexere selbst entwickelte Programme sein, die der Datenerhebung, -auswertung und -visualisierung dienen, oder auch experimentelle Online-Foren, Plattformen oder Simulationen zur Verhaltens- und Prozessbeobachtung. Forschungssoftware wird sowohl im Rahmen qualitativer als auch quantitativer Verfahren eingesetzt und kann damit zur Überbrückung der Grenzen zwischen beiden Methodologien beitragen, wie die aktuelle Diskussion um „digital methods“ zeigt.
Der Großteil derartiger Forschungssoftware wird im Rahmen einzelner Forschungsprojekte und im Hinblick auf deren spezifische Fragestellungen und praktische Rahmenbedingungen entwickelt. Auf diese Weise entsteht eine unüberschaubare Vielfalt von Verfahren und Technologien, über deren Funktionalitäten und Einsatzfelder, aber auch praktische Probleme und Grenzen kaum etwas bekannt ist: Es fehlt an einer sowohl methodischen als auch methodologischen Auseinandersetzung, an einer kritischen Reflexion von Forschungssoftware. Die Diskussion um „tool criticism“ beispielsweise zeigt, dass Software nicht einfach ein neutrales Werkzeug ist, sondern dass Daten durch die Nutzung kommerzieller APIs und den Aufbau entsprechender Algorithmen auf eine bestimmte Weise und interessengeleitet vorstrukturiert werden. Der Umstand, dass Forschungssoftware häufig aus punktuellen Einzelprojekten und Fragestellungen heraus entwickelt wird, stellt zusätzliche Herausforderungen im Hinblick auf Transparenz und nachhaltige Verfügbarkeit dar. In der Methodenausbildung wird der Einsatz von (akademischer) Forschungssoftware bisher nur selten unterrichtet, und es liegen nur wenige didaktische Materialien vor. Auch die Frage, inwiefern bestimmte Arten von Forschungssoftware mit einzelnen Forschungsparadigmen verbunden sind, gilt es intensiver zu diskutieren. Während sich Forschungssoftware rasant in der Kommunikations- und Medienforschung verbreitet, steht die Reflexion hierüber also erst am Anfang.
Das nun erschienene Themenheft von "Medien und Kommunikationswissenschaft" (1/2021) möchte eine solche Reflexion anregen. Beteiligte Autoren aus dem ZeMKI sind Prof. Dr. Andreas Hepp, Florian Hohmann und Dr. Erik Koenen. Folgende Beiträge setzen sich mit unterschiedlichen Fragestellungen auseinander:
Andreas Hepp / Wiebke Loosen / Uwe Hasebrink
Jenseits des Computational Turn: Methodenentwicklung und Forschungssoftware in der Kommunikations- und Medienwissenschaft – zur Einführung in das ThemenheftRichard Rogers
Digitale Methoden: Zur Positionierung eines AnsatzesKarin van Es / Mirko Tobias Schäfer / Maranke Wieringa
Tool Criticism and the Computational Turn. A “Methodological Moment” in Media and Communication StudiesMario Haim
Gütekriterien und Handlungsempfehlungen für die Entwicklung von Forschungssoftware in der Kommunikations- und MedienwissenschaftGerret von Nordheim / Lars Koppers / Karin Boczek / Jonas Rieger / Carsten Jentsch / Henrik Müller / Jörg Rahnenführer
Die Entwicklung von Forschungssoftware als praktische InterdisziplinaritätFlorian Hohmann
Co-Creation als Entwicklungsmethode. Zu Möglichkeiten und Grenzen partizipativer Forschungssoftwareentwicklung am Beispiel der Sortiersoftware MeSort und Tagebuchsoftware MeTagErik Koenen
Forschungssoftware für die Kommunikations- und Mediengeschichte. Epistemologische Herausforderungen und PerspektivenChristian Strippel
Forschungsinfrastrukturen für die Kommunikations- und Medienforschung im deutschsprachigen Raum. Initiativen, Bedarfe und Perspektiven
Das Themenheft ist kostenfrei (Open Access) hier abrufbar.