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Radikalisierung und Rechtsstaat - Podiumsdiskussion zu verfügbaren und unverfügbaren Grenzen rechtsstaatlichen Strafrechts
Als Start- und Ausgangspunkt für ein geplantes Forschungsprojekt zum Thema Radikalisierung und Rechtsstaat hat Prof. Dr. Ingeborg Zerbes am 7.6.1017 im Namen des Bremer Instituts für Kriminalwissenschaften zur Diskussion eingeladen (Flyer). Das Thema, dessen Aktualität auf so traurige Weise kurz zuvor mit den Anschlägen in London und Teheran bestätigt wurde, ist auf großes Interesse gestoßen: Der Veranstaltungssaal der Bremer Baumwollbörse war bis zum letzten Platz besetzt. Das Podium hat mit Frau Dr. Anna Oehmichen, RA bei Knierim und Krug und Lehrbeauftragte an der Universität Gießen, Dr. Gerwin Moldenhauer, StA beim BGH, Ullrich Mäurer, amtierender Senator für Inneres in Bremen und Prof. Dr. Ingeborg Zerbes unterschiedliche professionelle Blickwinkel und damit ein breites Spektrum an praktischen und theoretischen Erfahrungen aus Politik, Justiz und Wissenschaft geboten.
Im Zentrum der Diskussion standen die Gesetzesänderungen, die seit 2002 im Bereich Terrorismusabwehr vorgenommen wurden oder zurzeit in Planung sind. Sie haben durchaus zu einen Paradigmenwechsel des Strafrechts hin zu einem verstärkten Einsatz für Sicherheitsanliegen geführt – Stichwort: Einführung (weiterer) Vorfeldtatbestände, Ausbau verdeckter Ermittlungen. Diese Entwicklung wurde aus rechtsstaatlicher Sicht bewertet. Auf dem Podium wurde dabei recht bald der Konflikt zwischen effektiver Gefahrenabwehr in der polizeilichen und justiziellen Praxis auf der einen Seite und der rechtswissenschaftlichen Bekräftigung verfassungsrechtlichen Grenzen auf der anderen Seite deutlich. Dieser Eindruck verstärkte sich, sobald die Diskussion für das ebenfalls fachlich sehr versierte und heterogenen Publikum geöffnet wurde.
Wie weit und wie weit noch vor dem Eintritt einer akuten Gefahr darf der Staat individuelle Rechte beschränken, um die hier lebenden Menschen zu schützen? Aufgrund welcher Anzeichen dürfen die Behörden davon ausgehen, dass sich eine Person oder eine Gruppe zu einer Gefahrenquelle entwickelt - und ab wann dürfen sie einschreiten? – Am Diskussionsabend in der Baumwollbörse wurden diese komplexen, politisch aufgeladenen Fragen freilich nicht gelöst. Sie konnten aber als zentraler Auftrag an die Wissenschaft formuliert werden: der Bedarf an einer eingehenden Auseinandersetzung mit den aktuellen Verschärfungen im Strafrecht und im Gefahrenabwehrrecht sowie mit deren soziologischen und politischen Grundlagen. Vor allem hat sich gezeigt, dass die rechtsstaatlichen Rahmenbedingungen im Zusammenhang mit Terrorismusabwehr nicht (mehr) klar sind. Es gilt daher, sie neu zu bestimmen.
Eine ausführliche Zusammenfassung des Abends finden Sie hier.