Filmprogramm
Zur filmischen Biographie von TRIUMPF DES WILLENS Kommentierte Materialsichtung
FILMPROGRAMM ZU VORTRAG 1 // DO 23.5. / 15:30
Vorbilder und Zeitgeist – Eine kurze Bewegtbildanalyse zu TRIUMPH DES WILLENS
D 2023, Regie: Chris Wahl, 19 Min. (+ zahlreiche Filmausschnitte)
* moderiert von Chris Wahl
In einer Sendung des investigativen TV-Magazins Monitor wurde im Jahr 1994 ein „Skandal“ aufgedeckt: Die Bundeswehr benutze „in ihrer Werbung ähnliche Propagandamuster wie Leni Riefenstahl in ihrem Nazi-Film, der Großdeutschland beschwört“. Im Zentrum der Empörung stand ein kurzer Ausschnitt aus einem Werbeclip, der als Anspielung auf die berühmte Arbeitsmänner-Sequenz aus Triumph des Willens verstanden werden konnte: Ein ‚Vorsänger‘ fragt nach der Herkunft einzelner Männer und diese antworten mit dem Namen der Landschaft, aus der sie stammen.
In der Sichtung wird anhand von Beispielen aus der Film- und Fernsehgeschichte nachgezeichnet, wie diese vielfach zitierte Szene in ganz unterschiedliche Kontexte transponiert wurde – und dadurch einen kontinuierlichen Bedeutungswandel erfuhr.
Ergänzt wird diese Materialsichtung durch einen Video-Essay, der sich mit der Frage befasst, welche filmischen Vorbilder es für dieses und weitere Elemente von Triumph des Willens gegeben hat.
ORLANDO, MA BIOGRAPHIE POLITIQUE
FILM ZU VORTRAG 2 // DO 23.5. / 20:00
Orlando, meine politische Biografie, F 2023, Regie: Paul B. Preciado, 98 Min., OmdtU
Begrüßung durch Mila Crespo Picó (Dir. Instituto Cervantes Bremen)
* mit Einführung von Sebastian Schädler
Von einer Arte Redaktion angefragt, ob er seine Biografie verfilmen wolle, antwortete der als Trans-Aktivist und Philosoph bekannte Paul B. Preciado, das sei gar nicht nötig, die sei ja schon 1928 von Virgina Woolf geschrieben worden. Seine Adaption ihres Romans Orlando nimmt den Text als Ausgangspunkt, hinterfragt ihn aus Sicht einer Trans*-Person mit kritisch post-kolonialem Blick und schreibt ihn in die politische Gegenwart weiter. 25 trans* und nicht-binäre Menschen schlüpfen in Kostüme und verkörpern Woolfs Romanfigur Orlando als ein kollektives Ganzes. Dabei interessiert Preciado sich für den Prozess des Werdens, des Übergangs, dessen Marker Hormone und Mastektomien sind, verweist dabei aber auch auf die Begrenzungen durch das zwangsbinäre System.
Paul B. Preciados Regiedebut, für das er auch das Drehbuch verfasste, erhielt bei der Berlinale 2023 den Spezialpreis der Jury und den Teddy Award als bester Dokumentarfilm.
„Ein Film mit politischer Agenda, die ungewöhnlich schön ist – Trans ist Poesie“
(Olga Baruk, tip)
EN HELT ALMINDELIG FAMILIE
FILM ZU VORTRAG 2 // FR 24.5. / 14:30
Eine total normale Familie, DK 2020, Regie: Malou Reymann, mit Kaya Toft Loholt, Mikkel Boe Følsgaard, 93 Min., OmdtU
Die 11-jährige Emma hat immer gedacht, dass ihre Familie wie alle anderen ist. Bis ihr Vater Thomas sich eines Morgens als trans outet und erklärt, dass er von nun an als Frau leben wird. Während ihre Mutter sich scheiden lassen will und ihre ältere Schwester in die Rolle der Vermittlerin schlüpft, reagiert Emma zunächst mit Ablehnung und Verstörung, kämpft sich dann aber Schritt für Schritt zu einem neuen Verhältnis durch. Der Film arbeitet mit Zeitsprüngen und bringt den verschiedenen Perspektiven Geduld und Verständnis entgegen.
Malou Reymann verarbeitet in dieser dänischen Tragikomödie eigene Erfahrungen als Tochter, unterfüttert mit den Tagebuchnotizen ihres „Vaters“.
„Mit viel Feingefühl und leisem Humor zeichnet MalouReymann das Porträt einer Familie, die sich von heteronormativen Vorstellungen lösen muss, um eine gemeinsame Zukunft zu haben.“ (Queerfilmnacht)
THE SOUVENIR
FILM ZU FORUM 1 // MI 22.5. / 20:00
USA/UK 2019, Regie: Joanna Hogg, mit Honor Byrne, Tom Burke, Tilda Swinton, 119 Min., OV
* mit Einführung von Elena Meilicke
Anfang der 1980er Jahre. Julie ist eine Filmstudentin, die noch mühsam nach ihrem eigenen Stil, ihrer eigenen Filmsprache sucht. Eine Liebesaffäre mit einem älteren Mann wird von Julies Familie und Freunden als gefährlich betrachtet und entwickelt sich bald tatsächlich in eine Art Abhängigkeitsverhältnis.
The Souvenir ist eine autofiktionale Erzählung, in der die Regisseurin Joanna Hoggs die subtilen Feinheiten zwischen Realität und Fiktion, zwischen Liebe und Abhängigkeit auslotet.
„The Souvenir ist ein komplexer Film, grandios gespielt, dazu elegant und präzise fotografiert (Kamera: David Raedeker) und geschnitten (Schnitt: Helle le Fevre). […] Alles steht hier in Beziehung zueinander: die Kunst zum Leben und beides wiederum zu der sozialen Klasse und gesellschaftspolitischen Begebenheiten.“ (Sonja Hartl, Kino-Zeit)
THE SOUVENIR: PART II
FILM ZU FORUM 1 // SA 25.5. / 20:00
USA/UK/IR 2021, Regie: Joanna Hogg, mit Honor Byrne, Tilda Swinton, James Spencer Ashworth, 107 Min., OV
In ihrem Abschlussfilmprojekt versucht Julie ihre aufreibende Beziehung zu ihrem Exfreund Anthony zu verarbeiten. The Souvenir: Part II ist eine Fortsetzung von Joanna Hoggs autobiographisch gefärbten Film The Souvenir aus dem Jahr 2019, der dem Thema des beruflichen und persönlichen Wandels eine zusätzliche Dimension verleiht.
„The Souvenir: Part IIist eine faszinierende Verschachtelung von Auto- und Metafiktion. Hogg zeigt, dass Erinnerungsbilder immer filmisch gedacht werden. Die Frage nach dem Verhältnis von Wirklichkeit und Imagination kondensiert in einer einfachen Gleichung: Art is Life.“ (Esther Buss, Tagesspiegel)
LA PREMIÈRE NUIT und RENTRÉE DES CLASSES
FILMPROGRAMM ZU FORUM 1 // DO 23.5. / 14:30
LA PREMIÈRE NUIT
F 1958, Regie: Georges Franju, mit Pierre Levis, Lisbeth Persson, 23 Min., OV
RENTRÉE DES CLASSES
F 1955, Regie: Jacques Rozier, mit René Boglio, Marius Sumian, 20 Min., OV
* mit Einführung von Bettina Henzler
Ein Junge wird bei Nacht in die Pariser Metro eingeschlossen – ein anderer schwänzt die Schule um dem Lauf eines Flusses zu folgen. Beide überschreiten auf ihrer Reise die Grenzen der Realität. Während der Protagonist in La première nuit einem mysteriösen blonden Mädchen hinterherjagt, begibt sich der Held in Rentrée des classes in einen magischen Naturraum, in dem selbst eine kleine Schlange keine Bedrohung ist.
„In La première nuit, shadows, rather than obscuring or blocking our vision, often allow us to see further. The metro becomes a site of enhanced visibility, prone to projections, hallucinations, lyrical associations.” (Cristina Álvarez López, MUBI)
„Ich kenne keinen anderen Fall, in dem ein Regisseur gleich in seinem ersten Kurzfilm ein solches Meisterwerk hinlegt.“ (Ekkehard Knörer, cargo)
Das Screening findet in Kooperation mit dem Projekt "CinEd – European Cinema Education for Youth“ der Deutschen Filmakademie statt, das jungen Menschen kostenfreien Zugang zur Vielfalt des europäischen Kinos bietet: www.cined.eu
DELIKATESSEN
FILM ZU FORUM 2 // FR 24.5. / 20:00
D 1930, Regie: Géza von Bolváry, mit Harry Liedtke, Ernst Verebes, Georgia Lind, 82 Min., OV
* mit Einführung von Daniel Wiegand
Franz Hellmer und sein Freund Bela arbeiten im Delikatessengeschäft von Paul Wallis. Die hübsche Lilo Martens bringt die gewohnte Ordnung jedoch schnell durcheinander: Was wie ein normaler Arbeitstag beginnt, endet in Liebeswirbel, ernsthafter geschäftlicher Konkurrenz und Problemen mit der Polizei.
Im Teiltonfilm Delikatessen begann Géza von Bolváry mit dem Synchronton zu experimentieren. Schon während der Produktion als technisch ‚veraltet‘ angesehen, gelingt dem Film ein innovativer Umgang mit der Übergangszeit vom Stumm- zum Tonfilm, der der amüsanten Handlung einen zusätzlichen Reiz verleiht. Von Bolváry prägte später das Genre der Wiener Tonfilmoperette.
„Obwohl noch unvollkommen, akzeptierte das Publikum das Ganze als Tonfilm und hatte seine Freude daran. Daneben gab es – wie fast immer – die stumme Fassung für die Provinz.“ (Karlheinz Wendtland, Geliebter Kintopp)
CARNIVAL OF SOULS
FILM ZU FORUM 3 // FR 24.5. / 22:15
USA 1962, Regie: Herk Harvey, mit Candace Hilligoss, Frances Feist, 80 Min., OV
* mit Einführung von Lars Nowak
Unter mysteriösen Umständen überlebt Mary Henry einen Autounfall, bei dem ihre zwei Freundinnen ums Leben kommen. Trotzdem setzt Mary ihre Reise nach Salt Lake City fort, wo sie eine Stelle als Organistin in einer Kirche angenommen hat. Als sie im Spiegelbild eines Fensters die Erscheinung eines Untoten (gespielt von Regisseur Herk Harvey selbst) sieht, wird ihre Reise zu einem Albtraum.
Herk Harveys einziger Spielfilm basiert auf Ambrose Bierces Kurzgeschichte Zwischenfall auf der Eulenfluß-Brücke, die wie der Film mit Zwischenzuständen wie Halluzinationen und Visionen arbeitet und so den Transitionsraum zwischen Leben und Tod auslotet.
„Carnival of Souls ist, so absurd das angesichts eines No-Budget-Movies klingt, ein perfekter Film. Er erreicht größtmögliche Effekte mit den einfachsten Mitteln, ohne dass diese je nur Mittel zu diesen Effekten wären.“ (Ekkehard Knörer, Filmzentrale)
NON-ALIGNED: SCENES FROM THE LABUDOVIĆ REELS
FILM ZU FORUM 1 // SA 25.5. / 14:30
F/HR/ME/QA/SRB 2022, Regie: Mila Turajlić, 100 Min., OmengU
Die späten 1950er Jahre waren für Jugoslawien eine Zeit der Neuorientierung: Präsident Josip Broz Tito unternahm den Versuch, die Bewegung der Blockfreien Staaten zu gründen, um nach dem Bruch mit Stalin neue Partner im Ost-West-Konflikt zu finden. Auf seiner Reise in ehemalige Kolonien wie Äthiopien, Indonesien und Indien begleitete ihn der junge Kameramann Stevan Labudović.
Die Regisseurin Mila Turajlić verbindet das von ihr im Belgrader Filmarchiv gefundene Material und die von ihr gefilmten Gespräche mit Stevan Labudović zu einer faszinierenden dokumentarischen Filmstudie über eine Zeit der Hoffnungen in einem mittlerweile verschwundenen Land.
„Die unprätentiöse Eleganz, mit der die Editorinnen Sylvie Gadmer und Mila Turajlić die verschiedenen Ebenen des Filmes miteinander verweben, lässt die Komplexität und die Vielschichtigkeit dieses filmischen Kosmos leicht erscheinen.“ (Jury Begründung, DOK.fest
RHYMES FOR YOUNG GHOULS
FILM ZU FORUM 3 // SA 25.5. / 17:00
Can 2013, Regie: Jeff Barnaby, mit Kawennáhere Devery Jacobs, Glen Gould, Brandon Oakes, 88 Min., OmengU
* mit Einführung von Michael Fleig
Bis 1996 mussten in Kanada Kinder der indigenen Bevölkerung per Gesetz spezielle Internate besuchen. Für die Bewohner*innen des Mi’kmaq-Reservats “Red Crow“ bedeutete dies Unterdrückung, Demütigung und Gewalt. In Rhymes for Young Ghouls versucht sich die junge Protagonistin dem unmenschlichen Schulsystem zu entziehen und kämpft nach dem Tod ihres Bruders sowie der Verhaftung ihres Vaters um ihre Zukunft.
Mit schonungslosen und teilweise verstörenden Bildern kommentiert das Drama die Unterdrückung der indigenen First Nations in Kanada. Regisseur Jeff Barnaby, der selbst dem Volk der Mi’kmaq angehört, setzt sich mit der traumatischen Vergangenheit auseinander.
„Starting off grim and growing ever grimmer, Rhymes for Young Ghouls is a blood- and booze-soaked revenge drama marking the impressive debut of filmmaker Jeff Barnaby. […] Writer-director Barnaby weaves a surprising amount of tenderness into the fabric of violence, as well as a good measure of magic realism, to keep the gritty story engaging.” (Michael Rechtshaffen, Los Angeles Times)