Zentrum für Europäische Rechtspolitik (ZERP)


Das Zentrum für Europäische Rechtspolitik der Universität Bremen (ZERP), 1982 vom Senat der Freien Hansestadt Bremen als Stiftung gegründet, ist ein interdisziplinäres Forschungsinstitut. Seit Januar 2009 ist es ein inneruniversitäres Institut. Sein Spezifikum liegt in der Verbindung von rechts-, politik- und gesellschaftswissenschaftlicher Forschung, welches die Disziplinen des europäischen und internationalen Verfassungs-, Wirtschafts- und Privatrechts, der Rechtstheorie und -soziologie, der politischen Theorie sowie der Geschlechterforschung einbezieht.
Derzeit befindet sich das ZERP in einer Phase der programmatischen Neuausrichtung. Zum 1. Dezember 2022 sind Prof. Dr. Pia Lange und Prof. Dr. Lars Viellechner neben Prof. Dr. Christian Joerges und Prof. Dr. Christoph Schmid in das Direktorium des ZERP aufgenommen worden. Prof. Dr. Andreas Fischer-Lescano ist zum 30. September 2022 ausgeschieden.
I. Forschungskonzeption
Zentraler Fokus der Arbeiten des ZERP ist die Zukunft sozialer Rechte und Demokratie angesichts von Europäisierung und Globalisierung.1 Schon im Gründungskonzept bildeten die „sozialen Auswirkungen“ des europäischen Prozesses einen thematischen Schwerpunkt, obwohl die Diskussionen um das soziale Europa damals gerade erst begannen. Das ZERP folgt damit seit seiner Gründung 1982 dem Leitthema, das der damalige Bremer Bürgermeister Hans Koschnick auf dem Gustav-Radbruch-Forum für Rechtspolitik, Rechtswissenschaft, Rechtspraxis am 06./07. April 1979 in Bremen vorgegeben hatte. In seiner Rede zu der Tagung, die letztlich zur Gründung des ZERP führte, forderte er, dass die soziale Frage in den Blick europäischer Rechtspolitik rücken müsse, wenn die Forderung eines Europas der Bürger nicht zur Worthülse verkommen solle. Wer Impulse geben wolle für eine Europäische Rechtspolitik, der werde,
„viel Ballast konservativer juristischer Esoterik abwerfen müssen, der wird sich eben nicht begnügen können mit Versuchen, verschiedene nationale Rechtsordnungen auf europäischer Ebene zu harmonisieren. Der kleinste gemeinsame juristische Nenner wird nur in den seltensten Fällen eine Antwort sein können auf die sozialen Herausforderungen dieses Europas“ (Koschnick, Recht und Politik 1979, 70/73).
Angesichts wachsender sozialer Disparitäten hat dieses Leitmotiv nichts an seiner Aktualität eingebüßt. Heute kommt es angesichts neuer globaler Herausforderungen, etwa im Bereich der Ökologie, der Weltwirtschaft oder der Migration, darauf an, diese Perspektive unter den Bedingungen der „postnationalen Konstellation“ zu revitalisieren: Die Europäisierung von Recht und Politik und die Emergenz neuer Ordnungsmuster im europäischen Kontext sind Elemente umfassender Transnationalisierungsprozesse, die durch wachsende Interdependenzen und durch die Transformation von Ordnungen in unterschiedlichen Sozialbereichen wie Wirtschaft, Politik, Wissenschaft usw. gekennzeichnet sind. Dabei entstehen Sozial- und Produktionsbeziehungen, politische Institutionen und Rechtsverhältnisse jenseits des Nationalstaats. Der europäische Prozess ist ein zentraler Teil dieser Transnationalisierung.
In den neuen Ordnungen stellt sich die soziale Frage zunehmend als „globale soziale Frage“. Europäische Rechtspolitik, die sich ihrer Gestaltung annimmt, ist eingebettet in die rechtspolitischen Entwicklungen der Weltgesellschaft. Zwischen internationaler und europäischer Rechtspolitik liegt ein enges Wechselverhältnis vor: Auf der einen Seite kann europäische Rechtspolitik keinen hinreichenden Zugang zu europäischen Ordnungsmustern gewinnen, solange man diese Prozesse nicht in den Kontext globaler Ordnungsbildung stellt. Europäische Regulierungen der Finanzmärkte, der Wirtschaft, des Privatrechts, der Migration etc. sind ohne Blick für die internationalen Einbettungen weder nachvollziehbar noch adäquat zu gestalten.
Auf der anderen Seite kann ohne ein Bewusstsein für die (alt-)europäische Idee der Herrschaft des Rechts und ohne eine Betrachtung europäischer Interventionen in globale Ordnungsbildungen ein angemessenes Verständnis internationaler Rechtspolitik nicht erarbeitet werden.
Der Begriff der Ordnung bezeichnet in diesem Zusammenhang Sozialbereiche, die in Bezug auf ihre gesellschaftliche Funktion durch eine je besondere Normativität charakterisiert sind. Regelmäßig sind Ordnungen in ihrer Funktionsweise auf das Medium rechtlicher Normen verwiesen. Am klassischen Beispiel: Staatliche Ordnung wird heute durch Recht (Verfassung) etabliert und im Wege des Rechts (Gesetzgebung) gesetzt, die Ordnung des Marktes funktioniert aufgrund von Rechtstiteln (Eigentum) und vermittels rechtlich artikulierter Interaktion (Vertrag und Gesellschaft). Das rechtliche Substrat einer Ordnung muss dabei nicht immer in staatlichen Rechtsnormen bestehen, es kann auch gesellschaftlich-autonomen Ursprungs sein (wie die lex mercatoria für den transnationalen Handel) oder in neuartigen Hybridbildungen zwischen staatlichem Recht und gesellschaftlich-autonomer Normbildung bestehen (wie sich an europäischen Normbildungen durch den Sozialen Dialog oder an den Kernarbeitsnormen der ILO zeigen lässt).
In diesen Ordnungsmustern stellen sich soziale Rechte als Verfassungsfragen dar. Dem Verfassungsbegriff kommt hierbei eine doppelte Funktion zu: Einerseits lassen sich in deskriptiver Hinsicht Grundregeln der Entscheidungsprozesse, Organisations- und Verfahrensregeln im transnationalen Raum identifizieren, die auf Konstitutionalisierungsprozesse schließen lassen. Andererseits ist mit dem Verfassungsbegriff ein normativer Anspruch verbunden, der Fragen der demokratischen Legitimation und gesellschaftlichen Rückbindung rechtlich-politischer Strukturen in den Blick nimmt.
Ob nun die Beantwortung der europäischen und globalen sozialen Problemlagen der demokratischen Verfügung der Gesellschaft unterliegt, hängt von der konkreten Form ab, in die transnationale Verfassungspolitik die rechtlichen Grundlagen der weltgesellschaftlichen Ordnungsmuster gießt. Es ist nicht ausgemacht, ob sich die Idee einer verfassungsrechtlichen Bedingtheit der Ordnungskonstitution nicht als „eine europäische Anomalie“ erweisen wird, die sich – so eine dunkle soziologische Warnung von Niklas Luhmann – möglicherweise „in der Evolution einer Weltgesellschaft abschwächen wird.“ Die Arbeiten des ZERP zur Europäischen Rechtspolitik als transnationale Verfassungspolitik wollen diese Evolution der Weltgesellschaft nicht nur beobachten, sondern auch nach Strategien der Implementierung sozialer und demokratischer Rechte suchen.
Der europäische Prozess ist selbst Ursache vieler Um- und Neu-Ordnungen, die angemessenen Formen ihrer demokratischen und rechtlichen Fundierung stehen jedoch im Streit. Das gilt etwa für neue Wettbewerbsordnungen zur Bereitstellung öffentlicher Güter wie für Institutionen markteinheitlicher Risikoregulierung, für die Koordinierung nationalstaatlicher Sozialordnungen ebenso wie für europäisch und global induzierte Umgestaltungen des Privatrechts sowie für strafrechtliche und migrationsrechtliche Entwicklungen. Da die Emergenz dieser und anderer Ordnungen in erster Linie Ergebnis disparater gesellschaftlicher Entwicklungen und nicht etwa Ausfluss einheitlicher politischer Gestaltung sind, kommt es in den komplexen weltgesellschaftlichen Ordnungsmustern schließlich zu einer Pluralität komplementärer, aber auch sich überlagernder oder kollidierender Ordnungen.
Die Weltgesellschaft ist von diesen polyzentrischen Ordnungsbildungen geprägt und wird selbst zum Austragungsort eines ständigen „Kampfes um die internationale Gesellschaftsordnung als Rechtsverfassung“ (Rudolf Wiethölter). Zum einen stellt sich die Frage, wie rechtlich-politische Strukturen an gesellschaftliche Willensbildungsprozesse angebunden werden, zum anderen ist so auch die konstitutionelle Frage nach der Behandlung dieser Pluralität aufgeworfen. Dies verweist auf die Möglichkeitsbedingungen eines Verfassungskollisionsrechts. Schon immer „international vom Gemüt“ scheinen kollisionsrechtliche Ansätze in besonderer Form geeignet zu sein, um die Vielzahl an globalen Normenkollisionen zu erhellen und ihre Anbindung an das soziale Substrat der Weltgesellschaft sichtbar zu machen. Sie können eine Rückbindung der Normkollisionen in Gang setzen, welche die Realwidersprüche der Weltgesellschaft nicht zuschüttet, sondern die Problemstellungen in demokratischer Absicht in gesellschaftliche Aushandlungsprozesse zurück verweist.
II. Intra- und interdisziplinäre Vielfalt
Die programmatische Fragestellung des ZERP vereint vor diesem Hintergrund ein empirisches und ein normatives Interesse. Empirisch geht es um die Ordnungsbildung und ihre Konstitutionalisierung, die involvierten Akteure und Institutionen sowie die spezifische Normativität der neuen Ordnungen mitsamt ihren konstitutionalisierenden Bindungen. Normativ geht es um eine Bewertung der in Konstitutionalisierungsprozessen erzielten Leistung sozialer Responsivität und um eine Analyse von Spannungen und Widersprüchen zwischen verschiedenen Ordnungen unter dem Gesichtspunkt der Möglichkeit einer Bewältigung ihrer Kollisionen. In dem so aufgespannten Feld sind sämtliche Fragestellungen der Projekte des ZERP angesiedelt. Sie sind folgerichtig interdisziplinär ausgerichtet mit dem Schwerpunkt auf einer demokratieverpflichteten Rechts-, Sozial- und Politikwissenschaft. In diesem Sinne leisten die Forschungsarbeiten des ZERP einen Beitrag dazu, die Spielräume für ein demokratisches, ökologisches und soziales Recht unter europäischen und weltgesellschaftlichen Bedingungen auszuloten und in Rechtsvergleichung, Rechtsphilosophie, Rechtstheorie und Rechtssoziologie sowie europäischem und internationalem Verfassungs-, Wirtschafts- und Privatrecht auf die quaestio iuris zu beziehen.
Unterschiedliche Theorieansätze machen dabei ein produktives Spannungsfeld auf, um den Verfassungsbegriff unter europäischen und weltgesellschaftlichen Bedingungen zu reformulieren: Deliberative Ansätze versuchen, die Verfassungsidee mit einem deliberativen Supranationalismus einzulösen, der darauf setzt, die Diskussions- und Aushandlungsprozesse zwischen Entscheidungsträgern und die Kompatibilisierung der Normordnungen zu institutionalisieren. Die Systemtheorie beobachtet, wie sich einzelne Gesellschaftssektoren, gerade auch in Distanz zu den politischen Institutionen, verfassen, und neue Formen der Netzwerk- und Selbststeuerung implementiert werden. Dass sich im Zuge der Globalisierung ein neuer Konstitutionalismus etabliert, der die Strukturzusammenhänge kapitalistischer Vergesellschaftung rechtlich-politisch „verfasst“, ist der zentrale Impuls post-materialistischer Denkansätze. Die Frage, wie Normordnungen im transnationalen Maßstab auch diskursiv „verfasst“ werden, ist Gegenstand poststrukturalistischer Forschungen. Insbesondere post-koloniale Studien machen darauf aufmerksam, wie sich Anliegen sozialer Bewegungen und rechtspolitischer Kämpfe des globalen Südens in den neuen Konstitutionalismus einschreiben. Die feministische Rechtstheorie thematisiert die Konstruktion von Geschlecht in diesen Prozessen. Es sind oft nicht nur gesellschaftliche Faktoren, die Fortschritte bei der Gleichberechtigung der Geschlechter erschweren, sondern das Recht selbst enthält trotz zahlreicher Reformansätze immer noch Widersprüche und belohnt Verhaltensweisen, die in der Praxis einen Verzicht auf Gleichberechtigung bedeuten.
Rechtliche Ordnungsvorstellungen schlagen sich in Gesetzen, Verordnungen, Richtlinien, Abkommen, Urteilen und Verhaltenscodices nieder. Sie bedürfen der Interpretation und der begleitenden rechtsdogmatischen Strukturierung. Diese „Rechtspolitik im engeren Sinne“ muss die Durchdringung nationaler, supranationaler und europäischer und inter- bzw. transnationaler Rechtsordnungen sowie die Verwerfungen bzw. Überschneidungen zwischen unterschiedlichen Regimekomplexen analytisch-kritisch begleiten.
III. Programmbereiche
Die Arbeiten zur Europäischen Rechtspolitik sind bestrebt, die interdisziplinären Verbindungslinien herauszustellen, um eine gesellschaftstheoretisch informierte Perspektive auf transnationale Demokratisierungsansätze zu gewinnen und auf das Ideal eines sozial gerechten (hierzu 1), auf Menschenrechte und Schutz der ökologischen Grundlagen verpflichteten (hierzu 2), und Grundfragen demokratischer und friedlicher Governance adressierenden (hierzu 3) transnationalen Verfassungsrechts hin zu beziehen.
Damit greifen die Programmbereiche drei zentrale Dimensionen verfassungsmäßiger Ordnungsbildung auf. Demokratische Verfassungen gewähren Abwehr- und Leistungsrechte, die Autonomiebereiche und ökologische Existenzgrundlagen schützen (Menschenrechte & Ökologie). Daneben stellen Verfassungen Foren und Verfahren zur friedlichen gesellschaftlichen Konfliktaustragung bereit und ermöglichen die demokratische Disposition über die gesellschaftlichen Ordnungen (Demokratie und Frieden). Schließlich ist in der europäischen Verfassungstradition mit dem Sozialstaatsgebot ein Umverteilungs- und Gerechtigkeitspostulat enthalten, das die Einhegung sozialer Ungleichheiten und die gesellschaftliche Responsivierung ökonomischer Eigentumsverhältnisse zum Ziel hat (soziale Gerechtigkeit). Die Arbeiten des ZERP gehen der Frage nach, wie sich diese Kernfunktionen der Verfassung im europäischen und transnationalen Maßstab reformulieren lassen.
1. Wirtschaft und Soziale Gerechtigkeit
Ohne eine soziale Dimension stößt europäische und (welt-) gesellschaftliche Ordnungsbildung auf gravierende gesellschaftspolitische Akzeptanzprobleme. Die sozialen Sicherungssysteme werden durch strukturelle Arbeitslosigkeit, die von der Wirtschafts- und Währungsunion geforderte Haushaltsdisziplin und die globalen Finanzmärkte unter Anpassungsdruck gesetzt. Die neuen EU-Mitgliedstaaten sind in den Binnenmarkt integriert, weisen allerdings nur schwache sozialstaatliche Sicherungsmechanismen auf. Insgesamt stellt sich die Frage, wie die Zukunft sozialer Rechte und eine damit in Verbindung stehende Sozialverfassung im europäischen und transnationalen Maßstab zu konzeptionalisieren sind.
Die jüngsten Entwicklungen innerhalb der EU, aber auch die Verfasstheit transnationaler Institutionen wie der WTO oder des IWF – in ihrem Verhältnis zu internationalen Institutionen wie der ILO, der UNESCO oder der WHO - deuten auf das Paradigma einer marktliberalen Rechtsstaatlichkeit hin, welche die Freiheit unternehmerischen Handelns über die Gewährleistung sozialer und menschenrechtlicher Standards stellt. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in den Fällen Laval, Viking, Luxemburg und Rüffert2 hat diese Ausrichtung nochmals bestätigt: Statt auf ein Kollisionsrecht zu setzen, das die Spannungen zwischen der marktliberalen Wirtschaftsverfassung und der europäischen Sozialverfassung artikulierbar macht, räumt der EuGH regelmäßig der marktliberalen Wirtschaftsverfassung Vorrang ein. Das Projekt eines ent-betteten Welthandels ist mit der Wirtschafts- und Finanzkrise jedoch zunehmend in der Legitimationskrise. Fraglich ist nun wie ein demokratisch-soziales re-embedding im Sinne einer postneoliberalen Agenda für die transnationale Wirtschafts- und Sozialverfassung und ein transnationales Kollisionsrecht ausgestaltet werden kann.
2. Menschenrechte und Ökologie
Transnationale Verfassungspolitik als Rechtspolitik in der postnationalen Konstellation adressiert ferner die Transnationalisierung der Menschenrechtspolitik und des Menschenrechtschutzes. Die Europäische Grundrechte-Charta, die regionalen Menschenrechtsvereinbarungen im Rahmen des Europarates, die universellen Vereinbarungen, insbesondere um die beiden UN-Pakte und eine ganze Reihe spezieller Vertragswerke bilden die textliche Grundlage für heterarchische Menschenrechtsschutzsysteme, die durch eine wachsende Anzahl transnationaler Foren implementiert werden. Gleichzeitig eignen sich zivilgesellschaftliche Initiativen zunehmend die proklamierten Rechte an und nutzen transnationale Gerichtsbarkeiten als Foren für ihre rechtspolitischen Anliegen.
Es ist aber weiterhin umstritten, welche Maßstäbe an einen effektiven Menschenrechtsschutz zu legen sind und wie er international gewährleistet und eine unmittelbare menschenrechtliche Sensibilisierung sichergestellt werden kann. Gegenwärtig sind es gerade ökologische Krisen und das Migrationsrecht, die wichtige Ansatzpunkte für eine Menschenrechtspolitik markieren: Beispielsweise stellt sich die Frage, welchen Status sog. Umweltflüchtlinge erhalten, die in Folge von Umweltkatastrophen migrieren, oder ob Unternehmen, von denen Gefährdungen für Menschenrechte und Umwelt ausgehen, die strukturanalog zu den Gefährdungen durch das politische System sind, dafür zur Verantwortung zu ziehen sind.
3. Transnationale Demokratie und Frieden
Europäische Rechtspolitik verstanden als transnationale Verfassungspolitik geht davon aus, dass ein öffentlicher und privater Konstitutionalisierungsprozess in Gang ist, der die Anordnungen von regulativen Funktionen und demokratischer Partizipation, wie sie historisch den westlichen Territorialstaat prägten, transformiert. Internationale Verwaltungs- und Akteursnetzwerke, die Privatisierung von Staatsfunktions-Kernbereichen wie bspw. der Sicherheitspolitik oder die Rolle juridischer Rechtsfortbildung wie sie bspw. in den Urteilen des EuGH zum Ausdruck kommen, fordern eine demokratische Rechtspolitik geradezu heraus.
In diesem Kontext stellen sich dann Fragen zum Verhältnis von Recht, Politik und Demokratie. Eine drängende Frage ist dabei, wie die neuen rechtlich-politischen Ordnungsmuster in der EU und im transnationalen Maßstab unter dem Gesichtspunkt eines globalen Konstitutionalismus zu bewerten sind und welche gesellschaftlichen Anliegen und sozialstrukturellen Veränderungen sich dabei einschreiben: Was sind die Konturen eines europäischen und globalen Konstitutionalismus? Wie stellt sich die Koppelung von Recht und Politik, von Kommunikation und Dezision, von voice und Berechtigung dar und welche Möglichkeiten bestehen, diese Koppelungen unter veränderten Bedingungen zu rekonstruieren? Wie gestaltet sich das Verhältnis von Legitimität und Effektivität dieser grenzüberschreitenden Normbildungen?
Dafür ist an den Standard der gesellschafts-, politik- und rechtstheoretischen Diskussion anzuknüpfen. Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang die Verbindung von Gesellschaftstheorie und Demokratietheorie und Analysen zu den Übersetzungsprozessen zwischen gesellschaftlichen, politischen und rechtlichen Kräfteverhältnissen. So entsteht ein interdisziplinäres Programm, das Erkenntnisse aus Staats, Rechts- und Demokratieforschung zu verbinden sucht und moderne und postmoderne Arbeiten zum Wirken des Politischen im Weltrecht und zur Vervielfältigung von „distant proximities“ (James Rosenau) sowie rechtspolitischer „Assemblages“ (Saskia Sassen) aufnimmt. Es war das zentrale Projekt der modernen Gesellschaftstheorien von Jürgen Habermas bis Niklas Luhmann, Diagnosen zu den Spielräumen des Rechts- und Politiksystems aus gesellschaftstheoretischen Einsichten zu gewinnen. Die Möglichkeitsspielräume sozialer Demokratie können nur dann angemessen bestimmt werden, wenn die Konsequenzen der Ausdifferenzierung von Wertsphären (Habermas), sozialen Systemen (Luhmann) und Diskursen bzw. Bedeutungs- und Sprachspielen (Poststrukturalismus) auch in rechtspolitischen und demokratietheoretischen Überlegungen Berücksichtigung finden (ausf. Fischer-Lescano, Europäische Rechtspolitik als transnationale Verfassungspolitik. Soziale Demokratie in der transnationalen Konstellation, 2010).
Die Arbeiten zur Europäischen Rechtspolitik sind bestrebt, die interdisziplinären Verbindungslinien herauszustellen, damit eine gesellschaftstheoretisch informierte Perspektive auf transnationale Demokratisierungsansätze zu gewinnen und auf das Ideal eines sozial gerechten, auf Menschenrechte und Schutz der ökologischen Grundlagen verpflichteten, und Grundfragen demokratischer und friedlicher Governance adressierenden transnationalen Verfassungsrechts hin zu beziehen.
Damit greifen die im Dachprogramm genannten drei Programmbereiche drei zentrale Dimensionen verfassungsmäßiger Ordnungsbildung auf. Demokratische Verfassungen gewähren Abwehr- und Leistungsrechte, die Autonomiebereiche und ökologische Existenzgrundlagen schützen (Schutz der Umwelt und Menschenrechte). Daneben stellen Verfassungen Foren und Verfahren zur friedlichen gesellschaftlichen Konfliktaustragung bereit und ermöglichen die demokratische Disposition über die gesellschaftlichen Ordnungen (Transnationale Demokratie und Frieden). Schließlich ist in der europäischen Verfassungstradition mit dem Sozialstaatsgebot ein Umverteilungs- und Gerechtigkeitspostulat enthalten, das die Beendigung sozialer Ungleichheiten und die gesellschaftliche Responsivierung ökonomischer Eigentumsverhältnisse zum Ziel hat (Wirtschaft und soziale Gerechtigkeit). Die Arbeiten des ZERP gehen der Frage nach, wie sich diese Kernfunktionen der Verfassung im europäischen und transnationalen Maßstab reformulieren lassen.
Hier finden Sie die aktuellen Projektbeschreibungen.

Hans Alexy | Andreas Anter | Gert Brüggemeier |
Benedikt Buchner | Sonja Buckel | Sebastian Eickenjäger |
Michelle Everson | Heiner Fechner | Andreas Fischer-Lescano |
Carola Glinski | Christine Godt | Ulrich Mückenberger |
Marta Santos Silva | Klaus Sieveking | Alex Valle |
Chenguo Zhang (Coco) | Jochen Zimmermann |

Direktorium
Christoph Schmid
Geschäftsführender Direktor
Pia Lange
Direktorin
Lars Viellechner
Direktor
Christian Joerges
Direktor
