Perfektionismus

Perfektionismus ist definiert als ein Streben nach unrealistisch hohen Zielen, verbunden mit einer starken Selbstabwertung bei Fehlern. Bisherige Studien zeigen, dass Perfektionismus mit einer Vielzahl psychischer Störungen zusammenhängt.  Allerdings gibt es bisher nur sehr wenige Studien dazu, ob und wie Perfektionismus kausal zur Entstehung und Aufrechterhaltung psychischer Störungen beiträgt. Diesen Fragen gehen wir in verschiedenen Forschungsprojekten nach. Außerdem untersuchen wir wie Perfektionismus den Therapieerfolg beeinflusst und haben verschiedene Messinstrumente für Perfektionismus entwickelt und/oder validiert.

Aktuelle Forschungsprojekte

Perfektionismus als Coping-Strategie: Inwiefern vermittelt er zwischen Diskriminierungserfahrungen und psychischer Belastung?

Projektbeteiligte: Nadine Kolof (Universität Bremen)

Projektleitung: Nathalie Claus (Universität Bremen)

Studien zeigen, dass Menschen mit Diskriminierungserfahrung (insbes. Angehörige von Minderheitsgruppen) erhöhte Perfektionismus-Werte aufweisen. Dies könnte darauf hinweisen, dass Perfektionismus als eine Art Coping-Reaktion dient, um den Selbstwert zu wahren, wenn dieser von außen angegriffen wird. Das wiederum könnte eine mögliche Erklärung liefern, wie Diskriminierungserfahrungen sich in psychische Belastung übersetzen. Allerdings ist dieser Zusammenhang bisher kaum untersucht. Es fehlen Daten dazu, ob das Zusammenspiel von Diskriminierungserfahrung und Perfektionismus tatsächlich spätere Symptombelastung vorhersagen kann.

Unsere Studie prüft die Vorhersage von verschiedenen Symptomen durch Perfektionismus und sogenanntem Minority Stress (d.h. Stresserleben aufgrund der wahrgenommenen Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen Minderheit). Dafür werden die zeitlichen Zusammenhänge über 4 Wochen geprüft und zudem weitere Variablen wie Leistungsstreben und Selbstwert erhoben (https://osf.io/za7jm/).

Perfektionismus als Einflussfaktor für psychische Beschwerden während des Menstruationszyklus

Projektbeteiligte: Kristina Heinz (LMU, München), Larissa Wolkenstein (LMU, München)

Projektleitung: Nathalie Claus (Universität Bremen)

Perfektionismus kann Symptome von Depression und Angststörungen zeitlich voraussagen. Eben diese psychischen Symptome sind in der prämenstruellen Phase häufig erhöht, sowohl bei Personen mit als auch ohne diagnostizierte Prämenstruelle Störung. Ein möglicher Zusammenhang zwischen Perfektionismus und prämenstruellen psychischen Beschwerden ist bisher jedoch kaum untersucht. Auf Basis bisheriger Forschung zu Perfektionismus wäre denkbar, dass Personen mit erhöhter Perfektionismus-Ausprägung eine besonders starke Zunahme an Angst- und Depressionssymptomen in der prämenstruellen Phase erleben.

Unsere Studie untersucht die zeitlichen Zusammenhänge zwischen Perfektionismus, psychischen Beschwerden und jeweiliger Zyklusphase bei Personen mit natürlichem Menstruationszyklus (https://osf.io/a74vc). Es werden sowohl die Zusammenhänge zwischen Zyklusphase und Angst- bzw. Depressionssymptomen geprüft, als auch die Frage, ob diese Zusammenhänge zusätzlich von Perfektionismus beeinflusst werden.

Perfektion vs. Exzellenz: Beeinflusst das Streben psychische Gesundheit und Lebenszufriedenheit?

Projektbeteiligte: Tilo Zotschew, Nathalie Claus (Universität Bremen)

Projektleitung: Barbara Cludius (Universität Bremen), Thomas Ehring (LMU, München)

Perfektionismus ist ein Persönlichkeitsmerkmal, das sich dadurch auszeichnet, dass Menschen entweder nach Perfektion streben („perfectionistic strivings“) oder sich Sorgen machen und selbst kritisieren, wenn sie Perfektion nicht erreichen („perfectionistic concerns“). Es gilt als negativer Faktor, der zur Entstehung und Aufrechterhaltung verschiedener psychischer Erkrankungen beitragen kann. Dabei zeigt sich der Zusammenhang zwischen Perfektionismus und psychischen Problemen weniger stark für das Streben nach Perfektion, da dieses in anderen Bereichen auch positive Effekte haben kann

Wir wollen untersuchen, ob eine weitere Facette des Strebens – nämlich das Streben nach exzellenter, aber nicht unbedingt perfekter Leistung („Exzellenzismus“) – diese positiven Effekte erklären könnte. Im Gegensatz zu Exzellenzismus bedeutet Perfektionismus das Streben nach absoluter Perfektion, was einen unverhältnismäßig großen Aufwand erfordert. Die positiven Effekte von Perfektionismus lassen sich vermutlich nur im Vergleich zu Exzellenzismus beurteilen, doch häufig wird Perfektionismus fälschlicherweise mit „kein Perfektionismus“ verglichen. Erste Studien deuten darauf hin, dass Perfektionismus über Exzellenzismus hinaus keine positiven Wirkungen hat.

In unserer Studie nutzen wir diese Unterscheidung erstmals im Zusammenhang mit psychischen Störungen. Wir untersuchen, wie Perfektionismus und Exzellenzismus (a) mit Symptomen von Depression, generalisierter Angststörung, Zwangsstörung und Essstörungen sowie (b) mit bereichsspezifischer Zufriedenheit und allgemeiner Lebenszufriedenheit zusammenhängen (Zotschew et al., 2024).

Perfektion vs. Exzellenz: Wie messen wir das am besten?

Projektbeteiligte: Celina Müller (Universität Würzburg), Kristina Bien (Universität Hamburg)

Projektleitung: Nathalie Claus (Universität Bremen), Thomas Ehring (LMU, München)

Perfektionismus wird in der klinischen Psychologie zunehmend als möglicher Risikofaktor für psychische Störungen diskutiert. Ein Problem bisheriger Studien ist allerdings, dass häufig stark perfektionistische Menschen mit solchen verglichen werden, die wenig perfektionistisch sind. Sinnvoller für die Beurteilung, wie Perfektionismus sich auf Gesundheit und Leistungsfähigkeit auswirkt, wäre ein Vergleich von Menschen mit hoher Perfektionismus-Ausprägung mit solchen, die zwar auch stark leistungsorientiert, aber nicht besonders perfektionistisch sind. Hierfür wurde das Konstrukt des Exzellenzismus entworfen (Gaudreau et al., 2022). Im Gegensatz zum Perfektionismus spielen beim Exzellenzismus weder ein starker Fokus auf Fehler noch eine Selbstbewertung abhängig von Leistung eine Rolle. Die gesetzten Ziele sind hoch, aber realistisch.

Zwar existiert zur Messung von Exzellenzismus schon ein Fragebogen, die Scale of Perfectionism and Excellencism (SCOPE; Gaudreau et al., 2022). Allerdings ist für eine standardisierte, ökonomische Erhebung von Perfektionismus und Exzellenzismus ein Kurzmaß nötig, welches z.B. in die Standarddiagnostik von Ambulanzen integriert werden könnte. Ein solches Maß würde die Grundlage bilden für die Untersuchung von Zusammenhängen zwischen Perfektionismus, Exzellenzismus und Symptomen sowie dem Therapieverlauf.

In unserer Studie (https://osf.io/xrmbg) wollen wir eine Kurzversion (6 Items) der SCOPE (22 Items) entwickeln und validieren.

Perfektionismus als transdiagnostischer Prozess: Untersuchung von Perfektionismus als Risikofaktor für mehrere Arten von Psychopathologie

Förderung: DFG

Projektbeteiligte: Nathalie Claus (LMU, München), Thomas Ehring (LMU, München)

Projektleitung: Barbara Cludius (Universität Bremen)

Kooperationspartner:innen: Karina Limburg (LMU, München), Roz Shafran (University College London), Sarah Egan (Curtin University Perth), Keisuke Takano (National Institute of Advanced Industrial Science and Technology, Tsukuba)

Bisher ist unklar, (a) ob und auf welche Weise Perfektionismus das allgemeine Risiko für Psychopathologie erhöht und (b) wie Perfektionismus zu verschiedenen spezifischen Störungen führen kann (z. B. Zwangsstörung bei einer Person und Bulimie bei einer anderen Person). Daher sind wir daran interessiert, mögliche Faktoren zwischen dem transdiagnostischen Risikofaktor Perfektionismus und Symptomen von Zwangsstörung oder Essstörungen zu untersuchen. Innerhalb dieses Projekts führen wir eine prospektive Längsschnittstudie über zwölf Monate (https://osf.io/39nx7/) sowie zwei experimentelle Studien (https://osf.io/s45tu/) durch. Innerhalb der experimentellen Studien manipulieren wir überhöhte Verantwortung als einen spezifischen Faktor für die Zwangsstörung und Unzufriedenheit mit dem Körper als einen spezifischen Faktor für Essstörungen. Wir testen, welchen Einfluss Perfektionismus im Zusammenhang mit den jeweiligen Faktoren auf die Entstehung von Symptomen der Zwangsstörung bzw. Essstörungen hat.

Publikationen

  1. Claus, N., Scheunemann, J., Arlt, S., Peth, J., Gallinat, J., Cludius, B., & Jelinek, L. (2025). Perfectionism as Possible Predictor for Treatment Success: Preliminary Data From Metacognitive Training for Depression and Suicidal Ideation in an Inpatient Sample. Journal of Clinical Psychology. https://doi.org/10.1002/jclp.70027
  2. Claus, N., Cludius, B., Egan, S. J., Shafran, R., Ehring, T., Takano, K., & Limburg, K. (2025). Perfectionism as a risk factor for psychopathology in a community sample of young women: disorder-specific pathways to disordered eating or obsessive-compulsive symptoms. Cognitive Behaviour Therapy, 1-21. https://doi.org/10.1080/16506073.2025.2461472
  3. Zotschew, T., Kley, H., Möllmann, A., Schlechter, F. & Heinrichs, N. (2024). Bielefelder Fragebogen zur Lebenszufriedenheit (BIFL). Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie, 53(1), 10–23. https://doi.org/10.1026/1616-3443/a000745

  4. Claus, N., Miegel, F., Jelinek, L., Landmann, S., Moritz, S., Külz, A. K., Rubel, J., & Cludius, B. (2023). Perfectionism as Possible Predictor for Treatment Success in Mindfulness-Based Cognitive Therapy and Metacognitive Training as Third-Wave Treatments for Obsessive-Compulsive Disorder. Cognitive Therapy and Research. https://doi.org/10.1007/s10608-023-10361-0

  5. Cludius, B., Hummel, J., Limburg, K., Woud, M. L., & Takano, K. (2023). Development and validation of the ambiguous scenario task for perfectionistic concerns for university students. Journal of Behavior Therapy and Experimental Psychiatry, 79, 101811. https://doi.org/10.1016/j.jbtep.2022.101811

  6. Hummel, J.*, Cludius, B.*, Woud, M. L., Holdenrieder, J., Mende, N., Huber, V., Limburg, K., & Takano, K. (2023). The causal relationship between perfectionism and negative affect: Two experimental studies. Personality and Individual Differences, 200, 111895. https://doi.org/10.1016/j.paid.2022.111895 [*geteilte Erstautorenschaft]

  7. Cludius, B., Landmann, S., Külz, A.-K., Takano, K., Moritz, S., & Jelinek, L. (2022). Direct and indirect assessment of perfectionism in patients with depression and obsessive-compulsive disorder. PLOS ONE, 17(10), e0270184. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0270184

  8. Roth, I., Cludius, B., Egan, S. J., & Limburg, K. (2021). Evaluation of the factor structure and psychometric properties of the German version of the Clinical Perfectionism Questionnaire: The CPQ-D. Clinical Psychology in Europe, 3(2), e3623. https://doi.org/10.32872/cpe.3623

  9. Miegel, F., Moritz, S., Wagener, F., Cludius, B., & Jelinek, L. (2020). Self-esteem mediates the relationship between perfectionism and obsessive-compulsive symptoms. Personality and Individual Differences, 167, 110239. https://doi.org/10.1016/j.paid.2020.110239