Nachruf

Prof. Dr. Wolfgang Dreybrodt

Mit großer Trauer nahmen wir zur Kenntnis, dass unser langjähriger Kollege aus der ersten Generation der Physik, Prof. Dr. Wolfgang Dreybrodt, am 05. Juni dieses Jahres im Alter von 86 Jahren verstorben ist.

Wolfgang Dreybrodt war seit seinem Ruf an die Universität Bremen im Jahr 1974 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2004 mit leidenschaftlichem Einsatz in seiner Forschung, aber auch in der Lehre und der akademischen Selbstverwaltung sowie in der Hochschulpolitik, teils in schwierigen Zeiten, aktiv. Die Entwicklung unseres Studiengangs Physik war ihm dabei immer ein besonderes Anliegen. Auch nach dem Eintritt in den Ruhestand setzte er sich mit enormer Kraft für das Gebiet seiner großen wissenschaftlichen Liebe, die hydrogeologische Forschung am und im Karst, ein. Nur wer ihn noch kennenlernen durfte, kann ermessen, was hier mit dem Wort „Leidenschaft“ gemeint ist.

Wolfgang Dreybodt spezialisierte sich in seiner Promotion und Habilitation zunächst auf dem Gebiet tiefer Störstellen und Leuchtzentren in Alkalihalogeniden, später dann auf die Halbleiteroptik im Bandkantenbereich. Seine Promotion zu den genannten tiefen Störstellen und Leuchtzentren in Alkalihalogeniden schloss er 1966 an der Universität Frankfurt/Main ab. In Frankfurt veröffentlichte er auch einige Publikationen zusammen mit unserem späteren Kollegen aus der E-Technik, Dieter Silber. Anschließend war er als Postdoc am hoch renommierten Max-Planck-Institut für Festkörperforschung bei der Ramanspektroskopie-Koryphäe Manuel Cardona tätig, von dem er allerdings stets unabhängig publizierte. In diese Zeit fällt auch ein einjähriger Forschungsaufenthalt am MIT. Am MPI entwickelte er seine große Fachkenntnis in der Ramanspektroskopie, aber auch in der Anwendung starker Magnetfelder in der Spektroskopie, zunehmend fokussiert nun auf II-VI-Halbleiter wie CdTe und CdS, aber auch vereinzelt auf GaAs. Als er Anfang der 70er Jahre nach Bremen berufen wurde, waren dort die Halbleiter als „gesellschaftlich nicht relevant“ eingestuft worden, wie er selbst humorig erzählte, folglich blieb er bei der Methode Raman-Spektroskopie, wandte sie nun aber wegen des Fokus auf den Menschen auf das offenbar besser akzeptierte Feld der Hämoglobin-Forschung an. In Bremen entstand eine Vielzahl hochrangiger Veröffentlichungen in diesem Bereich, den er bis wenige Jahre vor seiner Pensionierung intensiv betrieb. Jedoch hatte er schon lange vorher ein unglaublich intensives Faible für die hydrogeologische Höhlenforschung in Karst-Gebieten entwickelt, zunächst als eine Art besonderem Hobby. In dessen Rahmen unternahm er ständig risikoreiche Exkursionen in Höhlen, kein Weg war ihm zu weit, keine Höhle zu eng, er besuchte zahlreiche Karsthöhlen nicht nur in Europa, sondern sehr oft auch in China, bis er Mitte der 90er Jahre bei einer solchen Tour fast sein Leben verloren hätte (Halswirbelbruch tief im Berg, er konnte sich noch selbst befreien, ohne schon die Diagnose zu haben). In Höhlen stieg er danach nicht mehr selbst, aber nur, um noch intensiver über die Physik und Hydrogeologie von Karst zu forschen. In diesem Gebiet wurde er fast noch bekannter als in allen davor liegenden Forschungsfeldern. 2003 erhielt er den Dr.-Benno-Wolf-Preis des Verbands deutscher Höhlen- und Karstforscher (VDHK). Seit 2021 war er korrespondierendes Mitglied der Slowenischen Akademie der Wissenschaften und Künste. Noch 2023, in seinem 84. Lebensjahr, erschienen Veröffentlichungen in diesem Bereich. Sein Hirsch-Index steht insgesamt bei stolzen 57, aber unglaublich ist, dass der h-Index gemessen auf der Basis von Zitaten seit 2020, also im späteren vorgeblichen Ruhestand, den Wert 29 erreicht, das bedeutet ja, dass seine fundamentalen Arbeiten auch nach 2020 noch enorm oft zitiert wurden. Wer interessiert ist, mag zu seiner Forschung in den Google Scholar schauen und sich sein langes Interview vor allem über die Karstforschung aus dem Jahr 2020 auf YouTube unter www.youtube.com/watch?v=xpfJuNJ81UQ ansehen.

Aber auch in der Lehre und hochschulpolitisch war Wolfgang Dreybrodt eine bekannte Person. Den Studierenden, obwohl sicher kein einfacher Prüfer, war er sehr zugetan. Nach den auch in der Lehre recht „wilden“ 70er und frühen 80er Jahre am FB1 setzte er sich zusammen mit den Kollegen Diehl, Mayer-Heinricy und Ryder das Ziel, die physikalische Grundausbildung gänzlich neu und systematisch aufzustellen. Dies gelang herausragend, und bis in die späten 90er Jahre wurde der experimentelle Grundkurs in der Physik, damals noch im Rahmen des Vordiploms, fast ausschließlich von den vier Kollegen getragen. Den sich langsam aufbauenden besser werdenden Ruf Bremens als einer guten Ausbildungsstätte in der Physik dürfen wir sicher diesen Kollegen mit verdanken. Lange hatte er auch das Amt des Vorsitzenden des Diplomprüfungsausschusses inne.

Hochschulpolitisch war Wolfgang Dreybrodt eine besondere Persönlichkeit und ein streitbarer Geist. Am MPI in Stuttgart als eher „linker Aktivist“ ein wenig verrufen (manche meinen, gerade das habe ihm den Ruf nach Bremen eingetragen), stand er in Bremen zunehmend für eine konservative Fraktion im Fachbereich und an der ganzen Universität und konnte durchaus kräftig vor allem nach links „austeilen“, sowohl gegen Kolleginnen und Kollegen als auch gegen Studierende. Das hat ihm nicht nur Freunde eingetragen, selbst disziplinarische Maßnahmen, die er als vollkommen ungerechtfertigt empfand, musste er über sich ergehen lassen. In seinem ihm eigenen Humor sagte er zu diesem Schwenk von links nach konservativ „Ich war immer auf der Seite der Minderheit, am MPI waren dies die Linken, in Bremen stellte ich fest, dass alle links waren, da musste ich dann eher nach rechts rücken.“ 

In den letzten Jahren verhinderten zunehmende körperliche Einschränkungen, dass Wolfgang Dreybrodt sich am Fachbereich noch persönlich einfinden konnte, bei einem bis zum Schluss jedoch äußerst wachen Geist. Wir werden diesem besonderen Kollegen noch lange ein ehrendes Andenken bewahren.

Im Namen des Fachbereichs

die Dekane 1982 bis heute, Stefan von Aufschnaiter, Jürgen Gutowski, Jens Falta und Michael Vellekoop