(AKAD02) „Tempo, Tempo!“ oder: Moderne Gesellschaften im Rausch der Geschwindigkeit?

Überlegungen zu einer „Ökologie der Zeit“

„Zeit ist Leben.
Und das Leben wohnt im Herzen.
Und je mehr die Menschen daran sparten,
umso weniger hatten sie.“

(Michael Ende, Momo, 1973)

 

Rastlosigkeit und Dynamik prägen unser modernes Leben. Dank umfassender Digitalisierung ist Geschwindigkeit keine Hexerei (mehr), sondern die Prinzipien der Echtzeit und der ständigen Verfügbarkeit liegen ‚voll im Trend‘. Geblieben ist jedoch ein zutiefst ambivalentes Verhältnis zur Geschwindigkeit und Beschleunigung, das von Faszination und Begeisterung bis hin zu Skepsis und Angst reicht. Denn, allzu oft wird Beschleunigung mit „rasendem Stillstand“ (Paul Virilio), angestrebter Zeitgewinn mit Zeitverlust bezahlt.

Termindruck, Hektik, Zeitknappheit trotz maschinengestützter Zeitersparnis, immer wieder ‚aufs Tempo drücken‘, nur nichts verpassen, alles erleben zu wollen, verbunden mit der Sorge, nicht mithalten zu können … das scheint das paradoxe Ergebnis gegenwärtiger Lebensvorstellungen und -wirklichkeiten zu sein: Ein Leben auf der Überholspur zwischen Tempolust und Tempofrust, zwischen Temporausch und Tempozwang, indem das Beschleunigungsprinzip und das der Selbstoptimierung längst verankert sind.

 

Zur Erinnerung: In Teil 1 (WiSe 2023/24) zeigte sich im historischen Rückblick, wie Beschleunigung zu einem Grundprinzip der westlichen Moderne wird, und mehr noch, wie „Tempo“ im Verlauf des 19. Jahrhunderts zum Inbegriff eines modernen, fortschrittlichen Lebens avanciert. Befördert durch technische und organisatorische Innovationen, eng verbunden mit der Idee von Effizienz und Gewinnmaximierung, erfasst das Prinzip „Geschwindigkeit“ als zivilisatorische Triebkraft mit zunehmender Industrialisierung und der Etablierung eines kapitalistischen Wirtschaftssystems fast alle Arbeits- und Lebensbereiche. Ein immer höheres (Lebens-)Tempo verändert dabei zunehmend mehr die Wahrnehmung und Bewertung von sowie den Umgang mit Zeit und Raum. Es beeinflusst das Verhalten und die Lebensweisen der Menschen, ihre Normen und Werte, ihr Denken und Handeln, ihre Wünsche und Vorlieben. Und, mehr noch: im Rausch der Geschwindigkeit soll das Versprechen eines ‚guten Lebens‘ für alle eingelöst werden. Spätestens hier zeigt sich: Geschwindigkeit ist Segen und Fluch zugleich. An diesen Überlegungen werden wir im Sommersemester weiterarbeiten und uns gezielt aktuellen Entwicklungen /Trends zuwenden…

 

Teil 2 (SoSe 2024)

Umfassende Digitalisierungsprozesse und der vermehrte Einsatz von KI-Technologien erschließen gegenwärtig ganz neue Geschwindigkeitsdimensionen jenseits menschlicher Wahrnehmungs- und Erfahrungshorizonte von Zeit und Raum, die unsere bisherigen „Weltbeziehungen“ (Hartmut Rosa) in einem bislang nicht gekannten Ausmaß erschüttern. Daher geht es weniger um die (Neu-) „Entdeckung der Langsamkeit“ oder um mehr Aufmerksamkeit für die ‚Kunst der Entschleunigung‘, auch nicht darum, Langsamkeit gegen Geschwindigkeit auszuspielen, sondern um grundlegende gesellschaftliche Fragen und Positionen. In Zeiten des superschnellen Internets, auf der Jagd nach jeder Nanosekunde ist auch ein Mehr an Zeitsouveränität nicht die alleinige Lösung, sondern die vorherrschende Geschwindigkeitseuphorie wird als Mittel des transnationalen Kapitals zur Machtausübung angeprangert und folgerichtig eine „kritische Politisierung der Geschwindigkeit“ (Jonas Frick) eingefordert. Daran anknüpfend stellen sich viele weitergehende Fragen, wie beispielsweise: Wieviel Geschwindigkeit brauchen wir eigentlich für ein „gutes Leben aller“ und für ein sinnerfülltes Dasein jeder/s Einzelnen? Wieviel Schnelligkeit benötigt eine demokratische Gesellschaft, aber wieviel verträgt sie aber eben auch nur? Wie könn(t)en wir dem „Zirkel der Beschleunigung, der sich selbst antreibt“ (Rosa) und in dem wir gefangen zu sein scheinen, entkommen? Wie ließe sich unser ‚entfremdetes‘ Verhältnis zur Welt, die wir zurzeit als eine permanent beschleunigte erfahren, grundlegend verändern? Und, wie könnten Resonanzerfahrungen in der STADT, dem Ort der Beschleunigung und Dynamik des Lebens, befördert bzw. verwirklicht werden?

Es wird sich zeigen, dass nicht nur eine andere Zeitkultur ansteht – mit unterschiedlichen Rhythmen, Eigenzeiten und einer Vielfalt von Zeitformen. Es geht um nichts weniger als die schwierige Kunst, auf gesellschaftlicher wie auf individueller Ebene die jeweils angemessenen Rahmenbedingungen und Tempi zu finden und dabei stets bestehende gesellschaftliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse kritisch zu reflektieren. In Zeiten eines globalen ‚Turbo-Kapitalismus‘ ist dies die eigentliche Herausforderung!

Das Seminar veranschaulicht – medial gestützt – unterschiedliche Perspektiven auf und Positionen zur Be- und Entschleunigung in ihren Widersprüchen und Ambivalenzen, gibt Einblicke in aktuelle Erkenntnisse und Diskurse in Wissenschaft und Forschung und wagt einen Blick in mögliche Zukünfte einer „Beschleunigungsgesellschaft“. Nicht zuletzt geht es darum, bereits vorhandene Konzepte und Strategien auf ihre Potentiale für verantwortungsvolles, nachhaltiges „gutes Leben aller“ auszuloten.

Angedacht ist ein Expertengespräch zu Fragen der KI sowie ein Ausstellungsbesuch.

 

Literatur:

Für das Seminar wird eine Textsammlung in Form eines Readers zur Verfügung gestellt.

 

Anmerkung:

Geplant sind jeweils 12 Veranstaltungen bis Ende Juni 2024. Einzelheiten zum Expertengespräch und Ausstellungsbesuch werden in der Veranstaltung erläutert.
 


Dozentin:    Dr. Ursula Dreyer
Zeit:  

Gruppe AKAD02A  - dienstags, 09:15 s.t. - 11:45 Uhr (ab 09.04.2024)
Hinweis: Wir starten dienstags eine Woche später

Gruppe AKAD02B   - donnerstags, 11:00 s.t. - 13:30 Uhr (ab 04.04.2024)

Die Inhalte beider Gruppen sind identisch (jeweils mit einer kurzen Pause).

Hinweis:    Teilnehmerbegrenzung: 40 Personen in Präsenz

                    Die Teilnahme hat nicht die Mitarbeit im ersten Seminarteil zur Voraussetzung

Veranstaltungsart:    hybrid, in Präsenz (Akademie: Zentralbereich, Raum B 0770) oder wahlweise Online-Teilnahme

Kontakt

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Nicole Lehmkuhl
Maike Truschinski
Jaroslaw Wasik

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