(W) Die Dichterin Karoline von Günderrode (1780 - 1806) -

„Komm Dunkelheit! mich traulich zu umnachten“

Karoline von Günderrode
Karoline von Günderrode

Sie war in den Kreisen der Frühromantik eine durchaus bekannte Dichterin, hatte engen Kontakt zu der Brentano-Familie, Clemens Brentano warb um sie, Bettine von Armin war eng mit ihr befreundet. Sie war eine kluge, historisch und philosophisch gebildete Frau aus verarmtem Adel, die seit 1797 in einem evangelischen Damenstift für mittellose adlige Frauen in Frankfurt lebte. In ihrem 27.Lebensjahr nahm sie sich das Leben wegen einer Liebesaffäre mit einem verheirateten Mann, einem Altertumswissenschaftler und Mythenforscher. Sie schrieb und hinterließ Gedichte, Dramen- und Prosafragmente und eine Unzahl von Briefen. Bettine von Arnim veröffentlichte lange nach ihrem Tod einen Briefroman („Die Günderode“ 1840) und Christa Wolf gab 1976 eine Auswahl von Gedichten, Prosa, Briefen und Zeitzeugnissen der Günderrode heraus: „Der Schatten eines Traums“.

Während Bettine von Arnim einen eher fiktiven „Roman“ über die Günderrode schrieb, betrachtete Christa Wolf die Dichterin als ihre „Vorgängerin“ und betonte vor allem die Rolle der Poetin in einer von Männern bestimmten Dichter- und Denkerwelt. Beiden Veröffentlichungen ist zu verdanken, dass sie der jungen, früh geendeten und vergessenen Dichterin eine Stimme gegeben haben, die vor allem die Frau (damals wie heute) in der Gesellschaft und in ihrem intellektuellen Umfeld, in ihrer Intelligenzgeschichte, beschrieben hat.

In dieser Veranstaltung geht es vor allem um die Gedichte der Karoline von Günderrode. Sie nehmen in ihrem Gesamtwerk nicht viel Raum ein, verdienen aber m.E. durch ihre Qualität einen besonderen Stellenwert in der Geschichte der Dichtung. „Gleich stark an Intelligenz und Gefühlstiefe“, so heißt es bei Christa Wolf, kann sie sich nur „fühlen, wenn sie schreibt oder liebt“. Das heißt nur in ihrem Schreiben, in ihrer Dichtung, die sie mit dem Leben und der Liebe gleichsetzt, kann sie sich selbst verwirklichen. Nur im Schreiben kann sie die Spaltung zwischen Intelligenz und Gefühlstiefe aufheben, kann sie versuchen, „ganz“ oder „heil“ zu werden. Das trifft natürlich auch für ihre Prosa und ihre Dramenentwürfe zu, hat aber durch den Grad der „Verdichtung“ in ihrer Lyrik eine besondere Bedeutung. Das entspricht für mich einem Konzept, das ich „Poetisches Lernen“ nenne: Poesie zwischen Wissenschaft und Selbsterfahrung, die in der lyrischen Verdichtung der Sprache eine Verdichtung des eigenen Lebens sieht.

Dass Karoline von Günderrode mit dieser Spaltung in sich selbst und mit der Spaltung in der Gesellschaft ihrer Zeit nicht fertig werden konnte, zeigt ihr früher selbstbestimmter Tod. Er hatte ja nicht allein mit ihrem schwieriges Dasein als Frau in einer Welt der Männer zu tun, sondern auch mit den damaligen politisch-historisch-kulturell bedingten Zuständen um die Wende des 18. zum 19.Jahrhundert, einer Zeit der Zerrissenheit zwischen Revolution und Restauration, Aufklärung und Romantik. Wir werden uns ihre Gedichte unter diesen Gesichtspunkten anschauen, auch Vergleiche mit ihren Zeitgenossen, den Frühromantikern, dem sogenannten „Jenaer Kreis“ um Schlegel/Schelling wie auch Vergleiche, Parallelen oder auch Anregungen finden zu und von Dichter*innen aus anderen und heutigen Zeiten (z.B. Hölderlin, Anette v. Droste-Hülshoff, Ingeborg Bachmann, Sylvia Plath etc,)

Wir werden auch Goethes Äußerung reflektieren: „Das Klassische nenne ich das Gesunde, das Romantische das Kranke“ und uns fragen, ob das unseren Zugang zur Lyrik der Romantik und zu der Lyrik von Karoline von Günderrode verstellt oder erhellt. In dem oben im Titel zitierten Vers aus „Der Kuss im Traume“, das sie dem Verlobten ihrer Freundin Gunda Brentano, dem Rechtsgelehrten Friedrich Savigny (in den sie unglücklich verliebt war) widmete, gibt sie ihrer Liebes- und Todessehnsucht Ausdruck in der Anbetung der Nacht, wie es in der Romantik nicht unüblich war. So heißt es in der zweiten Strophe:
 

In Träume war solch Leben eingetaucht.
Drum leb ich, ewig Träume zu betrachten.
Kann aller andern Freuden Glanz verachten,
Weil nur die Nacht so stillen Balsam haucht.

 

Selbst, wenn uns heute eine solche Sprache befremdlich oder altmodisch und uns ein Wort wie „Träume“ abgegriffen erscheint, so zeigt sie uns doch in ihrer Verdichtung das Lebensbild einer Dichterin, die kompromisslos einen „schmerzlich freudigen Hang zum Absoluten“ (Christa Wolf) aufzeigt, in dem die phantastische und inspirierende Welt des „Träumens“ ein kreativer Akt der Befreiung und - wenn man so will - auch der Heilung bedeuten kann.
 


Dozentin:    Ulrike Marie Hille

Termine:    3 x donnerstags

  • 29.02, 07.03, 14.03 2024

Zeit:    10:00 (s.t.) bis 11:30 Uhr

Entgelt:    45,- Euro

Veranstaltungsart/ -ort:    hybrid, in Präsenz (Akademie, Raum B 0770) oder wahlweise Online-Teilnahme

Hinweis: Teilnehmerbegrenzung: 40 Personen in Präsenz

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