Buchreihe Sozialwissenschaftliche Gesundheitsforschung

Sozialwissenschaftliche Gesundheitsforschung untersucht gesellschaftliche Verhältnisse auf der Makro-, Meso- und Mikroebene in ihren Auswirkungen auf Gesundheit und Krankheit. Im Fokus der Betrachtung stehen die staatlichen und sozialen, die kulturellen und gemeinschaftlichen, die individuellen und biographischen Be- und Verarbeitungen von Gesundheit und Krankheit sowie von gesundheitlichen Risiken und Krisen. Dabei nimmt eine sozialwissenschaftliche Gesundheitsforschung sowohl die sozialen und psychosozialen Wechselwirkungen zwischen Gesundheit und Gesellschaft in den Blick als auch das Verhältnis von individuellem Handeln und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Besondere Bedeutung kommt hier den gesellschaftlichen und diskursiven Aushandlungsprozessen von Gesundheit und Krankheit und den damit verbundenen sozialen Konstruktionen von Normalität und Abweichung zu. In der Reihe erscheinen gleichermaßen theoretisch wie auch empirisch orientierte Arbeiten.

Herausgeber der Reihe:

Prof. Dr. Henning Schmidt-Semisch (Universität Bremen)

Prof. Dr. Andreas Hanses (Technische Universität Dresden)

Folgende Bände sind bislang erschienen:

Nadine Ochmann untersucht das Gesundheitsverständnis und -verhalten inhaftierter Frauen sowie die gesundheitsförderlichen Bedingungen in Gefängnissen. Dazu wurden Insassinnen sowohl nach ihren subjektiven Einstellungen und individuellen Bedürfnissen befragt als auch nach ihren Erfahrungen mit der gesundheitlichen Versorgung. Dabei zeigen inhaftierte Frauen einerseits ein großes Interesse an ihrer eigenen Gesundheit und ihr Gesundheitsverhalten verbessert sich in der Haft. Andererseits verschlechtert sich jedoch ihr Gesundheitszustand, insbesondere das psychosoziale Wohlbefinden. Die Autorin zeigt, dass intramurale Gesundheitsförderung möglich und in mehreren Bereichen bereits vorhanden ist. Großes Verbesserungspotenzial besteht insbesondere im Hinblick auf die (gesundheitlichen) Bedürfnisse der Selbstbestimmung und der Partizipation.

Susanne Fleckinger beleuchtet das Verhältnis zwischen haupt- und ehrenamtlich Tätigen in Hospizarbeit und Palliative Care. Hierzu befragt sie die beteiligten Akteure und geht der Frage nach, welche Bedeutung dem Ehrenamt in den unterschiedlichen Versorgungsbereichen zukommt. Im Ergebnis wird deutlich, dass sich Haupt- und Ehrenamt zwar durchaus ergänzen, zugleich aber grundsätzlich unterschiedlichen Handlungslogiken folgen. Eine gelingende Zusammenarbeit scheint vor allem dann möglich, wenn diese zum Gegenstand der kontinuierlichen Aushandlung der Sorgepraxis in der konkreten Einrichtung gemacht wird. Dafür allerdings ist es notwendig, dass der Zusammenarbeit von Ehrenamt und Hauptamt mehr Raum im Rahmen der Aus- und Weiterbildung eingeräumt wird.

Wenn von Gesundheitskommunikation die Rede ist, dann wird darunter in aller Regel das persönliche Übermitteln gesundheitsrelevanter Informationen im Rahmen der Arzt-Patienten-Kommunikation oder die mediengestützte Übermittlung gesundheitsförderlicher Botschaften verstanden. Der vorliegende Band stellt diesem eher funktionalistischtechnischen Ansatz eine sprachphilosophisch und erkenntnistheoretisch ausgerichtete Perspektive an die Seite und erweitert so den aktuellen gesundheitswissenschaftlichen Blick auf Gesundheitskommunikation. Auf diese Weise gerät dann nicht mehr nur die Informationsübermittlung, sondern vor allem auch die kreative Ausgestaltung der Beziehungen der Gesprächspartner in den Mittelpunkt einer Theorie gesundheitlich bedeutsamer Wirkungen von Kommunikation. Die Arbeit eröffnet so eine theoretisch hoch informierte Perspektive auf Gesundheitskommunikation und zugleich auch vielfältige theoretische und empirische Anschlussmöglichkeiten.

Maria Stefani untersucht die Diskrepanz zwischen professioneller Gesundheitskompetenz und dem privaten Gesundheitsverhalten von Pflegefachpersonen. Ausgehend von subjektiven Gesundheitsvorstellungen der Berufsgruppe rekonstruiert sie in Ihrer qualitativen Studie entsprechende soziale Deutungs- und Handlungsmuster in Anlehnung am Deutungsmusterkonzept von Oevermann. Als Ergebnisse formuliert die Autorin eine empirisch begründete Theorie zur Entgrenzung von Pflegeberuf und Privatleben und präsentiert eine handlungsrelevante Typenbildung zum Gesundheitsverhalten. Des Weiteren zeigt sie praktische Implikationen für das Betriebliche Gesundheitsmanagement in der Gesundheits- und Krankenpflege auf.

This book covers the psychedelic ayahuasca tourism in Peru, with its facet-rich psychological, pharmacological, anthropological, and sociological aspects. The reader gets an interdisciplinary insight into the historical development and the current state of ayahuasca research. Findings from three empirical studies are presented, which the author has won in a 4-year field research: How do common standards develop in this particular form of psycho-spiritual tourism? Why are people from developed nations and urban centres heading to the Amazon to ingest the psychedelic beverage Ayahuasca? How do they experience such ceremonies and retreats? Which insights, personal meaning and effects do they gain and how do they integrate their experiences into the everyday life?

Kathrin Bernateck untersucht Verberuflichungsprozesse von Heilpraktiker*innen aus biographieanalytischer Perspektive. Die Ausnahmestellung des Gesundheitsberufes und Unstrukturiertheit des Arbeitsfeldes erfordern den individuellen Rückgriff auf (berufs-)biographische Ressourcen und Handlungsstrategien. Mit Bezug auf die Konzepte Habitus und Biographizität zeigt sich eindrucksvoll die Durchdringung von Biographie, Berufswahl und -ausübung. Herausgearbeitet werden drei Modi biographischer Habitualisierung und beruflicher Ausformung: 1) der biographische Habitus der Anpassung, der sich in der beruflichen Handlungspraxis des Wissens ausdrückt, 2) der biographische Habitus der Selbstverwirklichung und persönlichen Entwicklung mit einer beruflichen Handlungspraxis von Ermöglichen und Gestalten sowie 3) der biographische Habitus des Konflikts, ausgeformt in der beruflichen Handlungspraxis (Über-)Versorgung. Die empirisch fundierten Erkenntnisse werden in einem Professionalisierungsmodell entlang biographischer Konstruktionen theoretisch zusammengeführt.

Vor drei Jahrzehnten begann sich Public Health an Universitäten und Hochschulen in Deutschland zu etablieren, und die Entwicklung des Faches kann heute allgemein als Erfolgsgeschichte gedeutet werden. Dennoch ist Public Health noch immer kein selbstverständlicher Teil des akademischen Fächerkanons, und auch das Verhältnis zur Politik ist unklar: Einerseits treten Public Health-Akteure dafür ein, dass Gesundheit in allen Politikbereichen berücksichtigt werden soll („Health in all Policies“), andererseits gilt zu viel Politiknähe als Gefahr für die wissenschaftliche Profilbildung. Die Beiträge dieses Bandes fragen in unterschiedlicher Art und Weise nach dem Stand der Disziplin Public Health sowie der entsprechenden Praxis und Politik: Welches Verhältnis hat Public Health zur Praxis von Gesundheitsförderung und Prävention? Kann Public Health heute als eine ‚Profession’ betrachtet werden? Welche disziplinären Zugänge finden sich in Public Health? Wie wirkt Public Health auf Politik ein, und wie beeinflusst – umgekehrt – Politik Public Health? Wie politiknah bzw. wie politisch soll Public Health sein?

Im Rahmen dieser Studie wird rekonstruiert, wie Erwachsene, die infolge wiederholter Erlebnisse personaler Gewalt Traumata durch andere Menschen erfahren haben, ihre Lebensgeschichten biografisch bearbeiten. Zum zweiten wird untersucht, wie Handlungsmöglichkeiten und Handlungsbegrenzungen dabei bedeutsam werden. Wie die Ergebnisse zeigen, verhindert das fragmentierte biografische Erzählen der Biograf*innen ihre Erzähl- und Handlungsfähigkeit nicht. Ungeachtet entmächtigender, das Mitteilen erschwerender Gewalterlebnisse bietet ihre brüchige Erzählweise vielmehr die Möglichkeit, sich selbst als handlungsfähige*r Akteur*in zu präsentieren. Vor diesem Hintergrund erweist sich die dekonstruierende Selbstthematisierung als eine Form biografischer Bearbeitung, die Erzähl- und Handlungsfähigkeit ermöglicht. 

Die vorliegende, qualitative Studie beleuchtet die Wechselwirkungen zwischen Körperwissen und Leiberfahrungen im Hinblick auf Sucht. Die empirischen Ergebnisse zeigen, dass es nicht ausreicht, Sucht lediglich als natürlichen Prozess körperlicher bzw. psychischer Vorgänge zu verstehen. Mindestens ebenso bedeutend für die Entstehung und Aufrechterhaltung von Sucht ist das Setting im Sinne des soziokulturell geprägten Suchtwissens. Ein gesundheitsförderlicher Umgang mit Drogengebraucher*innen muss daher immer auch die Wechselwirkungen zwischen Körper und Gesellschaft in Rechnung stellen und Identifikationsmöglichkeiten jenseits der Sucht ermöglichen.

Allgegenwärtig ist das Erzählen von Geschichten in der psychiatrischen Pflege. Zu pflegende Menschen, An- und Zugehörige wie auch professionell Pflegende erzählen fortwährend Geschichten – Geschichten über sich und ihr Leben zumal. Die vorliegende Studie nimmt die Selbst- bzw. Lebensgeschichten psychiatrisch Pflegender in den Blick und geht der Frage nach, wie die als psychiatrisch Pflegende bezeichneten Personen ihre narrative Identität konstruieren. Anhand autobiographisch-narrativer Interviews rekonstruiert Nicole Duveneck das zentrale sinnstiftende Strukturmuster der Identitätskonstruktion und entwickelt ein Modell, das die personale narrative Identität psychiatrisch Pflegender als einen die Normalität wandelnden und zugleich erhaltenden Prozess erfasst. Dieses Ergebnis verweist auf die ungebrochene Wirkmacht der Normalität im psychiatrischen Versorgungssystem und fordert – ob der mit der Normalität verbundenen exkludierenden Praktiken – zum kritischen Diskurs über und für eine gute psychiatrische Pflege auf.

Nadia El-Seoud analysiert die lebensweltlichen Bezüge der Physiotherapie und geht der Frage nach, wie sich Lebensweltorientierung gegenwärtig in der Physiotherapie darstellt. Hierzu befragte sie praktisch tätige Physiotherapeuten und Physiotherapeutinnen mittels qualitativer, problemzentrierter Interviews und konkretisiert die Ergebnisse u.a. anhand der Bildung von Idealtypen. Insgesamt wird deutlich, dass Physiotherapeut*innen wichtige Gesundheitspartner*innen sein können, die durch den Einbezug der psychosozialen Ebene und den damit einhergehenden Bezügen zur Lebenswelt der Menschen nicht nur zur Gesundheit Einzelner, sondern auch zur Gesundheit von Bevölkerungsgruppen und damit zur gesundheitlichen Chancengleichheit beitragen können.