Projektdetails

Drogenkonsum und -kontrolle im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts: zur Entstehung eines sozialen Problems

Laufzeit: 01.10.2007 - 31.07.2011
Forschungsteam:

Annika Hoffmann (Projektleitung);

 
Projektpartner:innen: Prof. Dr. Henning Schmidt-Semisch
Projekttyp: Promotionsprojekt

Beschreibung

Verbreiteter Kokainkonsum gehört in das Bild der sogenannten goldenen Zwanziger und auch in der Forschung heißt es, damals habe eine "Drogenwelle" Deutschland überrollt. Im Zentrum des Promotionsprojekts steht die Frage, wie sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Deutung des nicht-medizinischen Konsums von Opiaten und Kokain als Problem etablierte.

Die interdisziplinäre Arbeit hat einen geschichtswissenschaftlichen Schwerpunkt, der Deutschland in den Mittelpunkt stellt und dabei eine transnationale Perspektive einnimmt. Untersucht wird, welche Akteure und Faktoren die Entwicklung der Problemwahrnehmung beeinflussten und welche Wirkungsmacht dies entfaltete. Den theoretischen Rahmen bildet die von Michael Schetsche vorgestellte Karrieretheorie sozialer Probleme, die zwischen dem sozialen Sachverhalt, dessen Deutung als Problem und dem Prozess, in dem diese Deutung Anerkennung erlangte, unterscheidet. Als Quellen dienen Archivalien (aus Reichsgesundheits- und Auswärtigem Amt), Parlamentsprotokolle sowie zeitgenössische Presseartikel und medizinische Fachpublikationen.

Die Analyse der in den 1920er Jahren beginnenden Betäubungsmittelprohibition erweckt den Eindruck, dass sie mehr Probleme schuf als beseitigte. Es war eine Folge der damals einsetzenden Kriminalisierung, dass bislang sozial integrierter und medizinisch unauffälliger Konsum sichtbar wurde. Daher muss die "Drogenwelle" als Folge der Gesetzgebung interpretiert werden - nicht als ihr Grund. Sie war eine Welle der Aufmerksamkeit und Problematisierung.

Mediziner übten von Beginn an erheblichen Einfluss auf die Problemwahrnehmung aus. Dies geschah aber nicht etwa aus einer wissenschaftlichen Perspektive, denn solide Informationen zum nicht-medizinischen Drogengebrauch hatten auch die Ärzte nicht. Vielmehr nahmen sie eine stark moralisierende Haltung ein, stigmatisierten Genusskonsum als lasterhaft und schrieben ihn (devianten) Angehörigen marginalisierter Gruppen zu. Der Einfluss der Mediziner ging über den Fachkontext weit hinaus: Sie erlangten über die Tagespresse Einfluss auf die Öffentliche Meinung und waren Berater auf politischer Ebene. Durch die Interaktion dieser Bereiche wurde der hedonistische Konsum in einem politisch-publizistisch-professionellen Verstärkerkreislauf als abweichendes Verhalten definiert. Für die Konsumenten hat diese stigmatisierende Wahrnehmung ebenso negative Konsequenzen wie die damals eingeführten Kontrollgesetze.

Zusammenfassend kann man sagen, dass die Zeitgenossen ab ca. 1920 den genussorientierten Konsum von Drogen in Deutschland problematisierten. Schon 1928 war diese Sichtweise so verfestigt, dass erste Reflektionsansätze sie nicht mehr beeinflussen konnten. Seitdem gilt die Weimarer Republik als Hochphase des Drogenkonsums, der verbreitet als problematisches Verhalten, das zwangsläufig zu Abhängigkeit führe, wahrgenommen wird. Die historische Analyse zeigt: Die damals entstehende Problemwahrnehmung hatte keine solide Basis, wirkt aber bis heute. Sie dient als Rechtfertigung für einen Umgang mit Drogen, der v. a. negative Effekte hat und daher Überdacht werden muss.

Dr. Annika Hoffmann ist Historikerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Stuttgarter Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung. Ihre Doktorarbeit wurde von der Universität Bremen mit einem Stipendium gefördert und ist im Verlag für Sozialwissenschaften erschienen: "Drogenkonsum und -kontrolle: Zur Etablierung eines sozialen Problems im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts".


Weitere Informationen

Kontakt: annika.hoffmann@uni-bremen.de



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