Projektdetails

Qualitative Studie zu den Effekten der Corona-Warn-App

Laufzeit: 01.10.2020 - 31.12.2020
Forschungsteam:

Monika Urban (Projektleitung);

 
Projekttyp: Eigenprojekt
Finanzierung: Eigenmittel

Beschreibung

„Unterstützt uns im Kampf gegen Corona“. Mit diesem Slogan wirbt die Bundesregierung für die Corona-Warn-App des Robert Koch-Instituts (RKI), mit der User:innen für den Fall gewarnt werden, dass sie Kontakt zu Personen hatten, die auf eine Infektion mit dem SARS-CoV-2 positiv getestet wurden. Diese digitale Public Health Initiative der Bundesregierung zielt darauf, Infektionsketten zu unterbrechen, indem auch Kontakte, die unbemerkt – auch zu unbekannten Personen – stattgefunden haben, als ggf. ansteckend erkannt werden, damit entsprechende Maßnahmen des Seuchenschutzes eingeleitet werden können.

Bis Ende Oktober 2020, zu einem Zeitpunkt, an dem eine zweite Corona-Infektionswelle die Bundesrepublik erfasst hat, wurde die App fast 20 Millionen Mal heruntergeladen und vermutlich ist sie in 16 Millionen Handys aktiviert. Gemäß des Nachrichtenportals «The Pioneer» speisen zu diesem Zeitpunkt fast 500 Nutzer:innen pro Tag ihre positiven Ergebnisse in die App ein und ermöglichen damit die Warnung anderer App-Nutzer:innen. Das sind ungefähr 3 bis 5 Prozent der Gesamtzahl der Neu-Infizierten. Der Leiter der Digital-Abteilung im Bundesgesundheitsministerium hebt vor diesem Hintergrund hervor, dass jede unterbrochene Infektionskette grundsätzlich gut ist und die App hierzu einen Beitrag leistet. In diesem Sinn spricht auch der Regierungssprecher Steffen Seibert davon, dass die App-Nutzung als „Solidarität“ zu verstehen sei bzw. als „ein maximal wertvoller Helfer“. Der Gesundheitsminister Jens Span äußert sich etwas zurückhaltender und bezeichnet die App als „ein wichtiges Werkzeug – aber eben ein Werkzeug unter vielen in dieser Pandemie".

Im Untertitel des Slogans der Kampagne zur digitalen Public Health Intervention wirbt die Bundesregierung dafür, „Corona gemeinsam zu bekämpfen“. Public Health-Initiativen, die auf eine aktive Beteiligung von Teilen der Bevölkerung zielen, , firmieren unter dem Rubrum Citizen Science.  Basieren sie auf dem Einsatz digitaler Technologien, vor allem Erhebungen durch private Handys, so spricht man von Digital Citizen Science. Ihre Stärke besteht darin, dass lokal situiertes Wissen und Daten von heterogenen Bevölkerungsgruppen schnell und kostengünstig der Wissenschaft zur Verfügung gestellt werden. Während solche Initiativen normalerweise lokal begrenzt sind, adressiert diese Kampagne die gesamte Bevölkerung der Republik. Mit dem durch die App erzeugten, millionenfach lokal situierten Wissen soll die Replikationsrate gesenkt und damit das Gesundheitssystem (in Gestalt der Gesundheitsämter ebenso wie der Krankenhäuser) entlastet werden.

Diese Public Health-Intervention ist jedoch in der Politik nicht unumstritten. So äußert sich beispielsweise der bayrische Ministerpräsident Markus Söder, dass er die Corona-Warn-App für praktisch wirkungslos halte: „Die App ist leider bisher ein zahnloser Tiger. Sie hat kaum eine warnende Wirkung“. Mit seiner Aussage plädiert er für eine technische Modifizierung der App, damit sie eine optimale Wirkung entfalten kann. Ihm schließt sich das Mitglied des Bundesstages Karl Lauterbach an. Er moniert, dass nur 60% der Getesteten ihre positiven Testergebnisse über die App an das RKI weitergeben. Als Konsequenz regt er an, dass jeder positive Befund automatisiert an das RKI gehen solle. Es solle nach der Änderung eine Widerspruchslösung für Nutzer:innen vorbehalten sein.

Bei einer Bevölkerungsgröße von über 83 Millionen Menschen partizipiert mit 20 Millionen Teilnehmenden ca. ein Fünftel der Bevölkerung an dieser digitalen Public Health-Initiative. Dies ist bei weitem die bisher größte Digital Citizen Science-Initiative der Bundesrepublik. Aber diese Dimension verrät auch, dass sich bestimmte Bevölkerungsgruppen entweder nicht mit den Zielen, Funktionen oder Wirkungsweisen der Initiative anfreunden können oder sie schlicht nicht die technischen Möglichkeiten haben, teilzunehmen.

In einer Zeit der Pandemie, in der gesundheits- und ordnungspolitische Verordnungen in die Persönlichkeitsrechte der Bevölkerung eingreifen, in der mögliche gesundheitliche Belastungen manche Bevölkerungsgruppen besonders bedrohen und neue soziale sowie ökonomische Notlagen  vielen Menschen an die Existenz gehen, stellen sich viele Fragen. Aus der Perspektive von Public Health drängen sich zwei Fragen auf: Welche Möglichkeiten gibt es in diesen Zeiten für Prävention und Gesundheitsförderung. Welchen Maßnahmen zeigen positive und welche aber auch negative oder unintendierte Effekte?

Die Corona-Warn-App ist hier von besonderer Bedeutung: Einerseits involviert sie weite Bevölkerungskreise und kann dadurch als Chance, Herausforderung oder Bedrohung empfunden werden. Andererseits ist es eine Initiative, die auf Freiwilligkeit beruht, d.h. verschiedene gesundheitsbezogene Positionen dürfen sich auch artikulieren. In diesem Sinne soll – bezogen auf die Corona-Warn-App – u.a. gefragt werden: Welche Hoffnungen und Ängste sind mit ihr verknüpft? Welche Effekte zeigen die digitalen Praktiken? Inwiefern tangiert sie die soziale und emotionale Gesundheit? Wäre die Intervention verbesserungswürdig?

Im Rahmen von zwei Forenanalysen und 40 qualitativen Interviews sollen erste Antworten gefunden werden. Die Interviews sollen bis Ende Oktober geführt werden. Die Interviews werden online via Zoom, Skype oder per Telefon geführt, es ist zu keinem Zeitpunkt physischer Kontakt zu der Forschenden nötig. Selbstverständlich findet die Forschung gemäß der geltenden Datenschutzbestimmungen statt: Die Interviews werden anonymisiert und die Transkripte und Tondateien nach der Auswertung und Beendigung des Projektes gelöscht.

Teilnahmebedingungen:
Bedingungen für die Teilnahme an der Studie sind: Volljährigkeit und ausreichende Kenntnisse der deutschen, französischen oder englischen Sprache. Die Nutzung der App ist keine Voraussetzung.




Aktualisiert von: IPP-Content