Projektdetails

Handbuch Drogen in sozial- und kulturwissenschaftlicher Perspektive

Laufzeit: 01.06.2015 - 30.09.2018
Forschungsteam:

Prof.  Dr. Ulrich Bröckling (Projektleitung);

 

Dr. Robert Feustel (Projektleitung);

 

Prof. Dr. Henning Schmidt-Semisch (Projektleitung);

 
Projekttyp: Eigenprojekt
Finanzierung: Eigenmittel

Beschreibung

Das Thema Drogen provoziert heftige Reaktionen. Es wird in unterschiedlichen Wissenschaften, in Politik, Gesellschaft und Medien genauso wie in privaten Zusammenhängen diskutiert und problemati­siert. Die Gefahren der Drogen werden beschworen, weit seltener wird ihr Genuss- und Erkenntnispoten­tial hervorgehoben. Die Spannbreite der Debatten ist riesig. Sie reicht von Helmut Kohls Vision einer Gesellschaft, „die Rausch einmal genauso ächtet wie Kannibalismus“ bis zu Ronald K. Siegels viertem Trieb – also jener Vorstellung, dass der von Drogen hervorgerufene Rausch genauso natürlich sei wir Hunger oder Durst. Zugleich haben die verschiedenen Diskussionen zum Thema einen historischen Rah­men: Erst seit etwa zwei Jahrhunderten lässt sich die Geschichte einer wissenschaftlichen und politischen Problematisierung von Stoffen, ihren Effekten und den dazugehörigen Verhaltensweisen mithilfe der Klammern Drogen, Rausch und Sucht erkennen. Gerade weil Drogen und ihre umstrittenen Effekte indi­viduell und kollektiv, privat und politisch, medizinisch und philosophisch, aktuell und historisch Wellen schlagen, weil sie an der diffusen Grenze von Subjekt und Gesellschaft ihr Werk verrichten, sind sie ein bedeutsamer Gegenstand der Soziologie.

Das "Handbuch Drogen in sozial- und kulturwissenschaftlicher Perspektive" soll das soziologische Feld in Bezug auf Drogen und die mit ih­nen verbundenen sozialen, gesellschaftlichen und politischen Praktiken kartographieren. Die Soziologie liefert vielfältige Perspektiven, Theorien und Deutungsangebote, die oft in Einzelstudien und im Rahmen anderer Themen verarbeitet wurden. Zu häufig jedoch folgt die Thematisierung von Drogen einem glei­chermaßen affektiven wie automatisierten Kurzschluss von Drogen und Sucht: Wenn über Drogen ge­sprochen wird, dann meist in der Rhetorik von Rausch und Abhängigkeit. Drogen erscheinen als gefähr­lich oder riskant, Analysen des Drogengebrauchs sollen Wege zu Prävention und Therapie aufzeigen. Das Handbuch entzieht sich dieser Pfadabhängigkeit und soll verschiedene soziologische Zugänge zu Drogen, Drogenkonsum, -handel, Rausch und deren Historizität abschreiten, ohne die zeitgemäße Problematisie­rung von Sucht und Abhängigkeit immer schon anzunehmen. Drogengebrauch wird – statt nur als abwei­chendes Verhalten zu gelten – als kulturelle Praxis antizipiert, die auf sehr heterogene Weise ihre gesell­schaftliche Rolle spielt. Daraus ergeben sich vielfältige Fragen und Themenkomplexe: Die performativen Momente des Gebrauchs, die kontingenten Bedeutungszuschreibungen, die Einordnung von Drogen und ihren Effekten in Kategorien des Fremden und des Eigenen usw. Nicht zuletzt stellt sich aus einem sozio­logischen Blick die Frage, woher die Idee der Prohibition bestimmter Stoffe stammt, welcher politischen Rationalität sie folgt und was sie ins Rollen gebracht hat.

Die Stärke soziologischer Perspektiven auf das Thema Drogen besteht vor allem in ihrer methodischen Distanz: Sie sondieren das Feld an der Schnittstelle von Subjektivierungen und Vergesellschaftungsformen und öffnen so den Blick dafür, welche sozialen Funktionen mit Drogen verknüpft werden, welche Sinndeutungen unterschiedliche Akteure damit verbinden und welche Praxisformen sich im Umgang mit ihnen herausgebildet haben. Von der Materialität der Drogen (aber nicht von einzelnen Substanzen) ausgehend, soll das geplante Handbuch auch an­grenzende Themen wie Rausch, Sucht, Abstinenz oder Kriminalität und deren Historizität einbeziehen. Ziel ist ein Überblick über die vielfältigen sozio­logischen Perspektivierungen von Drogenproduktion, -handel und -konsum, der Gebrauchsweisen und Bedeutungszuschreibungen von Drogen, rechtlicher und politischer Regulierungen. Es soll darum gehen, die Soziologie auf ihren Zugang zu Drogen abzuklopfen und zugleich – soweit möglich – ausgetretene Pfade zu verlassen.




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