Sommersemester 2019: "Bremen so frei" und "Zwischen Chaos und Commerz"

"Bremen so frei" reloaded am 1. Juni 2019

Weil der 1. Juni dieses Jahr auf einen Sonnabend fiel, nutzte eine stattliche Gruppe aus dem Chor die Gelegenheit, vor den eigentlichen Semesterabschlusskonzerten in der Mitte des Semesters gemeinsam beim Mitsingfest "Bremen so frei" auf dem Bremer Marktplatz mitzumachen, das dieses Jahr zum dritten Mal unter der Leitung von Susanne Gläß stattfand. Um das mehrstimmige Singen der Chöre auf dem Marktplatz zu unterstützen, sangen erstmalig drei Mitglieder des Chores der Universität auf der Bühne die Lieder mehrstimmig mit: Hanna Deutschmann die Altstimme, Jan-Hendrik von Stemm die Tenorstimme und Takuya Noboru die Bassstimme. Alle drei sangen ihre Stimmen alleine und auswendig. Zusätzlich bemerkenswert ist dabei die Leistung von Takuya Noboru, dessen Muttersprache Japanisch ist und der erst vor drei Jahren für sein Masterstudium in Musikwissenschaft nach Deutschland gekommen ist. Hanna Deutschmann hat sich über ihr Singen hinaus in ganz besonderer Weise für das Mitsingfest engagiert: Sie hat ihre kulturwissenschaftliche Bachelorarbeit über "Bremen so frei" geschrieben. Ein Bericht darüber ist auf der Homepage der Universität unter Campusgeschichten erschienen. Ihre Arbeit wurde außerdem in einem Vorbericht über das Mitsingfest im Weser-Kurier (31.5.19) thematisiert. Die komplette Bachelorarbeit findet sich hier​​​​​​​.

Chor der Universität Bremen: Männerstimmen, aufgebracht
Der Chor der Universität Bremen in Aktion bei "Rufen Sie Herrn Plim"

Groteske Musik aus Berlin und Leningrad aus den 1930er Jahren in Konzerten am 2. und 3. Juli 2019

Satire und Ironie – diese Stilmittel wurden in den 1930er Jahren in der Musik, im Kabarett und  im Theater genutzt und bis ins Groteske überzeichnet. Das galt für klassische Musik ebenso wie für Schlager dieser Zeit, die bis heute unvergessen sind, etwa von den Comedian Harmonists oder Claire Waldorff. In der damaligen Sowjetunion wie in Deutschland gab es künstlerischen Freiraum für Experimente in allen Bereichen, aber auch große Not im Gefolge der Weltwirtschaftskrise. Alle Werke dieses Konzertabends spiegeln die turbulente Stimmung dieser Zeit und kommentieren sie mit Witz und Ironie.

Der Chor hat Mischa Spolianskys Kabarettoper "Rufen Sie Herrn Plim" gesungen

Mischa Spoliansky ist heute fast vergessen, war aber in den 1920er und 1930er Jahren bis zu seinem Exil neben Hollaender der bedeutendste Komponist des deutschen Kabaretts in Berlin und schrieb unter anderem Songs für die Comedian Harmonists und Marlene Dietrich. Er hat 1932 die halbstündige Kabarett-Oper „Rufen Sie Herrn Plim“ komponiert. Thema der kleinen Oper ist die Anonymität des modernen Lebens, bei der die Gefahr besteht, dass die Menschlichkeit verlorengeht. Erzählt wird das anhand der kuriosen Geschichte um Herrn Plim, der bei sämtlichen Reklamationen in einem Berliner Warenhaus gerufen wird und für alles die Schuld auf sich nimmt. Er soll sozusagen als fest angestellter Sündenbock dienen, doch der Plan scheitert grandios.

Der Chor hat die Oper zwar konzertant und nicht szenisch mit Kostümen und Kulissen aufgeführt, aber doch die Interaktion untereinander, die Körperhaltungen, die Mimik und die Gestik einstudiert. Dafür hatte er die fachliche Unterstützung der Regisseurin Vendula Nováková. Die Solopartien haben Mitglieder des Chores gesungen: Sanaz Sadat Afzali, Hanna Deutschmann, Jan-Hendrik von Stemm und Patrick Köhn. Den Klavierpart betreute Stefanie Adler, die Fassung für Chor und Klavier hat Susanne Gläß erstellt.

Chor der Universität Bremen: vier Solostimmen
Die Solostimmen (v. l.): Sanaz Sadat Afzali, Jan-Hendrik von Stemm, Hanna Deutschmann, Patrick Köhn
Orchester der Universität Bremen beim Aufbau mit Geigerin und Cellistin
Das Orchester beim Aufbauen der Verstärkung im "Haus am Walde"

Nicht nur in Berlin, sondern auch in Leningrad brach die Kunst zu neuen Ufern auf

Nach dem Chor ist das Ensemble BlechLights aufgetreten. Die Bandmitglieder waren oder sind Mitglieder des Orchesters der Universität. Sie spielten Musik des Leningrader Komponisten Dmitri Schostakowitsch. Der hatte in den Jahren 1933 - 1935 die Musik zu dem Zeichentrickfilm „Das Märchen vom Popen und seinem Knecht Balda“ komponiert. Darin geht es um Kritik an der Kirche und Autoritäten im Allgemeinen. Der Zeichentrickfilm selbst wurde nicht fertiggestellt und dann auch noch zerstört, aber Teile von Schostakowitschs Musik blieben erhalten und wurden zu einer Suite zusammengestellt. Bernd Feuchtner schreibt 2017 in "Not, List und Lust" (S. 145) über die erhaltenen Reste dieser Musik: "Sie gehören zum reizendsten, was Schostakowitsch je geschrieben hat."

Anschließend spielte das Orchester Schostakowitschs Suite "Der Bolzen". Schostakowitsch war erst  24 Jahre alt, als er in den Jahren 1930/31 in Leningrad die Musik für das Ballett "Der Bolzen" komponierte. Es spielt in einer Fabrik, in der ein Bösewicht die Maschine mit Hilfe eines Bolzens stoppt und damit die Arbeit der Guten sabotiert. Die handelnden Personen werden mit Witz und Sarkasmus in jeweils einzelnen Nummern charakterisiert. Der vierte Satz ist besonders eindrucksvoll: eine Folge von Tangos für großes Orchester. Die Uraufführung des Balletts fand 1931 im Kirov-Theater in Leningrad statt. Sie fiel durch - offensichtlich vor allem wegen Schwächen des Librettos. Acht besonders gelungene Nummern aus dem Ballett hat Schostakowitsch 1931 zu einer Suite zusammengefasst. Diese Fassung hat das Orchester der Universität Bremen aufgeführt.

Zum Abschluss des Konzerts haben BlechLights und Orchester gemeinsam Schostakowitschs berühmten Walzer Nr. 2 aus dessen „Suite Nr. 2 für Jazzorchester“ aus dem Jahr 1938 gespielt und damit tatsächlich einige Gäste zum Walzertanzen animieren können.

Werktitel, Programmblatt, Ausführende, Konzertdaten und Presse

"Zwischen Chaos und Commerz"

Mischa Spoliansky: "Rufen Sie Herrn Plim" 
Libretto: Kurt Robitschek und Marcellus Schiffer
Arrangement für Chor und Klavier: Susanne Gläß
Sopran: Sanaz Sadat Afzali
Alt: Hanna Deutschmann
Tenor: Jan-Hendrik von Stemm
Bass: Patrick Köhn
Klavier: Stefanie Adler
Regie: Vendula Nováková
Chor der Universität Bremen
Leitung: Susanne Gläß

Dimitri Schostakowitsch: „Das Märchen vom Popen und seinem Knecht Balda“
Ensemble BlechLights
Sopransaxophon, Trompete: Gerd Anders
Sopransaxophon, Tenorsaxophon: Christine Potschkat
Altsaxophon: Eve-Marie Hadamovsky
Posaune: Meike Gatter
Tuba: Martin Pape
Schlagwerk: Christian Süssle

Dimitri Schostakowitsch: Orchestersuite No. 5 „Der Bolzen“
Ouvertüre - Tanz des Bürokraten (Polka) - Tanz der Bierkutscher - Tango/Kozelovs Tanz - Intermezzo - Tanz der Leibeigenen - Der Kompromissler - Tanz und Apotheose
Xylofon: Carlo Arosio
Orchester der Universität Bremen und Ensemble BlechLights
Leitung: Susanne Gläß

Dimitri Schostakowitsch: Walzer No. 2 aus der Jazzsuite No. 2
Orchester der Universität Bremen und Ensemble BlechLights
Leitung: Susanne Gläß

Korrepetition Chorproben: Stefanie Adler
Konzertmeister Orchester: David Steinebrunner
Coaching Streichinstrumente: Marie Daniels (Bremer Philharmoniker)
Coaching Holzblasinstrumente: Martin Abendroth
Coaching Blechblasinstrumente: Imke Howie

Konzerte
Dienstag, 2. Juli 2019, 19.30 Uhr, Garten des "Haus am Walde"/Bremen
Mittwoch, 3. Juli 2019, 20 Uhr, Gutsscheune Stuhr/Varrel

Programmbroschüre

Rezension im Weser-Kurier am 4.7.19

Susanne Gläß anmoderierend
Universitätsmusikdirektorin Dr. Susanne Gläß (links)

Dasselbe Programm ist bereits fast 10 Jahre zuvor im Kulturzentrum Schlachthof in Bremen aufgeführt worden.