Am Anfang der Gründung von aisencia stand ein Grundgedanke: „Die Probenverarbeitung in der Dermatologie ist extrem langwierig und kompliziert und passt überhaupt nicht ins 21. Jahrhundert“, sagt Maximilian Schmidt, einer der Gründer von aisencia. Denn in der Regel werden Hautproben ohne digitale Hilfsmittel im Labor unter dem Mikroskop untersucht. Das bedeutet eine Vielzahl von Zwischenschritten bis zur Diagnose: Wer die Proben analysiert, hält die eigenen Einschätzungen meistens mündlich in einer Tonaufnahme fest. Diese muss anschließend verschriftlicht und zur Unterschrift vorgelegt werden. Aufwendig ist es auch, eine zweite Meinung einzuholen: Hierzu werden die Proben meist per Post verschickt.
Dabei gibt es bereits Scanner, die von Gewebeproben digitale Aufnahmen erstellen und dadurch eine Analyse am Computer möglich machen. Das Angebot von Maximilian Schmidt, Daniel Otero Baguer, Jean Le’Clerc Arrastia und Dietrich Schreiber baut auf diesen Scannern auf. Die vier Gründer von aisencia haben ein KI-Modell darauf trainiert, digitale Mikroskop-Bilder zu analysieren und anschließend eine Diagnose vorzuschlagen. Zusätzlich bieten sie eine digitale Probenverarbeitung an: Die KI erstellt automatisch einen Vorschlag für einen Befundbericht, den Mediziner:innen direkt einsehen und unterschreiben können, ohne den Zwischenschritt mit einer Tonaufnahme gehen zu müssen.
Ein Diagnosetool für über 40 Hautkrankheiten
Über 40 Krankheiten, die circa 80 Prozent der täglichen Diagnosen in der Dermatopathologie ausmachen, kann das KI-Modell von aisencia bereits erkennen. Um das möglich zu machen, haben die Gründer mit Partnern wie der Universitätsmedizin Essen und dem Universitätsklinikum Bonn zusammengearbeitet. Von dort bekamen sie über 100.000 Bilder von Gewebeproben, mit denen sie das KI-Modell trainierten. Aktuell arbeiten sie an einer Zertifizierung ihres Produkts für den europäischen Markt. Aber wie ist das Team überhaupt so weit gekommen? Und wie blicken die Gründer von aisencia heute auf die ihren Weg von der Wissenschaft in die Start-up-Welt in den vergangenen drei Jahren zurück?
Angefangen hat alles in der Arbeitsgruppe Technomathematik von Peter Maaß, Professor am Zentrum für Industriemathematik. Auf Anregung eines Pathologen unternahm Peter Maaß mit seinem Team erste Forschungsversuche. Die fielen so vielversprechend aus, dass er eine Ausgründung vorschlug und dafür drei seiner Mitarbeiter ansprach: die Doktoranden Jean Le’Clerc Arrastia und Maximilian Schmidt sowie Daniel Otero Baguer, der als Postdoc bei ihm arbeitete. Zusätzlich holte Peter Maaß noch Dietrich Schreiber ins Team, der Chemie und BWL studiert und zuvor in verschiedenen Unternehmen gearbeitet hatte.
Wie BRIDGE bei der Förderantragsstellung unterstützt
„Was die wissenschaftliche Forschung angeht, hatten wir viele Ideen und Ansätze, die wir verfolgen wollten“, sagt Jean Le’Clerc Arrastia. Neuland betraten die Gründer aber mit der Suche nach einer Finanzierung. Das Team entschied sich dafür, eine Förderung im Rahmen des Programms „EXIST-Forschungstransfer“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz zu beantragen. „Das eignete sich für unsere Idee besonders gut, weil es speziell forschungsbasierte und risikoreiche Gründungsvorhaben unterstützt“, erläutert Daniel Otero Baguer. So leicht die Entscheidung für das Förderprogramm fiel, so aufwendig war aber das Bewerbungsverfahren. Hilfe bekam das Team dabei von BRIDGE, der Gründungsunterstützung an der Universität Bremen, angesiedelt beim Referat UniTransfer. BRIDGE ist gleichzeitig ein Hochschulnetzwerk und die zentrale Anlaufstelle für Studierende, Alumni und Angehörige der Bremischen Hochschulen zum Thema Existenzgründung.
BRIDGE möchte das Gründungsklima an den Bremischen Hochschulen verbessern und aussichtsreiche Ideen mit Gründungspotenzial frühzeitig fördern. Stephanie Rabe ist seit zehn Jahren Gründungsberaterin bei BRIDGE und war für das aisencia-Team zuständig. „Für einen Antrag in dieser Förderlinie reicht eine gute Forschungsidee nicht aus. Man braucht außerdem eine Art Businessplan“, erläutert sie. Sich in dieses Gebiet einzuarbeiten, sei für Forschende oft nicht leicht, habe aber bei aisencia gut funktioniert. „Hilfreich war dabei vor allem, dass es im Team schon Expertise zum Thema gab und die Rollen der einzelnen Teammitglieder aus meiner Sicht klar definiert waren“, bilanziert sie. In den nächsten Monaten gingen Textbausteine aus dem Antrag immer wieder zwischen den Gründern und Stephanie Rabe hin und her. Als der Antrag für alle stimmig war, wurde er durch die Universität Bremen/BRIDGE beim Projektträger eingereicht. Nach sechs Monaten und einer Präsentation vor einer Jury in Berlin kam im September 2021 schließlich die ersehnte positive Rückmeldung. Für 18 Monate erhielten die Gründer alles, um ihr Konzept umzusetzen. Alle Personalstellen, Anschaffungen und Reisekosten waren durch die Förderung in Höhe von rund 750.000 Euro abgedeckt. Bei der gesamten Projektabwicklung wurde das Team durch die Gründungsunterstützung der Uni/BRIDGE begleitet, zum Beispiel durch monatliche Status quo-Gespräche und Präsentationen.
Abseits der Forschung: neue Welten entdecken zwischen Patenten und Businessplänen
In dieser Zeit bekam das Team auch einen neuen Standort: BRIDGE stellte den Gründern Büroräume im Digital Hub Industry im Technologiepark Bremen zur Verfügung. „Das hat sehr gut zu unserer Situation gepasst, weil wir weiterhin in der wissenschaftlichen Forschung gearbeitet haben, aber uns auch mit wirtschaftlichen und rechtlichen Fragen beschäftigt haben“, sagt Dietrich Schreiber. Wie geht das, ein Patent anzumelden? Wie lässt sich ein medizinisches Produkt vermarkten? Und wie baut man überhaupt eine Firma auf? All diese Fragen trieben die Gründer neben ihrer wissenschaftlichen Arbeit an der Universität um. Beides miteinander zu verbinden, war für sie manchmal herausfordernd. „Viele organisatorische Dinge laufen beim Gründen schneller ab als an der Universität“, sagt Maximilian Schmidt. „Wir waren aber im Rahmen der EXIST-Förderung noch an der Universität angestellt und mussten auch dort Fristen, zum Beispiel für die Abgabe unserer Zwischenberichte, im Blick behalten. Während des gesamten Projektes wurden wir super von BRIDGE unterstützt.“
Mit der offiziellen Gründung ihres Start-ups in Form einer GmbH gingen die Gründer schließlich ihre eigenen Wege. Die Verbindungen zur Universität bleiben trotzdem eng: Beim Wettbewerb CAMPUSiDEEN, in dem BRIDGE Geschäftsideen und Geschäftskonzepte der Bremer Hochschullandschaft auszeichnet, war das Team vertreten und ging mit einem ersten Preis nach Hause. Und bei der BRIDGE StartUp-Lounge und der Bremen-Cardiff Initiative on Sustainability & Entrepreneurship, einem Gründungsworkshop für Studierende der Universität Bremen und Cardiff, berichtete das Team über seine Gründungserfahrungen. Wer ganz praktische Einblicke in die Arbeit eines Start-ups bekommen möchte, dem stehen bei aisencia die Türen offen, betont Jean Le’Clerc Arrastia. „Wir sind immer wieder auf der Suche nach Werkstudierenden aus allen Fachbereichen.“
Verfasst von Iria Sorge-Röder
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