Dienstag, 29. November 2022, 12.30 Uhr, Theatersaal, Eintritt frei
Die Wirkung der Zeit: klassisch und neoklassisch

Esperanza Domingo Gil/Querflöte & Juan María Solare/Klavier

Programm

Wolfgang Amadeus Mozart (1756 – 1791)

Andante in C-Dur, KV 315
Wiegenlied 'Schlafe, mein Prinzchen, schlaf ein'

(Mozart zugeeignet, eigentlich von Bernhard Flies, * um 1770)

 

Juan María Solare (*1966)

Talismán (barocker Tango)

Tránsfuga

 

Ástor Piazzolla (1921 – 1992)

Café 1930 (aus L'Histoire du tango)

Oblivion

Libertango

 

Dass Musik in der Zeit stattfindet, ist nichts Neues, aber die musikalische Zeit unterscheidet sich sehr von der chronologischen oder biologischen Zeit. Die Auswirkung der Zeit ist auf einem grundlegenden Niveau die Alterung. Aber in der Musik gilt das nicht ohne weiteres. Das Publikum altert schneller als die Musik. Wenn Musik alt klingt, dann deshalb, weil sie bereits "alt" geboren wurde.

Eine Auswirkung der Zeit ist, dass Werke aus verschiedenen Epochen nebeneinander bestehen können und dass Stile aus früheren Epochen Jahrhunderte später "wiedergeboren" werden können, was eine völlig andere Perspektive mit sich bringt (so wie die klassische Musik transformiert und neoklassisch wird).

In kleinerem Maßstab beeinflusst die Zeit auch, wie wir vergangene Ereignisse in der Zukunft wahrnehmen, und umgekehrt: Sie bringt eine einzigartige Perspektive mit sich, und in diesem Fall verändert die Reihenfolge der Faktoren das Ergebnis. Die Präsentation der Stile in einer bestimmten Reihenfolge führt dazu, dass wir die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Stile anders bewerten. Je nachdem, welche Musik ihnen vorausgeht, nehmen die Werke unterschiedliche stilistische Kontraste und emotionale Werte für den Hörer an. 

Mozart ist der klassische Musiker schlechthin. Piazzolla, der bekannteste Vertreter des argentinischen Tangos in Europa. Solare schlägt (in diesem Programm) eine Ästhetik vor, die zwischen beiden Polen liegt, eine Musik, die ihre Wurzeln in beiden Welten hat: ein barocker Tango und eine Tango-Fuge.

Der kleine Zeitraum, der dieses Konzert einrahmt, beherbergt drei gewaltige musikalische Epochen, deren Gegensätze und Gemeinsamkeiten nur der vollen Wirkung der Zeit zugeschrieben werden können.

Esperanza Domingo Gil
Esperanza Domingo Gil

Esperanza Domingo Gil

beschäftigt sich seit langem leidenschaftlich mit den scheinbar gegensätzlichen Polen von Kunst und Wissenschaft, Emotion und Vernunft - untrennbare und voneinander abhängige Extreme - und deren Übertragung auf Musik und Gehirn.

Die in Castellón geborene spanische Musikerin und Psychologin lebt seit 2019 in Bremen, wohin sie gezogen ist, um den Master of Science in Neurowissenschaften zu machen. Ihren Bachelor of Music absolvierte sie in Barcelona bei Julia Gállego (Conservatori Superior del Liceu) und spezialisierte sich auf Musikpädagogik. Gleichzeitig schloss sie ein Psychologiestudium (Universität Barcelona) ab, in dem sie sich auf Neuropsychologie spezialisierte und die zugrundeliegenden Mechanismen der Tonhöhenunterscheidung und ihre Beziehung zu musikalischen Fähigkeiten untersuchte. Außerdem nahm sie an Kursen und Meisterklassen von Jacques Zoon, Christian Farroni und Mónica Raga teil und trat im Jungen Nationalorchester von Andorra als erste Flötistin und Solistin auf.

Esperanza spielt zurzeit im Orchester der Universität Bremen, im Tango-Orchester der Universität Bremen und im Orchester der Bremer Orchestergemeinschaft mit. Sie schreibt gerade ihre MSc. Neurowissenschaftliche Arbeit in der Gruppe von Prof. Kreiter, wo sie Kommunikations- und Informationsübertragungsmechanismen zwischen Hirnarealen untersucht.

Esperanza ist auch die Wettbewerbskoordinatorin des Andorra Sax Fest, eines der renommiertesten Wettbewerbe und Festivals für klassisches Saxophon, das über Ostern in Andorra stattfindet und Profis und Musikliebhaber aus der ganzen Welt zusammenbringt.

Juan María Solare
Juan María Solare

Juan María Solare

(Buenos Aires, 1966) vereint in seiner Person diverse Spannungen: Neue Musik und Tango Argentino, Süden und Norden, Komposition und Interpretation.

Biographisches

Der in Argentinien geborene Komponist und Pianist Juan María Solare lebt seit 1993 in Deutschland. Nach seinem Konzertexamen in Argentinien (UNA - Universidad Nacional de las Artes) absolvierte er an der Musikhochschule Köln sein Kompositionstudium (Fritsch, Kagel, Barlow, Humpert). In Stuttgart studierte er bei Helmut Lachenmann. Dazu, Kurse bei Karlheinz Stockhausen, Luciano Berio oder Jaap Blonk. 
Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD), die Heinrich-Strobel-Stiftung (Baden-Baden), die Künstlerhäuser Worpswede, die Waldemar-Koch-Stiftung, der Senat für Kultur Bremen und der Deutsche Musikrat haben an ihn Stipendien vergeben.

Oeuvre

Komponiert hat er über 777 Werke, die europaweit aufgeführt und vom Rundfunk gesendet werden (Berlin, München, Amsterdam, Graz, Genf, Madrid, London, Sevilla, Seinäjoki, Thesaloniki, Istanbul, Sydney, Tokyo, Buenos Aires, New York...). Repräsentative Gattungen: Solo- und Kammermusik, Elektroakustik, Tangomusik. Fünfzehn CDs von diversen InterpretInnen beinhalten mindestens ein Werk von Solare.
Kompositionsaufträge: Radio Nacional de España (Spanien), Centro para la Difusión de la Música Contemporánea (CDMC, Spanien), Kunststiftung NRW (Düsseldorf), Tanzverein Passages Sauvages (Genf), Landesmusikrat Bremen, Karin und Uwe Hollweg Stiftung (Bremen), Fundación Encuentros Internacionales de Música (Argentina).
Die Verlage Dohr (Köln), Ricordi (München), Edition Tre Fontane (Münster), Peermusic (Hamburg) und GCC (Buenos Aires) haben mehrere seiner Kompositionen veröffentlicht. Für den Musikverlag Ricordi München hat Solare vier Alben mit Klaviermusik herausgegeben und für den Peters Verlag (Leipzig) ein Album mit 20 Tangos für Gesang und Klavier.

Aktuelle pädagogische Aktivität

Solare unterrichtet an der Universität Bremen Tangomusik (Leitung des Orquesta no Típica) und an der Hochschule für Künste Bremen Komposition und Arrangement für die Schulpraxis. Zusätzlich leitet er das Orchester der Bremer Orchestergemeinschaft.

Stil

Die stilistischen Elemente seines musikalischen Oeuvres schließen eine Tendenz zur Aphoristik, eine Prise unbestechlicher Melancholie, eine Dosis Ironie und Humor (verbunden mit dem surrealistisch Absurden) und ein Sich-Sehnen nach dem Erhabenen ein.
Sein Musikstil stammt aus dem Zusammenfluss vom post-Piazzolla Tango Nuevo und der zeitgenössischen, "post-tonalen" Musik. "Kunstmusik und Unterhaltungsmusik sind keine unversöhnliche Extreme, sondern Pole in einem Kraftfeld", schrieb Solare über seine "musikalische Zweisprachigkeit".

Klavier

Als Pianist hat sein Repertoire zwei Schwerpunkte: klassische Musik unserer Zeit (Cage, Schönberg, Scriabin, Liszt - Spätwerk -, Berio, Pärt) und argentinische Komponisten (inklusive Tango) mit eigenen Werken in jeder Kategorie.
Seine Aufnahmen sind in iTunes oder Spotify erhältlich (11 CDs, mehrere Singles). Seine Musik hat auf Spotify knapp 25 Millionen Streams erreicht.

http://www.juanmariasolare.com/