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Journée d'étude zu Literaturübersetzung

Ein facettenreicher Studientag mit Übersetzungsworkshop und Autorinnenlesung im Insitut Français im Rahmen der Globale° 2023

Der Auftakt der diesjährigen Globale° war frankophon geprägt: Die Lesung mit der Autorin Diaty Diallo am 23.10.2023 zu ihrem Erstlingswerk "Deux secondes d'air qui brûle" (2022) und ihrer Übersetzerin Lena Müller für die deutsche Ausgabe "Zwei Sekunden brennende Luft" (2023) im Institut Français war uns Anlass genug zu einer Journée d'étude mit Studierenden.

Zuerst gab Lena Müller am Nachmittag Einblicke in die Tätigkeit der Literaturübersetzerin und in ihre jüngste Übersetzung von Diaty Diallos Roman. Für sie stand dabei im Vordergrund, "den Sound eines Buches herauszubekommen", in dem die Geschichte einer Jungenclique in der Pariser Banlieue erzählt wird. Zu Beginn des Übersetzungsprojekts ging es ihr darum zu klären: "Auf was für eine Erzählstimme treffe ich hier? Was für ein Tonfall ist das? Wer spricht mit mir? Wer erzählt und wie genau tut er das?" Sie musste den Ich-Erzähler, Astor, wie einen realen Freund kennenlernen - nur das Sprachregister zu erkennen reiche nicht, um einer solchen Figur gerecht zu werden. Denn schnell stellte sich heraus: Astor spricht nicht aus der Perspektive eines "Ich", sonderm gibt der vorurteilsgebeutelten Vorstadtjugend mit einem "Wir", einer hybriden Kunstsprache aus intellektuellen Reflexionen und Jugendslang, eine ganz ungewohnte Stimme. In dieser vermeintlichen Widersprüchlichkeit entpuppt sich der Roman zu einer Gegenerzählung zum herrschenden Gesellschaftsdiskurs über junge Menschen, die einfach nur ein ganz normales Leben führen wollen - das ihnen aber verwehrt wird.

Die Übersetzung entstand in Kooperation mit Nouria Behloul - auf Distanz zwischen Berlin und Marseille, die eine etablierte Übersetzerin, die andere völlige Novizin. Ihren gemeinsamen Übersetzungsprozess dokumentierten die beiden online in einem Journal. Für Lena Müller wurde klar, dass bei diesem Projekt ihre Übersetzungsroutinen vom Französischen ins Deutsche eher hinderlich waren, ja dass es vielleicht sogar förderlicher gewesen wäre, mit der zweisprachigen Nouria Belhoul das Buch zuerst rein mündlich zu übersetzen, um sich vom Text zu lösen und dem Sound der französischen Banlieue mehr Beachtung zu schenken. Und immer wieder kam sie auf den Gedanken zurück, "wer eigentlich wen übersetzt" - wer welches Sprachwissen und welches Erfahrungswissen hat und wie sie ihre Stimme als weiße Übersetzerin in der deutschen Fassung möglichst minimieren kann.

Die Fragen und Diskussionen mit den Studierenden waren umfassend, die Zeit viel zu kurz: "Ist alles übersetzbar?", "Wie tief steigt man als Übersetzerin in ein Thema ein?", "Sind Jugendliche, die Kietzdeutsch sprechen in der Pariser Banlieue, glaubwürdig?", "Welche Musik wurde beim Übersetzen gehört?", "Welche Sprachexperimente wurden beim Schreiben ausprobiert, um diesem Sound nahe zu kommen und im Deutschen gerecht zu werden?", "Warum wurde sich gegen ein Slang-Glossar für die deutsche intellektuelle Leser*innenschaft entschieden?"

Am Abend im Institut Français lasen Lena Müller und Diaty Diallo Passagen aus dem Buch zweisprachig vor, offenbarten eine zarte Sprache über Freundschaft und Trauer und der Sehnsucht nach einem ruhigen Leben in Frieden. Diaty Diallo erklärte dem Publikum, der "Fiktion" in den Medien über eine a-politische, gewaltvolle Jugend in der französischen Banlieue - aus der sie selbst kommt, mit einer ganz anderen, sensiblen "Fiktion" entgegnen zu wollen, als einem bewussten literarischen Akt. Und das gelingt ihr: Der wohlbekannte Blick von Außen kontrastiert mit ihrer Darstellung der Innenperspektiven, der Gefühlswelten der Betroffenen.

Für sie vermag es Literatur gerade, Dinge zu erschaffen, die wir in der Realität nicht sehen wollen, sehen dürfen oder sehen können. Die Realität bleibe oft das, was man sehen will oder eben gelernt hat, zu sehen. Genau damit will ihr Roman brechen. In unseren Ohren werden all diese Stimmen der Journée d'étude und des Romans noch lange nachhallen!

Diallo, Diaty, Zwei Sekunden brennende Luft, Aus dem Französischen von Nouria Behloul und Lena Müller, ISBN 978-3-86241-501-4 | erschienen 08/2023 im Verlag Assoziation A

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