Könnten Sie sich kurz vorstellen und beschreiben, was Sie an der Universität Bremen machen?
Mein Name ist Nicole Hober. Seit 2020 bin ich wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin in der Arbeitsgruppe von Professor Marcus Callies. In dieser Funktion lehre ich im Bereich English Speaking Cultures und unterstütze bei verschiedenen Forschungs- und Verwaltungsaufgaben. Zudem verfolge ich ein eigenes Promotionsprojekt, das sich mit dem Sprachkontakt zwischen dem Mopan Maya, einer indigenen Maya-Sprache, und dem Englischen in Belize beschäftigt – einer einzigartigen Sprachkontaktsituation in Zentralamerika.
Wie sind Sie auf das Thema Sprachkontakt zwischen Englisch und Mopan Maya in Belize aufmerksam geworden?
Mein akademischer Werdegang an der Universität Bremen, mit dem Bachelorprofil Linguistik und English Speaking Cultures sowie dem Masterstudium in Language Sciences, war stets geprägt von zwei Interessen: der weltweiten Vielfalt des Englischen und den mesoamerikanischen, insbesondere den Maya-Sprachen. Ursprünglich habe ich mich mit dem Yukatekischen Maya befasst, das bereits vergleichsweise gut erforscht ist. Als es darum ging, mein Promotionsvorhaben zu entwickeln, wollte ich beide Interessensschwerpunkte verbinden. Belize als einziges englischsprachiges Land in Zentralamerika, in dem Maya-Sprachen gesprochen werden, erschien mir hierfür ideal. Sprachkontakt hat mich zudem schon früh fasziniert – bereits meine Bachelorarbeit thematisierte dies, damals im Zusammenhang mit dem Spanischen.
Was hat Sie dazu inspiriert, dieses spezifische Projekt zu verfolgen?
Mir war von Anfang an wichtig, für meine Promotion Feldforschung zu betreiben. Ich wollte eigene Daten erheben und nicht ausschließlich im Büro arbeiten. Feldforschung bedeutet, direkt mit den Sprecher*innen der betreffenden Sprache in Kontakt zu treten. Mein Ziel war es stets, auch methodisch zur Diskussion beizutragen, wie heutige Forschung aussehen sollte und welche ethischen Prinzipien sie berücksichtigen muss.
Wie kam es dazu, dass Sie „Der kleine Prinz“ ins Mopan Maya übersetzt haben?
Während meines ersten Aufenthalts in Belize im Jahr 2022 – gefördert durch ein DAAD-Stipendium – knüpfte ich Kontakte zur Galen University und begann mit der Umsetzung meines Projekts. Es zeigte sich rasch, dass großes Interesse daran besteht, Mopan Maya nicht nur zu sprechen, sondern auch schriftlich zu verwenden. Im Gespräch mit Professor Stolz, der viel mit Übersetzungen des „Kleinen Prinzen“ gearbeitet hat, entstand schließlich die Idee, gemeinsam mit motivierten Sprecher*innen an einer Mopan-Version zu arbeiten. Elvia Bo und Stanley Peck übernahmen die Übersetzung, wobei wir insbesondere darauf achteten, kulturelle und sprachliche Eigenheiten angemessen zu berücksichtigen.
Was waren die größten Herausforderungen bei der Übersetzung der Novelle?
Trotz eines vielversprechenden ersten Manuskripts erforderte der Übersetzungsprozess viel Zeit und intensive Diskussionen – unter anderem über Begriffe, die im Mopan Maya nicht existieren, wie etwa „Flugzeug“. Die Standardisierung der Sprache ist noch nicht abgeschlossen, was Fragen der Orthografie, Zeichensetzung und Zusammenschreibung erschwert. Auch die regionale Variation innerhalb der Sprache stellte eine Herausforderung dar. Darüber hinaus erschwerte die unregelmäßige Internetverbindung in einigen Regionen die Kommunikation erheblich. Insgesamt dauerte der gesamte Prozess zwei Jahre. Da auch auf einen gemeinsamen Konsens zu kommen, war eine Herausforderung, aber im Endeffekt hat ja alles funktioniert. Es wurden allerdings viele Lehren daraus mitgenommen, was man noch tun müsste und tun möchte.
Welche besonderen Aspekte oder grammatikalischen Eigenheiten der Mopan Maya-Sprache sind Ihnen bei der Arbeit besonders aufgefallen?
Mopan Maya und Englisch unterscheiden sich grundlegend. Während Englisch der Struktur Subjekt–Verb–Objekt folgt, verwendet das Mopan Maya die Wortstellung Verb–Objekt–Subjekt. Die Sprache weist zudem besondere phonologische Merkmale auf, wie einen phonemischen Glottalverschluss, der bei Sprecher*innen mit Zweitsprachenerwerb zunehmend verloren geht. Weitere Besonderheiten sind das Numeralklassifikatorensystem sowie eine große semantische Differenzierung bei Handlungen. Auch pragmatisch sind Besonderheiten wie ein formalisiertes Respektsystem zu beobachten, das durch den Kontakt mit dem Englischen Veränderungen erfährt.
Wie haben Sie die Zusammenarbeit mit den Sprecher*innen vor Ort organisiert?
Die Maya-Gemeinschaften im Süden von Belize verfügen seit 2015 über offizielle Landrechte. Forschungsprojekte unterliegen daher dem „Free, Prior and Informed Consent Protocol“ (FPIC), das eine Zustimmung durch die betroffenen Gemeinschaften voraussetzt. Ich habe mich bewusst dafür entschieden, diesen Weg zu gehen, um Transparenz und Vertrauen zu schaffen. Nach einer formellen Einladung durch die Dorfgemeinschaft stellte ich mein Vorhaben vor und erhielt anschließend die Genehmigung. Erst danach wurde mit interessierten Sprecher*innen zusammengearbeitet.
Was hat das Projekt für die Menschen in Belize bedeutet?
Bei der offiziellen Veröffentlichung der Übersetzung im März 2025 an der Universität in Belize zeigte sich, wie groß das Interesse an diesem Projekt ist. Die Resonanz war sehr positiv – nicht nur auf der Veranstaltung selbst, sondern auch in sozialen Medien. Die Tatsache, dass ein Buch erstmals vollständig in Mopan Maya vorliegt, wurde als bedeutender Schritt gewertet. Gleichzeitig führten bestimmte Übersetzungsentscheidungen, wie etwa das Wort für „Prinz“, zu spannenden Diskussionen über sprachliche und kulturelle Angemessenheit.
Sie haben nicht nur die Übersetzung, sondern auch ein Hörbuch erstellt. Wie war die Resonanz darauf?
Das Hörbuch stieß auf ebenfalls große Zustimmung. Da viele Mopan-Sprecher*innen die Sprache nicht schreiben, aber verstehen, ermöglicht das Hörbuch einen breiteren Zugang. Ein QR-Code im Buch ermöglicht den digitalen Zugriff. Stanley Peck, der Zweitübersetzer, ist der Erzähler des Hörbuchs und Lehrer*innen und Schüler*innen der Schule in San Jose, das ist das Dorf, in dem ich primär bin, die haben die Charaktere eingelesen. So kann man es ganz schön lesen, während man es hört.
Wie kam es, dass das Projekt im Fernsehen in Belize vorgestellt wurde?
Ein Vortrag an der Galen University führte zur Vermittlung eines TV-Interviews, bei dem das Projekt vorgestellt wurde. Auch hier war das Interesse groß, insbesondere weil vielen Belizianer*innen gar nicht bewusst war, dass Mopan Maya eine eigenständige Sprache ist. Der Beitrag trug somit auch zur sprachpolitischen Sichtbarkeit bei.
Was haben Sie persönlich aus der Arbeit an diesem Projekt gelernt - sprachlich, kulturell oder auch persönlich?
Mir ist deutlich geworden, wie eng Sprache mit Ideologie und Emotionen verknüpft ist. Zudem habe ich erfahren, wie wichtig Standardisierung für das Empowerment von Sprecher*innen ist. Sie bietet Orientierung und trägt zur Akzeptanz des Schriftgebrauchs bei. Nicht, um zu sagen „Das ist richtig und falsch“, sondern um sozusagen einen Weg vorzugeben, an dem sich Leute orientieren können, weil da ganz viel Unsicherheit ist.
Wie sehen Sie die Bedeutung solcher Projekte für den Erhalt und die Förderung indigenen Sprachen?
Ich denke, solche Projekte können wertvoll sein, wenn die Sprechergemeinschaft das möchte. Es gibt ja auch Sprechergemeinschaften, die nicht unbedingt wollen, dass ein europäisches Buch auf ihre Sprache übersetzt wird, weil das nicht der Kontext ist oder dass jemand in so einem Projekt involviert ist, der oder die eben nicht selber Mopansprecher*in ist. Oder dass die Sprache auch einfach gar nicht geschrieben wird, weil man die Oralität wahren möchte. Aber für den Kontext des Mopan Maya ist es sehr wertvoll. Als Teil meiner Doktorarbeit schaue ich mir auch den Social Media-space an und die Leute wollen schreiben. Einzelne Wörter werden benutzt, um Familienbeziehungen auszudrücken oder jemanden Komplimente zu machen. Es gibt auch Leute, die schreiben Posts auf Mopan, es ist dann aber teilweise schwer zu verstehen, weil die Standardisierung noch nicht weit genug vorangetrieben ist.
Gibt es besondere Momente oder Begegnungen während ihrer Arbeit, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind?
Viele. Besonders prägend war für mich der Moment, als ich zum ersten Mal sprachlich korrigiert wurde. Es war ein Zeichen dafür, dass ich als Teil der Gemeinschaft wahrgenommen wurde – nicht als Außenstehende, die besonders höflich behandelt werden muss.
Was sind die nächsten Schritte in Ihrem Projekt? Gibt es weitere Übersetzungen oder Veröffentlichungen, die geplant sind?
Also zum einen haben wir, Sprachaktivisten wie Stanley Peck und Richard Peck, uns inoffiziell formatiert als eine Gemeinschaft für die Mopansprache in Belize. Bei meinem letzten Aufenthalt haben wir uns dann wöchentlich zusammengesetzt und an der konkreten Standardisierung gearbeitet. Darüber hinaus wurden bereits weitere Schulbücher übersetzt und Kurzgeschichten für Kinder verfasst. Diese Übersetzungen sind jetzt entstanden und kreatives Schreiben wird praktiziert. Perspektivisch möchten wir diesen Weg fortsetzen – auch wenn es weiterhin von verfügbaren Mitteln abhängig ist.
Gibt es etwas, das Sie zukünftigen Studierenden oder Forschenden, die sich für Sprachkontakte und indigene Sprachen interessieren, mit auf den Weg geben möchten?
Zeit ist ein zentraler Faktor. Man sollte frühzeitig einplanen, sich mit kulturellen Gegebenheiten vertraut zu machen, Vertrauen aufzubauen und sich auf einen langfristigen Austausch einzulassen. Forschung bedeutet nicht nur Datensammlung, sondern auch Beziehungspflege. Diese Verantwortung sollte ernst genommen werden.