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Wiederaufnahme: „Die Sünde des Andersartigen zu riskieren“ in der Kulturambulanz

Was ist „verrückt“? Diese Frage steht im Zentrum eines Stücks, das auf der Geschichte der Hedwig D. basiert. Das Zentrum für Performance Studies und das Institut für Geschichtswissenschaft haben daraus ein Stück entwickelt. Wegen des Publikumserfolgs wird es im April wieder gespielt.

Ihre Geschichte ist aufsehenerregend: Hedwig D. hielt sich zwischen 1908 und 1912 wiederholt in der psychiatrischen Anstalt auf: anfangs freiwillig, um sich geistige Gesundheit attestieren zu lassen, dann gezwungenermaßen. Die Diagnose lautet „Moralische Idiotie". Die junge Frau kämpfte um ihre Entlassung, floh mehrmals.

Die KulturAmbulanz des Klinikums Bremen-Ost (Gelände der ehemaligen Irrenanstalt) stellte die umfangreiche Patientenakte der Universität Bremen zu Verfügung. So wurde die Akte zur Basis eines Aufführungstextes.
„Die Patientenakte fächerübergreifend zu erforschen und in einer ungewöhnlichen, nämlich performativen Form für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen, war für alle Beteiligten ein aufregendes Unternehmen“, sagt Professorin Cordula Nolte vom Institut für Geschichtswissenschaft. „Mit Hedwig Debbe lernten wir eine Frau kennen, deren normabweichendes, unangepasstes Verhalten in einer patriarchalen, von Konventionen bestimmten Gesellschaft unterbunden und sanktioniert werden sollte.“

Stationen-Theater durch das Leben der Hedwig D.

Ein Jahr lang haben Studierende der Geschichtswissenschaft und der Performance Studies ihre unterschiedlichen Perspektiven auf den Fall Hedwig D. zueinander in Beziehung gesetzt. Unter der Regie des Berliner Gastregisseurs Tobias Winter, eines ausgewiesenen Experten für die Dramatisierung theaterferner Texte, ist im Haus im Park und auf dem Gelände des Klinikum Ost ein Stationen-Theater durch die Leben der Hedwig D. entstanden. Anna Suchard vom Zentrum für Performance Studies der Universität Bremen (ZPS) sagt: „Die Inszenierung macht das Wanken von Selbstverständlichkeiten erfahrbar, wenn sie unterschiedliche Spielweisen anbietet, um sich Hedwig D. zu nähern.“

Inszenierung aus Montagetechniken

Deshalb besteht die Inszenierung aus experimentellen Dramaturgien mit verschiedenen Montagetechniken. So wurden etwa Briefe in dialogische Szenen umgewandelt.
Die vier Aufenthalte von Hedwig D. in Ellen dienen als inszenatorische Grundstruktur in vier Akte, die Lücken zwischen den Aufenthalten markieren Zwischenspiele. Zudem spielen die vier Akte an unterschiedlichen Orten und in unterschiedlichen theatralen Modi. So haben sich mehrere in sich stimmige Varianten von der Zeit der Patientin im St. Jürgen-Asyl ergeben.
„…die Sünde des Andersartigen zu riskieren“ - der Titel geht auf Antonin Artaud zurück, einen wichtigen Theaterreformator mit Psychiatrie-Erfahrung. Für ihn war die Psychiatrie auch ein Instrument der gesellschaftlichen Unterdrückung von Andersartigen.
„Das Aufführungsprojekt möchte, indem es zeittypische Haltungen und Praktiken um 1900 inszeniert, dazu anregen, Diversität und Anderssein als Bestandteile unserer heutigen Gesellschaft zu begreifen“, sagt Professorin Cordula Nolte.  

Aufführungstermine:

21./22./23. sowie 28./29./30. April 2023 jeweils um 19 Uhr im Haus im Park, Klinikum Bremen Ost
Solidarisches Preissystem (pay what you can): 20€/10€/5€

Karten unter:https://ticketree.de/event/die-suende-des-andersartigen-zu-riskieren/

 

Fragen beantworten:

Dr. Anna Suchard (Dramaturgie)
Zentrum für Performance Studies der Universität Bremen (ZPS)
Theater der Versammlung zwischen Bildung, Wissenschaft und Kunst (TdV)
Fachbereich Kulturwissenschaft
Universität Bremen
Telefon: +49 421 218-69050
E-Mail: suchardprotect me ?!uni-bremenprotect me ?!.de

Prof. Dr. Cordula Nolte
Institut für Geschichtswissenschaft
Universität Bremen
E-Mail: cnolteprotect me ?!uni-bremenprotect me ?!.de
Telefon: +49 421–218 67230

Weitere Informationen:

https://www.kulturambulanz.de/
www.tdv.uni-bremen.de

Szene aus dem Stück
Wegen des großen Erfolgs wird das Stück „Die Sünde des Andersartigen zu riskieren“ in der Kulturambulanz im April wiederaufgeführt.