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Zwischen „altem Hut“, reformpädagogischer Zukunft und administrativem Sachzwang: Altersgemischtes und jahrgangsübergreifendes Lernen in Kita und Grundschule

In der Fachgesprächsreihe „Bildung von Anfang an“ referiert am 12. Dezember die Bremer Bildungswissenschaftlerin Ursula Carle über altersgemischte Gruppen in Kita und Schule

Nr. 391 / 4. Dezember 2013 SC

In der Reformpädagogik der 20er Jahre wurde die Altersmischung als persönlichkeitsfördernde und gegenseitig unterstützende Lernform propagiert und ausprobiert. Seit einigen Jahren erlebt diese pädagogische Idee eine Renaissance in Kindergarten und Grundschule. In Kindertagesstätten nimmt die Gründung von pädagogisch orientierten „Erweiterten altersgemischten Gruppen“ kontinuierlich zu. Auch immer mehr Grundschulen wenden sich, angeregt und unterstützt von den meisten Kultusministerien und Bildungsbehörden, intensiv der Altersmischung und dem jahrgangsübergreifenden Lernen zu. Altersmischung liegt also im Trend. Was spricht dafür, was spricht dagegen und was können Grundschule und Kindertagesstätten voneinander lernen? Antworten auf diese Fragen gibt Professorin Ursula Carle aus dem Arbeitsgebiet Frühpädagogik im Fachbereich Erziehungs- und Bildungswissenschaften der Universität Bremen. Mit ihrem Vortrag „Jahrgangsübergreifendes Lernen in Kindergarten und Grundschule – zwischen „altem Hut“, reformpädagogischer Zukunft und administrativen Zwängen“ setzt sie die Fachgesprächsreihe „Bildung von Anfang an“ am 12. Dezember 2013 fort. Der Vortrag beginnt wie gewohnt um 19 Uhr im Haus der Wissenschaft (Sandstr. 4/5). Er richtet sich an Erzieherinnen und Erzieher, Lehrkräfte und Eltern, die sich für Altersmischung und jahrgangsübergreifendes Lernen interessieren und sich darüber austauschen möchten. Die Teilnahme ist kostenfrei.

In beiden Bereichen gibt es vergleichbare Probleme bei der Einführung dieser Gruppenorganisation und der Weiterentwicklung des gemeinschaftlichen Lernens. Auch die zugrunde liegenden pädagogischen Konzepte scheinen sich zu ähneln. Es liegt also nahe, gemeinsam an der Lösung der Umsetzungsprobleme zu arbeiten. Immerhin verfügen die Kindertagestätten über eine umfangreiche praktische Erfahrung und die Grundschulpädagogik über einen beachtlichen Forschungs- und Theoriefundus zum altersgemischten Lernen. In Kindertageseinrichtungen ist die organisatorische Altersmischung zwischen drei und sechs Jahren in Deutschland nahezu Normalität. Intensiv diskutiert wird die reformpädagogisch motivierte „Erweiterte Altersmischung“, also alles, was über die Altersmischung der drei- bis sechsjährigen hinausgeht: die Mischung von Krippe und Kita, von Kita und Hort sowie die von Krippe, Kita und Hort.

In der Grundschule befindet sich die pädagogisch begründete, integrative Jahrgangsmischung zwar auch auf dem Vormarsch, aber sie ist noch lange keine Normalität. Trotz dieses Unterschieds gibt es einen gemeinsamen Entwicklungstrend: Weg von der organisatorischen Perspektive hin zur Entwicklung pädagogischer Professionalität in der Arbeit mit heterogenen Kindergruppen und zur Bereitstellung eines „familiären“ sozialen Lernumfeldes für Kinder.

Doch was sind eigentlich die Erfolgsbedingungen für eine pädagogisch gelingende Altersmischung in Kita und Schule? Obwohl im Bereich der Frühpädagogik die Altersmischung weit verbreitet ist, hat sich das Wissen hierüber noch kaum über die alltagspraktischen Kompetenzen der Fachkräfte hinaus entwickelt. Belastbare und praxisrelevante Forschungsergebnisse finden sich nur vereinzelt. Umgekehrt verhält es sich im Bereich der Grundschulpädagogik. Hier hält sich die organisatorische Verbreitung seit den 1920er Jahren zwar immer noch in Grenzen Dafür findet sich ein ansehnliches praktisches, sozialwissenschaftliches und theoretisches Wissens zur Alters- und Jahrgangsmischung vor. Deshalb liegt es nahe, dieses Wissen auf seine Nutzung für die Weiterentwicklung der Altersmischung in Krippe und Kindergarten hin zu überprüfen.


Plädoyer für jahrgangsübergreifendes Lernen

Diesen Versuch unternimmt Ursula Carle in ihrem Vortrag. Ihm liegt die aktuelle Auswertung der deutsch- und englischsprachigen Forschungs- und Praxisberichte zur Altersmischung und zum jahrgangsübergreifenden Lernen im Primarbereich der vergangenen 80 Jahre zugrunde. Dazu wurden mehr als 1500 Quellen ausgewertet. Die Mehrzahl der Praxisberichte wie auch der reformpädagogischen Theorieansätze argumentiert für das jahrgangsübergreifende pädagogische Arbeiten. Dabei liegt die Betonung darauf, dass Kinder unterschiedlich lernen und dass die Lerngruppe eine vorrangige Stellung im Lernumfeld einnimmt: Das Lernangebot folgt den Kindern und nicht die Kinder dem Lehrplan. Auch das soziale Klima in den Klassen wird durch die erhöhte Heterogenität verbessert, weil die Kinder miteinander an einer Sache arbeiten und sich gegenseitig helfen lernen. So entstehen zudem Freiräume für die individuelle Förderung. Die Arbeit nach homogenisierenden Konzepten erscheint also im Lichte dieser Analysen nicht mehr sinnvoll.

Zur Referentin

Professorin Ursula Carle leitet seit 2000 das Arbeitsgebiet Elementar- und Grundschulpädagogik an der Universität Bremen. Sie lehrt dort schwerpunktmäßig in den didaktischen Bereichen. Im Rahmen ihrer Forschungstätigkeiten hat sie sich in vielfältiger Weise mit Kooperationen und Übergängen im Elementar- und Primarbereich beschäftigt. Derzeit endet gerade das Verbundforschungsprojekt „Anschlussfähigkeit der mathematikdidaktischen Überzeugungen und Praktiken von Erzieher/innen und Grundschullehrer/innen als Bedingung der Vernetzung von Elementar- und Primarbereich – eine repräsentative Studie in zwei Bundesländern. Gefördert wird es im Rahmen des BMBF-Forschungsförderungsprogramms zum Thema „Kooperation von Elementar- und Primarbereich“. Seit 2004 lehrt Ursula Carle zusätzlich an der Freien Universität Bozen (Italien).


Weitere Informationen:

Universität Bremen
Fachbereich Erziehungs- und Bildungswissenschaften
Dr. Heike Hegemann-Fonger
Tel.: 0421 218 69222
E-Mail: hegeprotect me ?!uni-bremenprotect me ?!.de  
www.fruehpaedagogik.uni-bremen.de/fachgespraeche