Stefan Luft, Politikwissenschaftler an der Uni Bremen, hat jetzt auf der Leipziger Buchmesse sein druckfrisches Buch „Die Flüchtlingskrise“ vorgestellt. Er war zu einer Lesung und Diskussion ins Leipziger Rathaus eingeladen worden. Luft ist Experte für Migrations- und Integrationspolitik und setzt sich mit dem Thema seit mehr als 20 Jahren auseinander. Der Bremer Wissenschaftler ist gefragter Gast auf zahlreichen Podien sowie bei regionalen und überregionalen Medien.
Mit dem Buch „Die Flüchtlingskrise – Ursachen, Konflikte und Folgen“ legt der Integrationsforscher bereits seine vierte Monografie vor. Sie ist in der Reihe Wissen im Verlag C.H. Beck erscheinen. Der Berliner Tagesspiegel nennt das nur 130 Seiten starke Werk ein „hilfreiches Handbuch“. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung lobt: „Begrifflichkeiten und Rechtsvorschriften, die in all den kurzgefassten Medien wild durcheinander gebracht werden, sind hier genau getrennt.“
Fünf Fragen an Stefan Luft:
Sie haben Ihr Erklär-Sachbuch in nur zwei Monaten von Ende September bis Ende November 2015 geschrieben. Wie schafft man das, und überholen den Autor beim Schreiben nicht die Ereignisse?
Luft: Man schafft das, wenn man in der Materie sehr tief drin ist. Wer erst anfangen müsste, sich einzuarbeiten, wäre chancenlos. Meine eigentliche Aufgabe war nicht die Zusammenfassung der vielfältigen journalistischen Berichterstattung, sondern die Darstellung komplexer Zusammenhänge. Ich musste sie so reduzieren, dass es wissenschaftlich verantwortlich bleibt und trotzdem für den interessierten Laien nachvollziehbar wird. Aber Sie haben schon Recht, wenn ich morgens auf der Fahrt ins Büro im Autoradio die neuesten Nachrichten gehört habe, dann hat das Stress erzeugt.
In Ihrem Buch kritisieren Sie, dass es schwer zu verstehen sei, warum die verstärkte Flüchtlingsbewegung 2015 nicht vorhergesehen wurde. Woher sollte die Welt das wissen?
Der Hochkommissar für Flüchtlinge der Vereinten Nationen (UNHCR) hat bereits 2014 auf die sich zuspitzende Lage hingewiesen. Erstens habe sich die Situation der Zivilbevölkerung in Herkunftsländern wie Syrien verschlechtert. Zweitens seien Länder wie Jordanien und Libanon mit ihren großen Aufnahmelagern dramatisch überfordert, weil sie selbst keine wirtschaftsstarke Struktur haben. So mussten Flüchtlinge unterschreiben, dass sie keine Arbeit suchen werden. Den dritten Grund finde ich entscheidend: Hilfsprogramme wie das Welternährungsprogramm waren massiv unterfinanziert. In den Lagern wurde die Versorgung mit Lebensmitteln und Hygieneartikeln zurückgefahren. Die Menschen hatten nur noch die Perspektive der Verelendung und entschieden sich dann, zu gehen – ins Ungewisse.
Sie bilanzieren auch: Die Entwicklung eines Gemeinsamen Europäischen Asylsystems hat nicht geklappt. Warum?
Das Verfahren sollte vereinheitlicht werden, die europäischen Mitgliedsstaaten mussten deshalb zahlreiche Richtlinien in nationales Recht umsetzen. Die Standards von Unterbringung, Versorgung und sozialen Leistungen wurden allerdings nicht vereinheitlicht. Der Maßstab dafür ist immer die soziale Lage der Bevölkerung im jeweiligen Land. So wurden und werden immer nur einige wenige Länder angestrebt. Also zum Beispiel Schweden statt Bulgarien.
In Deutschland wird häufig beklagt, dass wir kein Einwanderungsgesetz haben. Hätte es die Lage entspannen können?
Das wird immer wieder gebetsmühlenartig vorgetragen, hätte aber nichts geändert. Für Arbeitsmarktmigration haben wir übrigens bereits die liberalste Gesetzgebung in der OECD. Fluchtmigration ist aber Auswahlkriterien grundsätzlich nicht zugänglich. Die Menschen erhalten ein Aufenthaltsrecht, weil sie Schutz benötigen, nicht weil wir sie brauchen können. Die klassischen Einwanderungsländer verweigern im Übrigen eine Aufnahme nennenswerter Flüchtlingskontingente.
Sie benennen eine ganze Reihe von Bedingungen, wie Integration hier in Deutschland gelingen kann. Können Sie die wichtigsten kurz zusammenfassen?
Erste Voraussetzung ist, dass der Massenzustrom stark zurückgeht. Die Integration einer Gruppe hängt immer auch von deren Größe ab. Ethnische Kolonien fördern in den meisten Fällen die Integration nicht. Weiterhin muss die Politik erkennen, dass erhebliche Ausgaben seitens des Bundes und der Länder nötig sind. Zum Beispiel für Bildung und Wohnungsbau. Die schwarze Null oder die Schuldengrenze wird man sich abschminken müssen.
Weitere Informationen:http://www.stefanluft.de/