Forschungsprojekte der Bremer Mediävistik
Rudolf von Ems, ‘Alexander’. Edition, Übersetzung, Kommentar (2018–2021)
Im April 2018 startete unter der Leitung von Frau Prof. Dr. Elisabeth Lienert das DFG-Projekt „Rudolf von Ems, ‘Alexander’. Edition, Übersetzung, Kommentar“, das eine kommentierte Neuedition (mit Übersetzung) dieses mittelhochdeutschen Antikenromans vorbereitet. Beteiligt sind derzeit neben der Projektleiterin die wissenschaftliche Mitarbeiterin Catharina B. Haug und studentische Hilfskräfte.
Rudolf von Ems, der neben Konrad von Würzburg bedeutendste Epiker der Generation nach der sog. mittelhochdeutschen ‚Klassik‘, dichtete von etwa 1220 bis in die 1250er Jahre. Gönner fand er in der Spätphase seines Schaffens, vermutlich auch für den ‘Alexander’, am staufischen Königshof. Rudolf dichtete Werke mit historischen Stoffen oder wenigstens pseudohistorischer Anbindung. Auch seinen ‘Alexander’ verstand Rudolf offenbar als Geschichtsschreibung. Der ‘Alexander’ ist in zwei Schaffensphasen nach unterschiedlichen Quellen entstanden: nach einer Redaktion (J2) der ‘Historia de preliis’ (einer lateinischen Bearbeitung des hellenistischen Alexanderromans) vor ca. 1235; wohl um 1240-1254 nach den historiographisch ausgerichteten ‘Gesta Alexandri Magni’ des Quintus Curtius Rufus und zahlreichen weiteren lateinischen Quellen. Geplant war vermutlich eine Vita von insgesamt zehn Büchern, von denen sechs überliefert sind: Mit 21.643 Versen ist das Werk Fragment geblieben. Der Torso beginnt mit Zeugung, Geburt und Erziehung des außergewöhnlichen Helden, schildert ausführlich die Eroberung des persischen Weltreichs und bricht vor Alexanders Kampf gegen den Inderkönig Porus ab, enthält also nicht die Orientreisen und Grenzüberschreiter-Abenteuer des hellenistischen Alexanderromans. Überliefert ist Rudolfs von Ems ‘Alexanderʼ in zwei Handschriften des 15. und einem Fragment des 13. Jahrhunderts; in einer der beiden Vollhandschriften ist Alexanders Tod aus dem ‘Buch der Königeʼ als knapper Abschluss der Alexander-Vita angehängt. Rudolf von Ems erhebt den Anspruch, als erster und einziger aus der Summe der gelehrten lateinischen Autoritäten in einer Art von Quellenkritik die eine vollständige und bezeugte Wahrheit über Alexander den Großen zusammenzutragen. In erster Linie ist das Werk als (staufischer) Fürstenspiegel intendiert. Rudolf idealisiert den Makedonenkönig gegen die historischen Quellen sehr weitgehend, schreibt dem aber auch eine untergründige Problematisierung ein. Nicht zuletzt dadurch wird Rudolfs von Ems ‘Alexanderʼ zum bedeutendsten Alexanderroman des Mittelalters in deutscher Sprache.
‘Sigenotʼ-Edition (2016–2018)
Im August 2016 startete unter der Leitung von Frau Prof. Dr. Elisabeth Lienert das DFG-Projekt „‘Sigenotʼ-Edition“, das sich mit einer überlieferungsnahen Neuedition des aventiurehaften Dietrichepos ‘Sigenotʼ beschäftigt. Beteiligt sind derzeit die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen Elisa Pontini und Stephanie Baumgarten. Der ‘Sigenotʼ ist in acht Handschriften vom Anfang des 14. bis zum Ende des 15. Jahrhunderts und in (mindestens) einundzwanzig Druckauflagen zwischen ca. 1487 und 1661 überliefert. Das Werk erfreute sich bis ins 17. Jahrhundert hinein großer Beliebtheit und gilt als „erfolgreichste[r] Vertreter […] [der aventiurehaften Dietrichepik] in der Spätphase der Überlieferung“ (Heinzle, Einführung in die mittelhochdeutsche Dietrichepik, S. 133). Der ‘Sigenotʼ-Stoff ist auch in zahlreichen Bildzeugnissen repräsentiert.
Die Forschung unterscheidet zwischen einer Kurzversion des Textes, dem älteren ‘Sigenotʼ (44 Strophen) – nur in der ältesten Handschrift tradiert –, und einer längeren, dem jüngeren ‘Sigenotʼ (um 200 Strophen), die in den übrigen Textzeugen belegt ist.
Das Werk erzählt von Dietrichs Kampf gegen den Riesen Sigenot. Trotz Hildebrands Warnung will Dietrich gegen Sigenot kämpfen und macht sich auf den Weg in den Wald, wo er auf den schlafenden Riesen stößt. Sigenot erkennt an Dietrichs Helm und Schild den angeblichen Mörder seines Onkels Grim und will sich rächen. Ein heftiger Kampf bricht zwischen beiden aus: Dietrich wird von Sigenot gefangen genommen und in eine Schlangenhöhle geworfen. Sigenot will nach Bern reisen, trifft aber noch im Wald auf Hildebrand. Der Riese besiegt auch ihn und verschleppt Hildebrand ebenfalls in seine Höhle. Einmal allein gelassen, kann sich Hildebrand befreien, Dietrichs Rüstung anlegen und Sigenot erschlagen. Mithilfe des Zwergs Eggerich befreit Hildebrand Dietrich und die Helden kehren nach Bern zurück.
Der jüngere ‘Sigenotʼ weist gegenüber dem älteren ‘Sigenotʼ eine ausführlichere, detailliertere Erzählweise und zusätzliche Szenen auf. Beispiele dafür sind die Befreiung des Zwergs Baldung durch Dietrich, der sich in der Gefangenschaft eines wilden Mannes befindet, sowie die Erlegung der Hinde im Wald auf dem Weg zu Sigenot.
Beim älteren ‘Sigenotʼ handelt sich offenbar um die Kurzfassung eines älteren Textes, der auch die Grundlage des jüngeren ‘Sigenotʼ gewesen sein dürfte. Diese Kurzfassung scheint zudem im Zusammenhang mit dem ‘Eckenliedʼ zu stehen, auf das der letzte Vers verweist: sus hebt sich eggen liet.
Virginal-Edition (2013-2016)
Im Rahmen des von der DFG gefördeten Projektes „Virginal-Edition“ wurde seit Februar 2013 bis Dezember 2016 unter der Leitung von Frau Prof. Dr. Elisabeth Lienert die aventiurehafte Dietrichdichtung ‚Virginal‘ neu ediert. Neben studentischen Hilfskräften waren die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen Elisa Pontini M.A. und Katrin Schumacher M.A. beteiligt. Das Werk ist mit drei vollständigen Handschriften und zehn Fragmenten aus dem 14. und 15. Jahrhundert überliefert. Die Dichtung – die in der Forschung früher auch als ‚Dietrichs erste Ausfahrt‘, ‚Dietrichs Drachenkämpfe‘, oder ‚Dietrich und seine Gesellen‘ bezeichnet wurde – berichtet von Dietrichs ersten aventiuren. Mit dem erfahrenen Hildebrand an seiner Seite zieht Dietrich aus, befreit die Königin Virginal und stößt auf zahlreiche Riesen und Drachen, gegen die er und seine Gesellen siegreich kämpfen. Das Werk schließt mit der Darstellung eines großen Festes.
Die drei vollständigen Handschriften – die Heidelberger (V10), Dresdner (V11) und Wiener (V12) ‚Virginal‘ – bieten voneinander abweichende Fassungen des Textes.
Die ‚Heidelberger Virginal‘ erzählt von dem jungen Dietrich, der noch keine aventiure bestanden hat. Nach Streitereien mit seinem Waffenmeister Hildebrand über Sinn und Zweck von Frauendienst und aventiure reitet Dietrich gemeinsam mit Hildebrand nach Tirol, um gegen einen Heiden zu kämpfen, der das Land der Königin Virginal bedrängt. Hildebrand erschlägt den Heiden und befreit ein Mädchen aus dem Gefolge der Virginal, welches als Tribut für den Heiden geopfert werden sollte. Derweil stößt Dietrich auf eine Schar Heiden, die er mithilfe des inzwischen herbeigeeilten Hildebrands besiegt. Das Mädchen lädt beide Helden nach Jeraspunt in Virginals Residenz ein. Auf dem Weg zu Virginal geraten Dietrich und Hildebrand in einen Kampf gegen Drachen. Aus dem Maul eines Drachen befreit Hildebrand den Ritter Rentwin, den Sohn von Helferich und Portalaphe. Die drei Gefährten brechen nach Arona zu Helferich auf, wo sie freudig empfangen werden, bevor Hildebrand und Dietrich nach einem vierzehntätigen Aufenthalt Richtung Jeraspunt aufbrechen. Dietrich reitet voraus, weil er der erste Gast bei Virginal sein will. Allerdings verirrt er sich und gelangt nach Muter, wo er als Gefangener vom Burgherrn Nitger festgehalten wird. Nitgers Schwester Ibelin lässt eine Nachricht nach Jeraspunt zu Dietrichs Freunden schicken, die ein Heer zusammenstellen und Dietrich zu Hilfe kommen. In elf Zweikämpfen werden die Riesen besiegt; vor der Rückkehr nach Jeraspunt finden erneute Kämpfe gegen Riesen und Drachen statt. Schließlich gibt Virginal zu Ehren ihrer Gäste ein großes Fest.
Die ‚Dresdner Virginal‘ stellt eine Kurzfassung dar. Einerseits fehlt die gesamte Muter-Szene, andererseits weist sie weitere kurze Episoden auf: Dietrich wird vom Fürsten Libertin von Palerne zum Kampf herausgefordert und besiegt seinen Feind. Zudem werden diverse Kämpfe gegen Löwen, Riesen und den Heiden Janapas geschildert. Die Dichtung schließt mit der Hochzeit von Dietrich und Virginal.
Die ‚Wiener Virginal‘ fügt Elemente aus der Heidelberger und aus der Dresdner ‚Virginal‘ zusammen und erzählt dabei ähnlich ausführlich wie die ‚Heidelberger Virginal‘; die Mehrheit der Fragmente stimmt weitestgehend mit der Heidelberger Handschrift überein.
Rosengarten-Edition (2009-2013)
Von Oktober 2009 bis Sptember 2012 unter der Leitung von Prof. Dr. Elisabeth Lienert im Rahmen einse DFG-Projektes die aventiurehafte Dietrichdichtung ‚Rosengarten’ neu ediert. Beteiligt waren neben studentischen Hilfskräften die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen PD Dr. Sonja Kerth und Svenja Nierentz M.A. Die Dichtung ist mit ca. 20 Handschriften und 6 Drucken gut überliefert und berichtet von einem Zusammentreffen der Helden um Dietrich von Bern und um Siegfried, das die burgundische Königstochter Kriemhild in ihrem Rosengarten in Worms initiiert. Die Handlung ist in einer Erzähllücke des ‚Nibelungenliedes’ angesiedelt: in der Verlobungszeit Kriemhilds und Siegfrieds.
Der ‚Rosengarten’ A erzählt in sehr zugespitzter Weise, wie Kriemhild aus Übermut und einer gewissen Blutgier heraus Kämpfe in ihrem Rosengarten anzettelt, um zu sehen, ob ihr Verlobter Siegfried, ihre Brüder, ihr Vater Gibich und ihre Helden die besten Kämpfer weit und breit sind. Als Preis für die Gewinner setzt sie einen Kuss und einen Rosenkranz aus. Dietrich von Bern muss erst überzeugt werden, die Kampfeinladung anzunehmen, da er keinen Sinn in der Auseinandersetzung sieht. Dann lässt er sich überreden und gewinnt auch Dietleib von Steier und den Mönch Ilsan, der sich ins Kloster zurückgezogen hatte, als Mitstreiter. In zwölf Reihenkämpfen, die Dietrichs alter Waffenmeister Hildebrand zusammenstellt, kämpfen die Recken und Riesen beider Seiten gegeneinander. Kriemhilds Kämpfer unterliegen, nur der Kampf zwischen Walther und Dietleib geht unentschieden aus. Siegfried wird von Dietrich, der aus Furcht vor Siegfried lange Zeit nicht zum Kampf antreten mochte und erst aufgereizt werden musste, in tödliche Bedrängnis gebracht. Er muss sich in Kriemhilds Schoß retten und ist blamiert. Am Ende tritt Mönch Ilsan noch gegen 52 Gegner an, um weitere Küsse und Rosenkränze für seine Mitbrüder zu verdienen. Sein rauher Bart zerkratzt Kriemhilds Gesicht blutig. Gibich muss sein Land von Dietrich zu Lehen nehmen.
Der ‚Rosengarten’ D gibt dem Burgundenkönig Gibich und dem Hunnenkönig Etzel, der auf der Seite der Berner steht, einen größeren Anteil und ergänzt verschiedene Handlungsepisoden. Der Grundton der Dichtung ist insgesamt weniger aggressiv-anklagend gegenüber Kriemhild, und es gibt Versöhnungsszenen am Ende.
Weitere Versionen und Fassungen erzählen im Detail anders, mischen dabei Elemente des ‚Rosengarten’ A und D oder gehen im Einzelnen ganz eigene Wege, ohne das Grundkonzept „Reihenkämpfe im Rosengarten zwischen den größten Helden um Dietrich von Bern und den Burgunden“ aufzugeben.
Laurin-Edition (2006-2009)
Von Oktober 2006 bis September 2009 wurde unter der Leitung von Prof. Dr. Elisabeth Lienert im Rahmen eines DFG-Projektes die aventiurehafte Dietrichdichtung‚ Laurin‘ neu ediert. Beteiligt waren neben Hilfskräften die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen PD Dr. Sonja Kerth und Esther Vollmer-Eicken M.A. Die kurze, mit ca. 20 Handschriften und ca. 10 Drucken aber sehr gut überlieferte Erzählung berichtet in verschiedenen Fassungen über Kämpfe Dietrichs von Bern gegen den Zwergenkönig Laurin.
'Laurin' A erzählt von einer Zwergenaventiure, die Dietrich von Bern noch nicht kennt. Mit Witege begibt der Berner sich zum Rosengarten des Zwergenkönigs Laurin. Witege zerstört die Rosen, und der goldene Seidenfaden, der den Garten umgibt, wird niedergetrampelt. Im Zweikampf gegen den Zwerg, der Rache fordert, wird Witege besiegt; als Dietrich gegen Laurin antreten will, erscheinen Hildebrand, Wolfhart und Dietleib. Dank listiger Hinweise des alten Waffenmeisters kann der Berner den Gegner besiegen. Als Dietrich Laurin töten will, bittet der Zwerg Dietleib um Hilfe, dessen Schwester Künhild er entführt habe. Dietleib befreit den bedrängten Laurin und gerät in einen Kampf gegen den erzürnten Dietrich, den die Freunde schlichten. In die Versöhnung wird auch Laurin einbezogen, der die Helden daraufhin in seinen hohlen Berg einlädt. Trotz Bedenken nehmen die Helden die Einladung an und werden zunächst von den Zwergen und Künhild freundlich begrüßt. Obwohl es ihr gut gehe, wünscht Künhild, den Berg des heidnischen Zwergs zu verlassen. Laurin plant indes Rache für die erlittene Niederlage im Rosengarten. Als sein Versuch scheitert, Dietleib auf seine Seite zu ziehen, sperrt er den Helden, später auch die anderen Recken, in einen Kerker. Künhild befreit erst ihren Bruder, dann retten sich auch die Gefährten. Nach schweren Kämpfen gegen die Zwerge und fünf Riesen setzen die Berner sich durch und nehmen Laurin gefangen. Er wird nach Bern geführt und muß sein Leben als Gaukler verbringen.
'Laurin' D schaltet dem Ritt zum Rosengarten noch eine Vorgeschichte vor, in der die Entführung Künhilds erzählt wird. Ein wilder Mann weist Dietleib und Hildebrand den Weg zum hohlen Berg; bevor die beiden sich zur Befreiung der Jungfrau aufmachen, begeben sie sich jedoch zurück nach Bern, wo die Handlung neu einsetzt. Auch das Ende des 'Laurin' D ist gegenüber A erweitert: Die Helden werden vor ihrer Rückkehr nach Bern von Biterolf in der Steiermark bewirtet.
'Laurin' K entschärft das Ende von A und D, indem Laurin nicht als Gaukler ein schändliches Dasein in Bern fristen muß, sondern voll in die Gemeinschaft der Helden integriert und getauft wird. Es schließt sich als 'Liber secundus' ein weiterer Handlungsteil an, in dem vom Rachezug der Verwandten des Zwergenkönigs berichtet wird: Der orientalische Zwergenkönig Walberan zieht mit einem Heer nach Bern, um Laurin zu befreien. Auf Laurins Bitte hin, nach Verhandlungen und einem Zweikampf zwischen Dietrich und Walberan kommt es zu einer friedlichen Lösung. Die Helden und Zwerge schwören sich Freundschaft und feiern ein Fest.
Der 'Dresdner Laurin' entspricht in weiten Zügen dem 'Laurin' A, legt aber mehr Gewicht auf die Kampfszenen gegen Zwerge und Riesen.
Die 'historische Dietrichepik'. Neueditionen und Untersuchungen (1999- 2006)
Die 'Thidrekssaga', eine altnordische Dichtung aus dem 13. Jahrhundert, berichtet, dass einst Männer aus Bremen, Soest und Münster in den Norden gezogen seien und Geschichten über Dietrich von Bern dorthin mitgebracht hätten. Die Saga gibt keine weiteren Nachrichten von diesen Männern aus Bremen, die vielleicht als Kaufleute nach Norden kamen und dort die daheim so beliebten Geschichten um Dietrich von Bern (altnordisch: Thidrek) weiterverbreiteten. Das Interesse an diesen Erzählungen ist rund 700 Jahre später in Bremen wieder neu aufgeflammt: Seit April 1999 arbeitete ein Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft unter der Leitung von Prof. Dr. Elisabeth Lienert daran, die sogenannten 'historischen' Dichtungen über Dietrich von Bern neu zu edieren. Beteiligt waren neben studentischen Hilfskräften auch die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen Gertrud Beck, Viola Meyer, Renate Plutz und Dorit Wolter.
Geschichten um Dietrich von Bern gehörten im Mittelalter zu den beliebtesten Erzählstoffen. Dietrich galt als hervorragender Held, der seine Stärke in zahllosen Kämpfen gegen Riesen, Drachen und bösartige Zwerge unter Beweis stellte. Einige der Fährnisse, die der Held zu bestehen hat, haben einen geschichtlichen Kern. Hinter Dietrich von Bern (Bern = Verona) verbirgt sich die historische Figur des Ostgotenkönigs Theoderich (5./6. Jh.). Die Kämpfe während seiner Herrschaft wurden in den Dichtungen umgeformt zu Erzählungen von der Auseinandersetzung zwischen Dietrich und seinem Onkel Ermrich. Verrat und Betrug des Onkels bringen den jungen Berner um Land und Vermögen. Der Hunnenkönig Etzel und seine Frau Helche gewähren dem Betrogenen Exil und Unterstützung. Vom Hunnenhof aus unternimmt Dietrich mehrere Rückeroberungsversuche, doch trotz klarer Siege kann er seinen Vorteil nie nützen, denn durch Verrat, Erpressung und Mordtaten des Ermrich und seiner Anhänger muss Dietrich sich stets wieder zu Etzel zurückziehen, wo er sein Schicksal beklagt.
Die Heldenepen 'Dietrichs Flucht' und 'Rabenschlacht' (Raben = Ravenna) erzählen die Geschichte von Dietrich und Ermrich. Diese 'historischen Dietrichepen' – so genannt, weil sie trotz aller Umformung noch ihre geschichtliche Grundlage erkennen lassen –, standen zunächst im Mittelpunkt der Projektarbeit. Danach wurden die Texte 'Alpharts Tod' und 'Dietrich und Wenezlan' neu ediert. In Alpharts Tod' werden die Taten des Helden Alphart erzählt, der für Dietrich von Bern kämpft und aus jugendlichem Leichtsinn und Übereifer das Leben verliert. Sein Tod wird blutig gerächt. 'Dietrich und Wenezlan' ist ein Fragment, von dem nur der Beginn erhalten ist. Der Text berichtet, dass Helden des Berners in die Gefangenschaft des polnischen Fürsten Wenezlan geraten sind, der Dietrich auffordert, sie freizukämpfen. Die Neuausgabe von 'Dietrichs Flucht' ist 2003 erschienen; die 'Rabenschlacht’ 2005 ; 'Alpharts Tod' und 'Dietrich und Wenezlan' 2006."
In einem eigenen Teilprojekt wurden zudem "Dietrich-Testimonien", die bislang nur in der völlig unzureichenden Sammlung Wilhelm Grimms vorlagen, ergänzt und wissenschaftlich aufbereitet. Hierbei handelt es sich um Erwähnungen von Dietrich (bzw. seinem historischen Pendant, Theoderich dem Großen) in anderen Texten sowie um bildliche Darstellungen. Die Ergebnisse wurden 2008 publiziert.