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Hirnforschung mit Makaken: Universität Bremen zeigt völliges Unverständnis über den erneuten Ablehnungsbescheid der Bremer Gesundheitsbehörde

Fortschritte in der Epilepsie-Therapie werden blockiert / Tierschutzgesetz wird von der Universität penibel eingehalten / Schaden für den Wissenschaftsstandort Bremen

Enttäuschung und Unverständnis: Das sind die Reaktionen der Universität Bremen auf den abschließenden Bescheid (Widerspruchsbescheid) der Bremer Senatorin für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales, den Antrag von Professor Andreas Kreiter zur Genehmigung seines Versuchsvorhabens mit den dazugehörigen Versuchen mit Makaken abzulehnen.

 

Nach Einschätzung der Universität zeigt der Bescheid, dass zentrale Ausführungen der Wissenschaftler zu den Maßstäben für die Belastung der Makaken nicht sachgerecht gewürdigt wurden. Die von der Behörde angelegten ethischen Maßstäbe müssten dann in der Konsequenz auch das Ende der Privat- und Nutztierhaltung bedeuten und sind daher für die wissenschaftliche Forschung nicht angemessen.

Irritiert ist man seitens der Universität zudem, dass die Gesundheitsbehörde einer konstruktiven Anregung des Bremer Verwaltungsgerichtes vom Dezember 2008 nicht gefolgt ist. Das Gericht hatte bei der mündlichen Verhandlung die mangelnde Kommunikation mit dem Wissenschaftler kritisiert und vorgeschlagen, dass sich Uni und Behörde gemeinsam auf geeignete Fachgutachter verständigen, die die Belastung der Makaken bei den Forschungen von Professor Kreiter einschätzen sollten. Die Universität stand dieser Anregung uneingeschränkt positiv gegenüber. Leider hat die Behörde die begonnene Zusammenarbeit nicht fortgesetzt. Rektor Professor Wilfried Müller: „Stattdessen bezieht sich auch dieser Ablehnungsbescheid erneut auf Gutachten, die uns nicht bekannt sind und zu denen wir auch nicht Stellung nehmen konnten.“

Für den Rektor der Universität ist die Entscheidung, die Tierversuche im Rahmen des Forschungsprojekts „Raumzeitliche Dynamik kognitiver Prozesse des Säugetiergehirns“ nicht zu genehmigen, aus drei Gründen völlig unverständlich.

1. Bei dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Verbundprojekt von Andreas Kreiter und seinen Universitäts- und Industriepartnern geht es um Forschung für den Menschen, ganz konkret auch um Fortschritte in der Epilepsie-Therapie. Für diese Tierversuche gibt es gegenwärtig keine Alternativen.

2. Alle Anforderungen, die sich aus dem geltenden Tierschutzgesetz ergeben, werden von Andreas Kreiter und der Universität Bremen seit Beginn der Versuche vor zwölf Jahren penibel eingehalten. Die Versuche sind – so wie das Gesetz es fordert – ethisch vertretbar. Das hat die vom Bremer Gesundheitsressort nach dem Tierschutzgesetz selbst eingesetzte Kommission (nach § 15 TschG) stets bestätigt. Die Tierhaltung an der Universität ist weltweit vorbildlich.

3. Das nationale und vor allem internationale Ansehen des Wissenschaftsstandortes Bremen wird beschädigt, die politische Zuverlässigkeit des Landes in Frage gestellt. Die Fortsetzung der großen Forschungserfolge – nicht zuletzt im Rahmen der Exzellenzinitiative – und das überproportional hohe Einwerben von Drittmitteln werden gefährdet. Bundesweit befürchten Vertreter von Wissenschaft, Wissenschaftsförderung und Wissenschaftspolitik, dass nicht mehr Fachexpertise, sondern Politik über Forschungsinhalte und -methoden entscheidet.

Auch Professor Reinhard X. Fischer, Beauftragter der Bremer Universitätsleitung für die Makakenforschung, hat kein Verständnis: „Bei dem beantragten Forschungsprojekt geht es auch um die Weiterentwicklung der Neuroprothetik, also auch um zukünftige moderne Hilfe für schwer behinderte Menschen. Das Land Bremen verbaut sich mit der Versagung der Genehmigung die Möglichkeit, einen international vorbildlichen Standard der Tierhaltung und Versuchsdurchführung aufrecht zu erhalten. Es besteht die Gefahr, dass die Tierversuche unter wesentlich schlechteren Bedingungen an einem anderen Ort durchgeführt werden, wenn es nicht noch einen gerichtlichen Entscheid für die Genehmigung der Versuche für Herrn Kreiter gibt.“

Uni-Rektor Müller stellt sich uneingeschränkt hinter Andreas Kreiter. „Das Untersagen der international anerkannten Forschungsarbeiten von Andreas Kreiter halte ich nach wie vor für einen unzulässigen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Wissenschaftsfreiheit. Die Universität Bremen wird alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen – bis hin zum Gang vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.“

Zum juristischen Prozedere

Zum Hintergrund: Andreas Kreiter hatte im Frühjahr 2008 bei der zuständigen Bremer Gesundheitsbehörde einen Antrag zur Fortführung der Forschungsarbeiten mit Makaken gestellt. Gegen die Ablehnung des Antrags legte Kreiter Widerspruch ein, der jetzt mit dem Zustellen des Widerspruchbescheids ebenfalls abgelehnt worden ist. Durch eine von der Universität gegen die erste Ablehnung beim Verwaltungsgericht beantragte und ergangene einstweilige Anordnung konnte die wissenschaftliche Arbeit mit Tieren bisher fortgesetzt werden. Nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom Dezember 2008 dürfen sie jetzt noch zwei Monate weitergehen. Stichtag ist nämlich die Zustellung des Widerspruchsbescheids.

Weiteres Vorgehen: Andreas Kreiter wird nun die folgenden Rechtsschritte einleiten: Er lässt durch Klage beim Verwaltungsgericht Bremen die Rechtmäßigkeit des Widerspruchsbescheids prüfen.

Parallel dazu wird Professor Kreiter beim Verwaltungsgericht eine einstweilige Anordnung beantragen, um seine wissenschaftlichen Arbeit mit Makaken fortzusetzen, bis die Klage vor dem Verwaltungsgericht gegen den Widerspruchsbescheid entschieden ist. Die Behörde selbst hat offenbar Zweifel an der Richtigkeit ihrer Entscheidung, da sie einräumt, ihr Vorgehen sei „bislang nicht durch Rechtsprechung abgesichert“.

Zum Forschungsprojekt von Andreas Kreiter

Das Gehirn ist das wichtigste und komplexeste Organ der Menschen. Störungen in der Funktionalität des Gehirns führen zu Erkrankungen und einschneidenden Veränderungen im Alltag, die sich direkt in einem Verlust von Lebensqualität äußern. Ein weitverbreitetes Beispiel für eine solche Krankheit ist die Epilepsie. Die Hirnforscher der Bremer Universität arbeiten seit Jahren daran, mehr über die Funktionen und Dysfunktionen des Gehirns herauszufinden. Jetzt nahm das Projekt mit dem Titel "Kabellose Erfassung lokaler Feldpotentiale und elektrische Stimulation der Großhirnrinde für medizinische Diagnostik und Neuroprothetik" seine Forschungs- und Entwicklungstätigkeit auf. Dieses interdisziplinäre Forschungsvorhaben wird im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) veranstalteten „Innovationswettbewerbs zur Förderung der Medizintechnik“ als Transfer-Projekt zwischen der Grundlagenforschung und der Industrie gefördert.

Beteiligt an dem Verbundprojekt sind innerhalb der Universität Bremen das Zentrum für Kognitionswissenschaften (ZKW),

das Institut für Mikrosensoren, -aktoren und -systeme (IMSAS),

das Institut für Theoretische Elektrotechnik und Mikroelektronik (ITEM) und das Institut für Hochfrequenztechnik. Projektpartner außerhalb der Universität Bremen sind das Bonner Universitätsklinikum mit der Abteilung für Epileptologie (Professor Christian E. Elger) und die Firma Brain Products GmbH (Spezialist für Lösungen im Bereich der neurophysiologischen Mess- und Forschungsgeräte). Begleitet wird das Projekt, wie schon die erfolgreiche Antragsstellung, von der Bremer innoWi (Experten für die Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft).

Anwendungsfeld Epilepsie

Ziel dieses anwendungsbezogenen Forschungs- und Entwicklungsprojektes ist es, die elektrische Aktivität des Gehirns von Patienten über einen sehr langen Zeitraum sicher, zuverlässig und präzise zu erfassen. Dieses Wissen würde es Medizinern beispielsweise ermöglichen, die Hirnaktivität von Epileptikern rund um die Uhr über lange Zeit zu überwachen und vor einem nahenden Anfall zu warnen beziehungsweise einen Anfall durch Rückkopplung (elektrischer Feedback oder Bio-Feedback) abzuschwächen oder ganz zu unterdrücken.

Anwendungsfeld Neuroprothetik

Ein weiteres wichtiges Einsatzgebiet für das zu entwickelnde kabellose Langzeit-Messsystem ist die funktionelle Neuroprothetik. Das geplante System ist hier eine Schlüsselkomponente. Ziel der Neuroprothetik ist es, die erfassten elektrischen Aktivitäten des Gehirns mit Einsatz von Computern in Informationen über Aktionswünsche des Patienten zu konvertieren. Die gewünschte Aktion wird dann durch einen Computer oder Roboterarm realisiert. So wird es für einen gelähmten Patienten beispielsweise Wirklichkeit, seinen Durst selbstständig zu stillen, ohne auf fremde Hilfe angewiesen zu sein. Es soll ihm außerdem erlauben, mit seiner Umwelt zu kommunizieren, auch wenn ihm dies bisher durch seine körperlichen Einschränkungen verwehrt war. Voraussetzung für eine solche fundamentale Wiederherstellung von Autonomie und Lebensqualität von gelähmten Menschen ist ein Langzeit verträgliches, stabiles und sicheres neurophysiologisches Messsystem mit hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung, das darauf ausgerichtet ist, Information für medizinische Anwendungen mit dem Gehirn auszutauschen. Weiter müssen die Funktionsabläufe im Gehirn erforscht sein, aus denen die Steuerungsinformationen entnommen werden.

 

Ein zentraler Teil dieses medizinischen Forschungs- und Entwicklungsprojektes sind Untersuchungen an Makaken und Ratten, wodurch Gesundheitsgefährdungen für Menschen im Vorfeld ausgeschlossen werden. Diese werden wesentlich dazu beitragen, eine von der Medizin dringend benötigte Schnittstelle zu den Gehirnen von besonders schwer erkrankten Menschen bereitzustellen.

Das BMBF schreibt seit 1999 jährlich den Innovationswettbewerb zur Förderung der Medizintechnik aus, um herausragende innovative Projekte zu fördern. Projektträger ist das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Die Kosten für das Gesamtprojekt werden sich auf knapp 1,8 Millionen Euro belaufen. Über die vorgesehene Laufzeit von 36 Monaten werden davon 1,2 Millionen Euro der Fördergelder an die Universität Bremen fließen. Das setzt allerdings voraus, dass für diesen Zeitraum auch eine Tierversuchsgenehmigung vorliegt.

Weitere Informationen:

Universität Bremen

Prof. Dr. Reinhard X. Fischer (Beauftragter des Rektorats für Makakenversuche)

Tel. 0421/218-65160

E-Mail: rfischer@uni-bremen.de

 

Informationen zum Forschungsprojekt:

 

Universität Bremen

Zentrum für Kognitionswissenschaften

Prof. Dr. Klaus Pawelzik (Stellv. Direktor des ZKW)

Tel. 0421-218 62001

pawelzik@neuro.uni-bremen.de

www.neurotec.uni-bremen.de