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Kolonialgeschichte ist keine Einbahnstraße: Missionsarchiv in Bremen bietet einzigartiges Material

Forscher aus Togo untersucht Biographien aus der Kolonialzeit

Nr. 359 / 28. Oktober 2014 SC

Verknotete Geschichte – im Fachterminus „entangled history“ – spürt historischen Beziehungen nach, die durch Expeditionen, Kriegszüge oder Kolonialherrschaft entstanden sind und für alle Beteiligten langwirkende Folgen nach sich gezogen haben. Ein Beispiel für verknotete Geschichte ist die Norddeutsche Missionsgesellschaft in Togo. Das Missionsarchiv befindet sich in Bremen und verfügt über einzigartiges, bisher ungesichtetes Material aus der Geschichte der norddeutschen Missionsgesellschaft. Dazu zählen auch biographische Dokumente in der Ewe-Sprache, der Volkssprache im südlichen Togo und Ghana. Dr. Kokou Azamede, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der germanistischen Abteilung an der Universität Lomé in Togo, forscht jetzt ein Vierteljahr an der Universität Bremen an diesen biographischen Texten – und wird versuchen, die Verknotungen aufzuweisen.

Historische Spurensuche

Die Norddeutsche Mission wurde 1836 von lutherischen und reformierten Missionsvereinen in Hamburg gegründet und konzentrierte ihre Arbeit ab 1847 auf den Bereich des Siedlungsgebietes der Ewe an der damaligen Sklavenküste. Missionare der Norddeutschen Missionsgesellschaft in Togo ließen im frühen 20. Jahrhundert eine Reihe junger Männer in Deutschland ausbilden, damit sie in nicht zu ferner Zeit selbst die Leitung der Kirche in ihrer Volkssprache übernehmen könnten. Anders als die etwas später auftretenden Kolonialherren der deutschen Kolonie Togo kamen die Missionare selbst aus bäuerlich-handwerklichem Milieu, aus dem ‚Volk‘. Für die Arbeit an der noch von deutschen Missionare geleiteten, künftig aber selbständigen Landeskirche erbaten sie von ihren (noch) „Gehilfen“ Biographien, die in der Ewe-Sprache geschrieben sind. Diese Texte wird Dr. Kokou Azamede bei seinem Gastaufenthalt in Bremen übersetzen, kommentieren und mit passenden Fotos aus dem reichen Missionsarchiv illustrieren.

Weitere Forschungsaspekte werden von Magisterstudierenden aus Lomé bearbeitet, etwa zur Frage, wie die zur Leitung Ausersehenen von ihren Landsleuten bewertet wurden. Im November 2014 folgt zudem der Bremer Wissenschaftler Dr. Tilman Hannemann einer Einladung zu einer Tagung in Dakar, bei der die Verbindungen zwischen dem Maghreb und Westafrika über die Sahara hinweg untersucht werden.

Forschungsfeld Norddeutsche Missionsgesellschaft in Togo

Die einzigartige Bedeutung des Missionsarchivs für „entangled history“ hat der inzwischen verstorbene Bremer Kulturwissenschaftler Dr. Rainer Alsheimer erkannt und bei der VolkswagenStiftung Drittmittel für ein Projekt eingeworben, das in Zusammenarbeit mit dem Religionswissenschaftler Professor Christoph Auffarth die Transkulturationen untersuchte. Drei Ausstellungen haben die wichtigsten Ergebnisse öffentlich dargestellt, in der Staats- und Universitätsbibliothek „Der Missionar und der Farmer“; im Übersee-Museum „Der dritte Raum“ und in der Bürgerschaft „Bremer Handel und Mission in Afrika“. In diesem Zusammenhang ist die Dissertation von Dr. Azamede entstanden. Seither hat er am (ungleich ‚dünneren‘) Bildarchiv der Deutschen Kolonialgesellschaft in Frankfurt geforscht (www.kolonialfotografie.com ) und kehrt nun wieder an die Arbeit am ‚dichten‘ Archiv der Norddeutschen Missionsgesellschaft zurück, das heute integriert ist in das Staatsarchiv der Freien Hansestadt Bremen.

Weitere Informationen:

Universität Bremen
Fachbereich Kulturwissenschaften
Institut für Religionswissenschaft und Religionspädagogik
Prof.Dr.Dr. Christoph Auffarth
Tel.: 0421 218 67 930
E-Mail: auffarthprotect me ?!uni-bremenprotect me ?!.de
Dr. Gabriele Richter
Tel.: 0421 218 67925
E-Mail: grichterprotect me ?!uni-bremenprotect me ?!.de