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Neue szenische Lesung: Keine Zuflucht. Nirgends.

1938 können sich 32 Staaten auf der Evian-Konferenz nicht auf die Aufnahme von 500.000 jüdischen Verfolgten einigen. Der Umgang der Länder mit Migration und Flucht ist Thema der neuen szenischen Lesung aus der Reihe „Aus den Akten auf die Bühne“. Premiere ist am 25. April im Theater am Leibnizplatz.

Nach dem „Anschluss“ Österreichs im März 1938 nahm die Verfolgung von Jüdinnen und Juden im Deutschen Reich immer mehr zu. Für viele war der einzige Ausweg die Flucht. Doch wohin? US-Präsident Franklin D. Roosevelt lud zu einer internationalen Konferenz ein, die im Juli 1938 in Evian am Genfer See stattfand. Es wurde debattiert, diniert und um Einwanderungsquoten gefeilscht. Am Ende erklärte sich kein Staat bereit, seine Grenzen für die Verfolgten zu öffnen. Durch die Novemberpogrome 1938 verschärfte sich die Lage dramatisch.

Die Irrfahrt der St. Louis

Im Mai 1939 legte die St. Louis in Hamburg mit 937 Kindern, Frauen und Männern an Bord Richtung Kuba ab. Den Hafen von Havanna in Sichtweite wurde der St. Louis die Einfahrt verweigert. Auch die USA und Kanada lehnten die Aufnahme an. Nach tagelangen Verhandlungen musste das Schiff beidrehen und zurück nach Europa fahren. Am 17. Juni 1939 durfte die St. Louis in Antwerpen anlegen. Die Passagiere wurden auf Großbritannien, Belgien, Frankreich und die Niederlande verteilt. Viele von ihnen gerieten nach der Besetzung durch die deutschen Truppen in die nationalsozialistische Vernichtungsmaschinerie, wurden deportiert und in Konzentrationslagern ermordet.

Im neuen Projekt von „Aus den Akten auf die Bühne“ wird am Beispiel der Konferenz von Evian und der Fahrt der St. Louis der Umgang der Staaten mit Migration und Flucht verhandelt. Zeugnisse der Fahrt und der Schicksale der Geflüchteten werden in der szenischen Lesung zum Sprechen gebracht. Die Veranstaltung verbindet die Geschichte mit der Gegenwart, um zu der Einsicht beizutragen, die der schwedische Schriftsteller und Journalist Göran Rosenberg, Sohn zweier jüdischer Holocaustüberlebender, im Berliner Tagespiegel 2015 eingefordert hatte: „Während die Europäer geradewegs gen Evian schlafwandeln, sollen sie wenigstens wissen, dass sie es tun. Und eine vereinte Anstrengung zum Aufwachen unternehmen.“ Die Aufführungen werden als Livestream im Internet übertragen.

Zeitzeugen-Gespräch am 29. April in Bremen

Zur Premiere der Lesung kommt einer der letzten Zeitzeugen der St. Louis, Professor Clark Blatteis, nach Bremen. Er war sieben Jahre alt, als seine Familie versuchte, aus Deutschland zu fliehen. Nachdem das Schiff nach Europa zurückgekehrt war, fand Familie Blatteis in Belgien Zuflucht. Nach der deutschen Invasion glückte ihnen über Frankreich und Spanien die Flucht nach Marokko. 1948/49 flohen sie schließlich in die USA. Professor Blatteis lehrte bis zu seinem Ruhestand am College of Medicine der University of Tennessee.

Von der langen Fluchtgeschichte seiner Familie berichtet Professor Clark Blatteis bei einer öffentlichen Veranstaltung, zu der das Rektorat der Universität Bremen am Montag, 29. April 2019, 18 Uhr (GW2, Raum B 3009) einlädt. Den Abend moderiert Peter Lüchinger von der bremer shakespeare company.

Audiowalk zu Fluchtversuchen einer Familie

Vor den Schulferien wird es noch eine weitere Premiere geben: Ein Audiowalk macht die Geschichte der Familie Rosenberg aus Bassum und Bremen erlebbar und erzählt die Fluchtversuche einer jüdischen Familie im „Schicksalsjahr“ 1938.

Preisgekröntes Projekt

Das Projekt „Keine Zuflucht. Nirgends“ ist Preisträger im Wettbewerb „Theater Macht Geschichte“ (2018) der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ und des Theaters der Jungen Welt Leipzig. Aus den Akten auf die Bühne ist ein geschichtswissenschaftliches Theaterprojekt der Universität Bremen unter der Leitung von Dr. Eva Schöck-Quinteros und der bremer shakespeare company (bsc).

Das Konzept: Studierende der Geschichtswissenschaft recherchieren historische Quellen, Peter Lüchinger von der bsc übernimmt die Textbearbeitung für die szenische Lesung und die Schauspielerinnen und Schauspieler bringen sie auf der Bühne zum Sprechen.

Das Projekt „Aus den Akten auf die Bühne“ wird unterstützt vom Staatsarchiv Bremen, dem Verein Alumni der Universität Bremen, von der Manfred- und Ursula Fluß-Stiftung, sowie der Stiftung „Die Schwelle“.

Termine

Donnerstag, 25. April 2019
Sonntag, 28. April 2019
Samstag, 18. Mai 2019
Dienstag, 28. Mai 2019
Dienstag, 4. Juni 2019
Mittwoch, 26. Juni 2019

Jeweils 19.30 Uhr, Theater am Leibnizplatz

Weitere Informationen

www.sprechende-akten.uni-bremen.de
https://de-de.facebook.com/sprechende.akten/
www.shakespeare-company.com/aus-den-akten-auf-die-buehne/

Fragen beantwortet

Dr. Eva Schöck-Quinteros
Institut für Geschichtswissenschaft
Fachbereich Sozialwissenschaften
Universität Bremen
Telefon: +49 421 218-67251
E-Mail: esqprotect me ?!uni-bremenprotect me ?!.de

 

Eine Postkarte der St. Louis.
Eine Postkarte der St. Louis
Passagiere gehen in Hamburg an Bord
Passagiere gehen in Hamburg an Bord
Passagiere an Bord der St. Louis
Passagiere an Bord der St. Louis
Der Kapitän der St. Louis, Gustav Schröder, verhandelt mit belgischen Behörden im Hafen von Antwerpen über eine Landeerlaubnisse für die Passagiere.
Der Kapitän der St. Louis, Gustav Schröder, verhandelt mit belgischen Behörden im Hafen von Antwerpen über eine Landeerlaubnisse für die Passagiere.