Detailansicht

Stalins Team, die Große Säuberung und die aussterbende Kultur eines Volkes am Ural

Forschungsstelle Osteuropa der Universität Bremen lädt die interessierte Öffentlichkeit im Oktober zu einem Vortrag, Gesprächen und Filmen ein

Nr. 329 / 6. Oktober 2014 KG

Die Forschungsstelle Osteuropa, ein An-Institut der Universität Bremen, ist spezialisiert auf den früheren Ostblock und seine Gesellschaften mit ihrer spezifischen Kultur sowie die Transformationsprozesse und gegenwärtige Entwicklung in Osteuropa. Im Oktober lädt das Institut zu einer ganzen Reihe öffentlicher Veranstaltungen zur russischen Geschichte und Gegenwart ein.

„Stalins Team“ steht am Montag, 13. Oktober, 18 bis 20 Uhr, im Mittelpunkt eines Vortrags von Sheila Fitzpatrick, einer renommierten emeritierten Professorin der University of Chicago und Professorin für Geschichte an der University of Sydney, wo sie auch lebt. Sie hat ein Buch über Stalins Team und die Jahre der Großen Säuberung verfasst, der auch viele Kommunisten zum Opfer fielen. Über Stalin ist vieles bekannt, weniger jedoch über seine Weggefährten – Molotow, Kaganowitsch, Mikojan und andere, die 25 Jahre zu Stalins Führung, aber nicht immer zum Politbüro gehörten. Sie begleiteten ihn durch die Kollektivierung, die Großen Säuberungen, den Zweiten Weltkrieg und die Mühen der Nachkriegszeit. Molotow und Mikojan überlebten nur knapp Stalins Versuch, sie in seinen letzten Jahren zu verdrängen. Es gibt keinen Zweifel daran, dass Stalin Chef dieser Führungsclique war, aber was war die Funktion der anderen? Waren sie nur Ja-Sager? Wie erklärt sich ihr Erfolg als neue kollektive Führung, nachdem ihnen nach Stalins Tod ein de facto gewaltfreier politischer Übergang zu einem konsensualen Reformprogramm gelungen war? Diesen Fragen wird die australische Wissenschaftlerin nachgehen. Der Vortrag findet im SFG (Seminar-Forschungsgebäude), Raum 0140, der Universität Bremen, Enrique-Schmidt-Straße 7, statt. Er ist Auftakt zum Kolloquium zur Ost(mittel)europäischen Geschichte der Forschungsstelle Osteuropa sowie des Instituts für Geschichte der Universität Bremen im Wintersemester 2014/15.

Das Haus an der Uferstraße

Am Dienstag, 14. Oktober, 19 Uhr, lädt die Forschungsstelle Osteuropa unter dem Titel „Das ‚Haus an der Uferstraße“ zu einem Gespräch mit der Moskauer Schriftstellerin und Museumsleiterin Olga Trifonowa ein. Die Witwe des bedeutenden Moskauer Autors Jurij Trifonow (1925-1981) ist Mitbegründerin und seit 1998 Leiterin des Museums im „Haus an der Uferstraße“ gegenüber dem Kreml. In den 1930er-Jahren wohnten dort die Führungskader Stalins. Jurij Trifonow wuchs in dem Haus als Sohn eines hochrangigen sowjetischen, 1938 hingerichteten Armeeführers auf. Das Museum – finanziert in kommunaler Trägerschaft der Stadt Moskau – thematisiert die Schicksale der Bewohner des Wohnblocks während der stalinistischen Säuberungen. Im Mittelpunkt stehen jene Mitglieder der sowjetischen Nomenklatura, die während des Massenterrors in dieser Zeit als „Volksfeinde“ verfolgt und oft auch hingerichtet wurden. Ihre Familienangehörigen wurden stigmatisiert und waren Drangsalierungen ausgesetzt. Der 1976 erschienene Roman von Jurij Trifonow „Das Haus an der Uferstraße“ (auch übersetzt als „Das Haus an der Moskwa“) machte diese Schicksale und die bedrückende Atmosphäre während der Parteisäuberungen einem größeren Publikum auch im Westen bekannt. Der Nachlass von Jurij Trifonow befindet sich seit 2009 im Archiv der Forschungsstelle Osteuropa. Das Gespräch wird moderiert von Professorin Susanne Schattenberg, Leiterin der Forschungsstelle Osteuropa. Es findet im Europa-Punkt Bremen, Am Markt 20 (im Haus der Bürgerschaft, Eingang Domseite), statt.

Aktuelle Situation der Gulag-Gedenkstätte am Ural

Zum Lunch Talk mit einem Werkstattbericht der Dokumentarfilmerin Galina Krasnoborova lädt die Forschungsstelle Osteuropa dann am Mittwoch, 15. Oktober, um 12.30 Uhr in ihr Gebäude an der  Klagenfurter Straße 3 ein. Unter dem Titel „Verlorene Freiheit?“ gibt die Künstlerin einen Einblick in die Situation der russischen Gulag-Gedenkstätte „Perm-36“. Galina Krasnoborova hat in Moskau und Ludwigsburg Filmregie studiert und für ihre Arbeit viele Preise erhalten. Sie begleitet aktuell die Veränderungen in ihrer Heimatregion Perm am Ural, wo sich Russlands einzige Gulag-Gedenkstätte am authentischen Ort befindet. In dem während des Zweiten Weltkrieges geschaffenen Arbeitslager waren seit 1972 auch politische Dissidenten inhaftiert, darunter viele Aktivisten der „Helsinki-Gruppen“ in der Sowjetunion. Das Lager wurde erst 1987 unter Gorbatschow geschlossen und die letzten Häftlinge amnestiert. In enger Kooperation mit der russischen Menschenrechtsorganisation „Memorial Perm“ entstand 1994 die Gedenkstätte „Perm-36“ auf dem Gelände des ehemaligen Lagers. Das zivilgesellschaftlich getragene Museum wurde bis Ende 2013 durch die Bezirksregierung mitfinanziert, steht aber nun vor dem finanziellen Aus und dem Verlust der inhaltlichen Autonomie. Die bisherige Museumsleitung wurde kürzlich im kremlnahen Sender NTV als „Fünfte Kolonne“ und „Feinde Russlands“ denunziert.

Filmische Erinnerungen an die Komi

Die 2008 und 2014 gedrehten Filme „Nine Forgotten Songs“ & „Lov (Geist)“ von Galina Krasnoborova sind in ihrer Anwesenheit dann am Abend des 15. Oktober um 20 Uhr im Kino City 46, Birkenstraße 1, zu sehen. Die junge russische Regisseurin setzt mit ihrem kontrastreich in Schwarz-Weiß gedrehten Filmen einer nicht russisch sprechenden Minderheit ein Denkmal: den Komi-Permjaken im nördlichen Ural. Sie wurden im 15. Jahrhundert „russifiziert“. 1925 wurde Komi das einzige Autonome Gebiet in Russland, in der ein finno-ugrisches Volk die ethnische Mehrheit bildete. 2005 wurde die Autonomie aufgehoben. Die aussterbende Kultur der Komi filmisch festzuhalten, ist erklärtes Ziel der Regisseurin. Ohne Kommentare oder Interviews, nur durch ihre filmische Sprache, inszeniert sie beeindruckende Bilder von Verlust und Vergessen.

Weitere Informationen:

Universität Bremen
Forschungsstelle Osteuropa
Dr. Ulrike Huhn
Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur
für Zeitgeschichte und Kultur Osteuropas
Telefon 0421-218-69611
ulrike.huhnprotect me ?!uni-bremenprotect me ?!.de