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Warum Gletscher in den Alpen nur noch Toteis sind

„Gletscher sind die Ikonen des Klimawandels.“ Das sagt Professor Ben Marzeion in der kleinen Galerie „kunstmix“ im Schnoor. Hier trifft erstmalig Wissenschaft auf Kunst. Der Geograph erläutert seine Forschungen und ist dabei umgeben von Fotomontagen der Schweizer Künstlerin Franziska Rutz.

Als ein Beispiel dient der Gornergletscher, südöstlich von Zermatt in den Walliser Alpen gelegen. Franziska Rutz hat ihn mittels digitaler Fotografie eindrucksvoll verfremdet. Veränderungen der Bergwelt in ihrer Schweizer Heimat sind ein Thema für die Künstlerin, die emotional beteiligt ist. „Früher war ich Mitglied im Schweizer Alpenclub. Wir haben uns in Gletscherspalten abgeseilt. Ich hatte Angst“, sagt sie freimütig. Seit fast 25 Jahren lebt die Künstlerin nun in Braunschweig. „Ich wollte die Erfahrungen meiner Kindheit nochmal aufgreifen und die Gletscher fotografieren.“ Was sie als unveränderliche Bergwelt in ihrem Gedächtnis abgespeichert habe, sei aber nicht mehr so. „Die Veränderungen fallen auf, das Eis geht rapide zurück, Löcher sind entstanden.“

Hänge geraten ins Rutschen

Wissenschaftler Ben Marzeion hat neben die künstlerische Fotomontage ein nüchternes Diagramm an die Wand geheftet. Es zeigt die Temperaturentwicklung am Gornergletscher und eine jäh abfallende Kurve. Das ist seine Ausdehnung. „Er ist bereits 2,5 Kilometer kürzer geworden“, erläutert Marzeion. Den staunenden Zuhörerinnen und Zuhörern teilt er mit: „In den Alpen sind die Gletscher nirgends mehr intakt.“ Gletscher führten ein Eigenleben. Sie akkumulierten Schnee aus höher liegenden Gebieten, das werde dann zu Eis und fange an zu fließen. „Wenn der Gletscher seine Verbindung zum Akkumulationsgebiet verliert, dann nennen wir das Toteis.“ Das bewege sich nicht mehr und sei meist mit Sedimenten bedeckt. „Bei dem jetzt herrschenden Klima fehlt den Gletschern ihr Akkumulationsgebiet. Es sieht noch nach einem Gletscher aus, ist aber gar keiner mehr.“ Auch die Landschaft drum herum bleibe nicht so, wie sie war. „Wenn der Permafrost auftaut, geraten die Hänge in Bewegung, weil sie keinen Halt mehr haben.“

Klimawandel und Wertefrage

Für den Meeresspiegelanstieg sei die Gletscherschmelze bedeutender als das Abschmelzen der Eisschilde an den Polen. Was ist die Aufgabe der Wissenschaft? „Wir untersuchen mit objektiven Methoden die Entwicklung beim Klimawandel und erläutern Handlungsoptionen“, sagt der Glaziologe. Mehr nicht. Alles andere sei eine Wertefrage. „Jeder muss selbst entscheiden, ob er mit dem SUV 1000 Kilometer über die Autobahn brettern will.“ Die Klimadiskussion, so ist sich Marzeion sicher, leide darunter, dass diese Ebenen verwischt werden.

Kunst geht hinaus in die Phantasie

Franziska Rutz sagt über ihre Kunst: „Ich gehe über das Beobachten hinaus in die Phantasie. Wie könnte es aussehen, wenn Berge rutschen und sich Löcher bilden?“ Wissenschaftler Marzeion hingegen, will sich durch sein methodisches Herangehen nicht von Sinnestäuschungen blenden lassen. „Den Teil, den ich bei meinen Forschungen auszublenden versuche, stellt Franziska Rutz dar.“ Bei den Besuchern in der Galerie kommt die Veranstaltung „Wissenschaft trifft Kunst“ gut an. Für die Universität Bremen ist es ein Transferbeitrag, denn Wissenschaft ist ein Teil der Gesellschaft.

 

Vier Personen vor einem Bild
Finissage-Gespräch: (von links) Fotokünstlerin Franziska Rutz; Glaziologe Professor Ben Marzeion, Reiner Stoll und Dr. Rita Kellner-Stoll, Treuhandstifter der Universität Bremen.