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Professor Johannes Huinink stellt die Sozialstruktur Deutschlands vor

Die Gesellschaft wird älter, weniger Kinder werden geboren, die Lebensformen verändern sich und die soziale Ungleichheit nimmt weiter zu. Das sind einige der Befunde, die Professor Johannes Huinink in seinem Buch „Sozialstruktur Deutschlands“ theoretisch erläutert und empirisch belegt. Das Lehrbuch…

Die erste Auflage von 2008 war stark nachgefragt, nun ist die „Sozialstruktur Deutschlands“ in der überarbeiteten zweiten Auflage erschienen. Huinink forscht am Institut für empirische und angewandte Soziologie (EMPAS) in einer Professur für Theorie und Empirie der Sozialstruktur. BUS wollte von ihm wissen, was sich in den sechs Jahren seit Erscheinen der ersten Auflage in Deutschland verändert hat.

Was gehört zur Sozialstruktur eines Landes?

Professor Huinink: Wir stellen in unserem Buch im Kern zwei große Bereiche vor. Erstens die Bevölkerungsstruktur mit Größe, Alter, Geschlecht, Geburtenentwicklung, Mortalität, Migration und Lebensformen. Im zweiten Bereich untersuchen wir die soziale Ungleichheit.

Welche Trends gibt es in der Bevölkerungsstruktur?

Im Grunde die bekannten Entwicklungen. So hat sich der Anteil der unter 20-Jährigen an der Gesamtbevölkerung auf einen Wert von unter 18 Prozent verringert, er lag 1950 noch bei 30 Prozent. Der Anteil der Menschen, die 65 Jahre und älter sind, stieg hingegen von 10 Prozent im Jahr 1950 auf 21 Prozent im Jahr 2011 an. Dieser demografische Wandel wird sich fortsetzen.

Gab es Überraschungen?

Ja, beim Verfassen des Lehrbuchs kam uns die Volkszählung dazwischen. So wurde 2011 vom 1,5 Millionen kleiner ist, als bislang angenommen. Auch der Anteil ausländischer Staatsbürger in Deutschland, der mit deutlich über 7 Millionen angenommen wurde, betrug nur noch 6,3 Millionen Menschen. Das ist übrigens nicht zu verwechseln mit dem Migrationshintergrund. Das sind 20 Prozent der deutschen Bevölkerung.

Was ändert sich an den Lebensformen der Menschen?

Wir haben erstmalig in die zweite Auflage unseres Lehrbuchs auch das Heiratsverhalten aufgenommen. Es geht stark zurück, es wird entweder gar nicht oder sehr spät geheiratet. Der Anteil der ledigen Männer im Alter zwischen 39 und 45 Jahren liegt beispielsweise inzwischen bei über 40 Prozent.

Wie entwickelt sich die soziale Ungleichheit?

Die Schere zwischen Arm und Reich wird größer. Die 20 Prozent der Einkommensstärksten in Deutschland haben mehr als das Vierfache an Verdienst, verglichen mit den 20 Prozent der Einkommensschwächsten. Und der Einkommenszuwachs war in den vergangenen Jahren auch umso höher, je mehr man verdient. Wie sich die Ungleichheit verstärkt, sehen wir an der Armutsgefährdungsquote. Lebten 2004 in Deutschland 12,7 Prozent der Bevölkerung an der Armutsgrenze, sind es 2011 inzwischen 15,8 Prozent. Die Struktur der Armut ist etwa gleich geblieben, besonders betroffen sind Alleinerziehende und Arbeitslose. Diese zunehmende Ungleichheit in der Gesellschaft ist problematisch, der soziale Konsens wird damit gefährdet. Deutschland liegt zwar bei der sozialen Ungleichheit im europäischen Ländervergleich nicht an der Spitze, bei der Vererbung aber doch. Das heißt, Kinder aus sozioökonomisch benachteiligten Elternhäusern haben es  in Deutschland besonders schwer, höhere Bildungsabschlüsse zu erreichen.

Woher bekommen Sie die große Menge an empirischen Daten?

Eine wichtige Quelle ist das Statistische Bundesamt. Immer wichtiger werden auch Berichte aus der Politik, wie Armutsbericht und Bildungsbericht. Sie enthalten viele wertvolle Daten. Wir arbeiten außerdem mit dem Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung zusammen. Und wir nutzen Daten aus sozialwissenschaftlichen Erhebungen. Dazu gehört auch eine Studie, die wir selbst durchführen. In Kooperation mit anderen Universitäten arbeiten wir an einem langfristig angelegten Beziehungs- und Familienpanel (pairfam), dessen Mitinitiator ich bin. Die multidisziplinäre Längsschnittstudie erforscht die partnerschaftlichen und familiären Lebensformen in Deutschland. Sie wird von der DFG gefördert und soll noch bis 2022 fortgeführt werden.

Mann im Büro im Hintergrund Bücher
Professor Johannes Huinink in seinem Büro im Institut für empirische und angewandte Soziologie (EMPAS)
Zwei Bücher mit ähnlichem Cover
Zwischen der ersten und der zweiten Auflage des Lehrbuches liegen sechs Jahre. Was hat sich in dieser Zeit an Deutschlands Sozialstruktur verändert?