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Können EU-Mitgliedsstaaten noch selbst über ihre Sozialhilfesysteme bestimmen?

Uni Bremen leitet Projektverbund über Auswirkungen von Armutsmigration und die Rolle der Gerichte

Nr. 003 / 9. Januar 2015 KG

Armutsmigration innerhalb der Europäischen Union ist ein aktuell häufig diskutiertes Thema. In welchem Umfang erheben erwerbslose EU-Bürger Anspruch auf soziale Transferzahlungen in den Gastländern, in die sie eingewandert sind? Die EU-Mitgliedsstaaten haben sich in europäischen Verhandlungen immer bemüht, ihre Systeme der sozialen Sicherung weitgehend unter nationaler Kontrolle zu behalten. Gilt das noch vor dem Hintergrund zahlreicher Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs? Das oberste rechtssprechende Organ der EU hat auf der Basis von EU-Bürgerschaftsrechten den Anspruch von ökonomisch inaktiven EU-Bürgern auf nationale Leistungen in den vergangenen Jahren weiter ausgebaut.

Diese Thematik ist Forschungsthema einer internationalen Projektgruppe, die jetzt ihre Arbeit aufgenommen hat. Im Projekt „Transnationalization and the judicialization of welfare“ (TransJudFare) untersuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Bremen gemeinsam mit Partnern in Kopenhagen, Salzburg und Amsterdam die Problematik des Rechts auf soziale Leistungen und wie es judizialisiert, also durch Gerichte geprägt wird. Die Projektleitung und Koordination wurde der Politikwissenschaftlerin Professorin Susanne K. Schmidt vom Institut für Interkulturelle und Internationale Studien (InIIS) der Universität Bremen übertragen. Beteiligt sind Benjamin Werner als Postdoc und Angelika Schenk als Doktorandin. TransJudFare wird von NORFACE, einem Netzwerk von 15 nationalen Forschungsförderorganisationen, finanziert. Den deutschen Anteil trägt die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Innerhalb von drei Jahren werden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Entwicklungen in fünf Ländern untersuchen: Deutschland, Großbritannien, Dänemark, Österreich und den Niederlanden. NORFACE fördert das Projekt mit insgesamt einer Million Euro, die Universität Bremen erhält davon rund 360.000 Euro.

Hintergrund des Projektes:

Der Projektverbund untersucht vergleichend für die fünf Mitgliedstaaten, in welchem Umfang EU-Bürger nach nationalem Recht Anspruch auf soziale Leistungen haben, inwieweit diese Leistungen wahrgenommen werden und wie dies politisch diskutiert wird. Das betrifft nicht nur unterschiedliche Maßnahmen der Sozialhilfe. Erforscht wird auch, inwieweit Studierenden aus anderen EU-Mitgliedsstaaten finanzielle Unterstützung wie BAföG gewährt wird.

Kommen diese Mitgliedstaaten ihren europarechtlichen Verpflichtungen nach, halten sie vereinbarte Leistungen vor oder sind ihre nationalen Kriterien zur Bewilligung von Leistungen so weit gefasst, dass es erst hierdurch zu den diskutierten Problemen von Armutsmigration kommt? Letzteres wurde wiederholt von der Europäischen Kommission ins Feld geführt. Da sich viele Ansprüche erst aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ergeben, fragt das Projekt danach, inwiefern Gerichte in den Mitgliedstaaten dieser Rechtsprechung folgen und es so zu einer Judizialisierung des Rechts auf soziale Leistungen kommt. Ist dieser Bereich ein Beispiel für die oft vertretene These, dass Gerichte zunehmend wichtige politische Akteure sind? Wie groß ist überhaupt noch der rechtliche Spielraum, der den Mitgliedstaaten verbleibt, um über ihre Wohlfahrtssysteme zu bestimmen? Durch die vergleichende Analyse geht das Projekt den durch die Freizügigkeit in der EU hervorgebrachten Veränderungen der nationalen Wohlfahrtsstaaten nach. Ebenso der Frage, inwieweit Politikänderungen auf fortschreitende Judizialisierung zurückgeführt werden können.

Weitere Informationen:

Universität Bremen
Fachbereich Sozialwissenschaften
Institut für Interkulturelle und Internationale Studien
Dr. Benjamin Werner
Tel.: 0421 218 67469
E-Mail: bwernerprotect me ?!uni-bremenprotect me ?!.de