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Neue Science-Studie: Antarktis-Vereisung wälzte Meeresökosystem um

Der Ursprung des Meeresökosystems in den Gewässern rund um die Antarktis ist eng verknüpft mit der Entwicklung des Eisschildes. Er begann vor 33,5 Millionen Jahren auf dem sechsten Kontinent anzuwachsen. Über diese Entdeckung berichtet ein internationales Forscherteam in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Science. Mehr noch: Das an das Meereis gebundene Ökosystem aus Algen, Krebsen und anderen Kleinorganismen löste im Lauf seiner Jahrmillionen langen Entwicklung möglicherweise auch bestimmte Anpassungsleistungen größerer Organismen wie Walen und Pinguinen aus. An der Veröffentlichung sind Wissenschaftler vom MARUM beteiligt  – dem Zentrum für Marine Umweltwissenschaften an der Universität Bremen.

Dramatischer Einschnitt in der Geschichte der Antarktis

Anfang 2010 gewann eine Expedition des Integrierten Ozean-Bohrprogramms (IODP – Integrated Ocean Drilling Program) an Bord des Bohrschiffs „JOIDES Resolution“ erstmals lange Sedimentkerne vor der Küste des antarktischen Wilkes-Lands, das etwa 3.500 Kilometer südlich von Australien liegt. Die Meeresablagerungen spiegeln die Klima- und Umweltgeschichte der Region während der vergangenen rund 53 Millionen Jahre. Frühere Untersuchungen der Sedimente hatten bereits gezeigt, dass der sechste Kontinent vor 53 Millionen Jahren mit subtropischen Pflanzen bedeckt war. Die jetzt in Science erscheinende Studie belegt einen dramatischen Einschnitt in der Geschichte der Antarktis, der weit reichende Folgen für das Meeresökosystem mit sich brachte: Aus dem subtropischen Treibhaus wurde im Lauf der Jahrmillionen zur Kühlkammer; Gletscher entstanden. Sie wuchsen allmählich zusammen und leiteten vor 33,5 Millionen Jahren die Vereisung der Antarktis ein.

Forscherteam nahm einzellige Dinoflagellaten unter die Lupe

Um die Umweltgeschichte der Küstengewässer vor dem Wilkes-Land zu rekonstruieren, nahm das Forscherteam insbesondere einzellige Dinoflagellaten unter die Lupe, deren Reste in den erbohrten Sedimenten abgelagert worden waren. Die winzigen Organismen werden auch als Panzergeißler bezeichnet. Als die Antarktis noch subtropisch und eisfrei war, lebten in den angrenzenden Meeresregionen viele Wärme liebende Dinoflagellaten. Dann kühlte das Klima ab; der Kontinent vereiste und um den Kontinent bildete sich ein Gürtel aus Meereseis. Mit der Artenvielfalt ging es rapide bergab. An die Stelle vieler Wärme liebenden Dinoflagellaten dominierten nun wenige Arten, die auch heute noch im Ökosystem Meereis vorkommen.

 „In den Bohrkernen lässt sich der abrupte Wechsel im antarktischen Meeresökosystem vor 33,5 Millionen Jahren gut beobachten“, sagt Ko-Autorin Ursula Röhl vom MARUM. „In unseren Bremer Labors haben wir die erbohrten Meeresablagerungen mit hochauflösenden Methoden untersucht. Dabei stellte sich heraus, dass die Häufigkeit von Dinoflagellaten auch mit der Art der Verwitterung schwankte.“ Als die Antarktis noch nicht vereist war, herrschten chemische Verwitterungsprozesse vor: Die im Regen gelösten Stoffe wie das Kohlendioxid wuschen das Gestein aus. Mit dem kühleren Klima und der einsetzenden Vereisung dominierte die durch abrupte Temperaturunterschiede oder Frostsprengung gekennzeichnete physikalische Verwitterung. „Heute spielen die antarktischen Gewässer eine wichtige Rolle im ozeanischen Nahrungsnetz“, sagt Erstautor Sander Houben von der Universität Utrecht. „Nur im Südsommer, wenn das Meereis schmilzt, entwickeln sich riesige Algenblüten. Diese bilden die Nahrungsgrundlage sowohl für die kleinen Dinoflagellaten als auch für größere Organismen wie Wale und Pinguine."

Das IODP-Expeditions-Team vermutet, dass Wale und Pinguine ihre Ernährungsgewohnheiten vor 33,5 Millionen Jahren anpassten. Der Grund: das Meereis verkürzte und intensivierte den Lebenszyklus der Algen. „Daher glauben wir, dass es kein Zufall ist, dass die Evolution von Walen und Pinguinen gerade mit der Entwicklung des antarktischen Meereises in Schwung kam“, sagt Sander Houben. So gesehen belegt die Science-Studie, wie große Klimaveränderungen mit relativ raschen biologischen Entwicklungen Hand in Hand gehen.
 
 
Science-Studie: A.J.P. Houben, P.K. Bijl, J. Pross, S.M. Bohaty, S. Passchier, C.E. Stickley, U. R?hl, S. Sugisaki, L. Tauxe, T. van de Flierdt, M. Olney, F. Sangiorgi, A. Sluijs, C. Escutia, H. Brinkhuis and the IODP Expedition 318 Scientists: Reorganization of Southern Ocean Plankton Ecosystem at the Onset of Antarctic Glaciation, 19 April 2013 in Science

Expeditions-Videos gibt es hier zu sehen. Informationen zum MARUM unter www.marum.de .

Weitere Informationen:
Universität Bremen
MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften
Albert Gerdes
Tel.: 0421 218 65540
E-Mail: agerdesprotect me ?!marumprotect me ?!.de
www.marum.de

Schiff fährt an einem Eisberg vorbei.
Das Bohrschiff „JOIDES Resolution“ vor der Küste des antarktischen Wilkes-Lands, das etwa 3.500 Kilometer südlich von Australien liegt. (Bild: IODP)