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Neue Studie zur Pflege: Wissenschaftlerinnen fordern eine gesamtgesellschaftliche Kultur des Sorgens

Vor allem männliche Pflegekräfte kritisieren mangelnde Zeit für emotionale Fürsorge in ihrem Beruf

Nr. 060 / 07. März 2011 MM

Der straff organisierte Alltag in stationären und ambulanten Kranken- und Altenpflegeinrichtungen lässt den Pflegekräften kaum Zeit für eine beziehungsorientierte Pflege, die dem Berufsethos entspricht. Sie ist nicht nur für die Gepflegten von großer Bedeutung, sondern auch für die Arbeits- und Lebensqualität der Pflegerinnen und Pfleger. Wie ihre Arbeitsbedingungen nachhaltig verbessert werden können und welche Aufgaben auf die private häusliche Pflege zukommen, haben die Arbeits- und Organisationspsychologin Christel Kumbruck und die Arbeitssoziologinnen EvaSenghaas-Knobloch sowie Mechthild Rumpf in einer Studie untersucht. Unter dem Titel: „Unsichtbare Pflegearbeit. Fürsorgliche Praxis auf der Suche nach Anerkennung“ wurde sie vor kurzem am Forschungszentrum Nachhaltigkeit (artec) der Universität Bremen veröffentlicht. Ihr Fazit: Insgesamt bedarf es in Deutschland einer gesamtgesellschaftlich getragenen Kultur des Sorgens. Dafür müssen die sozialpolitischen Rahmenbedingungen erneuert und angepasst werden. Denn die sich verändernden Geschlechterverhältnisse in Familie und Beruf haben Auswirkungen auf die bezahlte berufliche und die unbezahlte private Pflege.

Für ihre Studie haben die Forscherinnnen 65 Fach- und Führungskräfte der ambulanten und stationären Kranken- und Altenpflege in unterschiedlichen Einrichtungen der Diakonie in ausführlichen qualitativen Interviews befragt. Dabei sind es vor allem männliche Pflegekräfte, die den Mangel an Zeit für die emotionale Seite der Pflegearbeit besonders kritisieren. Sie verweisen ausdrücklich auf ihre Emotions- und Interaktionsarbeit zur Unterstützung von Heilprozessen oder Linderung von Leiden, auch beispielsweise durch Versuche, die Stimmung in den Krankenzimmern aufzuhellen. Schwestern betrachten dies eher als selbstverständlich, wenngleich gerade sie unter den erschwerten Bedingungen leiden. Die Autorinnen sehen in dieser Differenz Nachwirkungen tief eingeprägter kultureller Vorstellungen über den weiblichen Charakter von Pflege, in der empathische Kompetenzen als naturgegebene Geschlechtermerkmale wahrgenommen wurden.

Interaktion gibt Pflegekräften Kraft

Die kommunikativen Bestandteile guter Pflege haben aber auch für die Pflegekräfte einen gesundheitsrelevanten Aspekt: Interaktion mit den Gepflegten und die Erfahrung ihrer Wertschätzung und Dankbarkeit sind für die Pflegenden wichtige Ressourcen, um ihre alltäglichen psychischen Belastungen zu bewältigen. Die Bedeutung dieser Belastungen ist an den hohen Ziffern für Burnout und Fluktuation ablesbar. Die Pflegekräfte brauchen auch die regelmäßige Möglichkeit, sich kollegial oder unter professioneller Anleitung über schwierige, negative oder verletzende Erfahrungen im beruflichen Alltag auszutauschen und über ein gutes Klima im Team gute Pflege zu gewährleisten.

Wunsch nach mehr Anerkennung

Im Hintergrund dieser qualitativen Studie stehen große gesellschaftliche Veränderungen im Geschlechterverhältnis. In deren Folge ist der Pflegeberuf zwar nach wie vor ein Frauenberuf, wird jedoch zunehmend auch von Männern wahrgenommen. Die Ergebnisse der qualitativen Befragung zeigen, dass Pflegerinnen und Pfleger in der Gesellschaft einen Mangel an Wertschätzung und Anerkennung wahrnehmen. Dies betrifft das berufliche Ansehen, die eher geringe Bezahlung beziehungsweise die Reduzierung von Gehältern und die Rationalisierungskonzepte, in denen für die kommunikativen Kernbestandteile guter Pflege keine Zeit bleibt. Interessanterweise finden sich bei den in der Studie interviewten zehn pflegeberuflich tätigen Paaren mit großer Selbstverständlichkeit neue Familienarrangements: Junge Väter arbeiten ebenso wie junge Mütter in ihrer Elternzeit in Teilzeit – auch oft nachts –, um ihre familiären Pflichten zuhause mit ihrer beruflichen Pflegearbeit zu vereinbaren. Der Pflegeberuf scheint die Wahrnehmung der Bedeutung auch unbezahlter Care-Arbeit zu stärken.

Die knapp 400 Seiten lange Studie von Christel Kumbruck (Hochschule Osnabrück), Mechthild Rumpf (Hannover) und EvaSenghaas-Knobloch (Universität Bremen) ist mit einem Beitrag von Ute Gerhard im LIT Verlag in Münster zum Preis von 29,90 Euro erschienen.



Weitere Informationen:

Universität Bremen
Forschungszentrum Nachhaltigkeit (artec)
Prof. Dr. EvaSenghaas-Knobloch
Telefon: 0421 218-61840
E-Mail: eskprotect me ?!uni-bremenprotect me ?!.de
www.artec.uni-bremen.de