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"But what can a poor boy do?"

Mit seinem "Parlement of Foules", der englischsprachigen Theatergruppe des Fachbereichs Sprach- und Literaturwissenschaften, inszenierte Michael Claridge einen Klassiker. Shakespeares „Hamlet“, die Tragödie – laut Publikum „the best ever“. Eine Rezension von Ian Watson.

Eine mutige Entscheidung: Zum 450. Geburtstag des Barden hat Regisseur Michael Claridge dessen längstes, bekanntestes und vielleicht rätselhaftestes Stück ausgesucht. Diese Orgie von Gewalt, Schuld und Missverständnissen - nach Voltaire „ein rohes und barbarisches Stück“ - bleibt aber ein Kern des Shakespeareschen Oeuvres. Und wie erfrischend, wie elisabethanisch diese Inszenierung nach all den nackten, in Zellophan gehüllten und auf Müllhalden herumkriechenden Hamlets der letzten Zeit!

"To be or not to be"

Essenz der Foules-Truppe ist ihre kompakte kollektive Stärke; von daher mag es problematisch sein, Einzelleistungen herauszustellen. Das muss aber sein. Die Besetzung von Hamlet durch Alexandra Kind war ein Geniestreich. Sie ist nicht die erste Frau, die den Titelhelden spielt - aber sie passte genau zur Rolle. Mimisch und gestisch war sie der junge Prinz. Ihr „To be or not to be“, schon von so vielen großen Schauspielern gesprochen, erledigte sie, auf dem Thron Dänemarks sitzend, ausgezeichnet. Zentral ist das Stück im Stück, das die Foules bravourös (über)spielen. Die Welt (des Hofs) als Theater ist ein zentrales Motiv, Hamlet sel-ber war ja auch Mitglied einer Studententruppe und gibt sein Bestes nicht nur vor den Profis, sondern auch, als er die Rolle des Verrückten annimmt, was Kind brillant spielt. Auch Hamlets Dilemma spielt sie glänzend heraus: Er will nur er selber sein, ein freies Individuum, fühlt sich aber verpflichtet, seine aus den Fugen geratene feudale Heimat zu richten - „But what can a poor boy do, except to sing for a rock ‘n’ roll band“.

Claudius - mal sorgender Stiefvater, mal psychopathische Bestie

Tobias Turowski glänzt als Claudius. Er lässt den König genauso schwanken wie Hamlet - mal sorgender Stiefvater, mal psychopathische Bestie. Wenn er betet und seine Sünden gesteht, hat man fast Mitleid mit ihm. Aber gleich danach ist er wieder knallhart, rücksichtslos in seinem Versuch, Laertes als Mörder Hamlets einzuspannen. Katalina Kopka schafft den Quantensprung von Cecily in Wildes Komödie The Importance of Being Earnest 2012 zu einer vielseitigen tragischen Ophelia: verliebt, verwirrt, traumatisiert. Ihr Erscheinen nach dem Tod des Vaters ist eine schauspielerische Höchstleistung in einer Rolle, wo so viele in ein Überspielen der Verrücktheit hineingefallen wären - bedrückend und beklemmend. Inzwischen steht Franziska Ptok als tragende Säule der Gruppe. Nicht nur ihre Gertrud, zerrissen zwischen ihrer physischen Attraktion zu Claudius und ihrer Liebe zum Sohn, trug zur beklemmenden Tragik bei, sondern sie ist auch mit ihrer Engelsstimme der musikalische Stützpunkt. Und Oh, Polonius (Helena Gaubiz), hätte ich bloß genug Zeilen für diese Rezension!

Tragödie oder Komödie?

Ohne die „4. Wand“ des modernen Theaters inklusive Vorhang fiel den Foules bei der Aufgabe, vier Leichen zu entsorgen, ein genialer Schluss ein. Nachdem Osric die Waffen eingesammelt hat (Shakespeares Friedensgedanke!), werden die Toten einfach von den Lebenden an imaginären Flaschenzügen auf die Beine gezogen, und die Compagnie stimmt in ein Madrigal „Weep O mine eyes“ (übrigens aus dem Hamlet-Jahr 1599) ein, gefolgt von einer traditionellen Jig-Choreographie, bei der die Truppe den wohlverdienten Applaus genießt. Dieser fulminante Verfremdungseffekt spiegelt Claridges Absicht wider, Tragödie und Komödie zu verbinden, da sich die zwei Elemente beim Barden ergänzen und gegenseitig verschärfen.

Ian Watson war bis 2011 Hochschuldozent für anglistische Literaturwissenschaft und literarisches Schreiben im Fachbereich 10.

Frau posiert mit Totenkopf
©Aenne Pallasca - 01757063044 The Parlement of Foules presenting HAMLET, June/July 2014