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„Dem großgünstigen Leser zur Belustigung“: Neues Kalenderprojekt in der Presseforschung

Professor Holger Böning, Sprecher des Instituts für Deutsche Presseforschung, treibt an der Universität Bremen die wissenschaftliche Aufbereitung historischer Kalender voran. Bereits zum dritten Mal hat er bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft Geld für ein Projekt auf diesem Gebiet eingeworben.…

Kern des neuen Projekts ist die Suche nach den Herausgebern und Bearbeitern - schon die Zeitgenossen nannten sie "Kalendermacher" - deutscher Kalender von 1550 bis 1750. Erforscht werden ihre Lebensbeschreibungen und ihre Veröffentlichungen. In der wissenschaftlichen Fachsprache heißt das „Biobibliographie“. Dank vorausgegangener Forschungen sind bereits 550 Namen und Biographien bekannt, es sollen 700 werden. „Bislang nahm man an, die Inhalte der Kalender haben die Drucker so nebenbei zusammengestellt“, erläutert der Historiker. „Doch dazu sind viele Texte einfach zu anspruchsvoll.“ Dies lasse auf hochrangige Autoren wie Astronomen, Ärzte, Naturwissenschaftler, Philosophen oder Schriftsteller schließen.

Bibliothek des gemeinen Mannes

„Die Kalender kamen mit der Verbreitung des Buchdruckes so richtig in Mode“, sagt Böning. Sie wurden von Hausierern, von Buchbindern sowie auf Messen und Märkten vertrieben. Nahezu jeder Haushalt hatte neben der Bibel einen Kalender, aus dem auch vorgelesen wurde. Der Frühaufklärer Christian Thomasius nannte die Kalender deshalb „die Bibliothek des gemeinen Mannes“. Was drinstand? Böning zeigt ein paar der gebundenen Heftchen aus dem frühen 18. Jahrhundert. Der Kalender stellt nicht nur „Himmelslauf und vermutliche Witterung“ vor, sondern hat auch Tipps und praktische Lebenshilfe. Wann ist die günstigste Planetenkonstellation, um die Haarpracht zu kürzen? Wann sollte gebadet, wann zur Ader gelassen werden, welche Tätigkeiten auf den Feldern stehen an? Das liest sich dann in einem Exemplar vom Juni 1675 so: „Vor Hitze / ich schwitze / und schwäch die Natur / Groß Arbeit ich meyde: das brauch ich zur Chur / vermischten Wein trincke / die Ader nicht laß /Schweißbaden/ viel schlaffen / das Venusspiel haß“.

Gesammeltes Wissen

Der Kalender war außerdem das Medium für die Verbreitung des aktuellen Wissens. Maße, Gewichte, Bibelsprüche, unterhaltsame Geschichten, Termine für Märkte und Messen, politische Nachrichten und Erlasse der Obrigkeit waren darin versammelt. So erschien 1705 in Leipzig der „Poetische Türcken-Krieges- und Teutschen Sieges-Kalender“. Er lockt den Leser mit dem Versprechen, es seien „die merckwürdigsten Sachen darinnen abgebildet. Nebst historischer Erzehlung des Anno 1682 angegangenen Türcken Krieges und seine Endigung“. Und das alles für den „großgünstigen Leser zur Belustigung“.

Sensationeller Fund

In den Regalen des Instituts für Deutsche Presseforschung in der Staats- und Universitätsbibliothek findet man nur wenige der verwitterten, eselsohrigen, durch viele Hände gegangenen Kalender. Die lagern in verschiedenen Archiven. „Unser Mitarbeiter und Kalenderexperte Dr. Klaus-Dieter Herbst hat sie deutschlandweit bis in den polnischen Raum hinein abgegrast“, berichtet Böning. So sei ihm ein sensationeller Fund gelungen. Die thüringische Stadt Altenburg verwahrte in ihrem Archiv eine riesige Sammlung von Schreibkalendern mit 3.700 Exemplaren, die bis zu diesem Zeitpunkt unentdeckt geblieben sind und folglich nicht wissenschaftlich untersucht wurden. Schreibkalender deshalb, weil es Mode wurde, dem schreibkundigen Leser Raum für eigene Notizen zur Verfügung zu stellen.

Digitale Biobibliographie

Nun ist Altenburg ja als Stadt der Skatkarten bekannt, weshalb also Kalender? Offensichtlich habe der Buchbinder Joseph Brandt diese Exemplare auf Messen im nahegelegenen Leipzig erworben. Wohl weil er selbst Kalender verlegen wollte. Diese und weitere 1000 Exemplare aus dem Archiv der polnischen Stadt Krakau sind ein Grundstock für die aktuelle Forschung, die noch weiter zurückgreifen  und auch die Erzeugnisse der frühen Neuzeit, Mitte des 16. Jahrhunderts, in den Blick nehmen wird. Vor Professor Böning und seinen Mitarbeitern liegt wieder eine spannende Aufgabe. Zum Schluss soll die Bibibliographie sowohl digital als auch in Buchform veröffentlicht werden.

www.presseforschung.uni-bremen.de/Tagungsbericht_Altenburg.pdf
zs.thulb.uni-jena.de/content/main/calendarList.xml#A

 

Professor Holger Böning vom Institut für Deutsche Presseforschung hat bereits zum dritten Mal erfolgreich DFG-Mittel für ein Kalenderprojekt eingeworben.
In diesem Kalender werden Vorhersagen getroffen, zum Beispiel wie 1606 die Planeten Potenz und Impotenz beeinflussen.