Die Universität schätze sich glücklich, den Religionssoziologen, der derzeit „global als Vortragender unterwegs ist“ zu Gast zu haben, sagte Professorin Yasemin Karakaşoğlu zur Begrüßung. Die Vortrags- und Diskussionsveranstaltung war der Beitrag der Uni im Aktionsbündnis „Bremen tut was“.
Auf der Suche nach einer Heimat
„Was ist schiefgelaufen, wenn junge Menschen, die in Europa geboren und aufgewachsen sind, sich radikalisieren? Was ist ihnen gemeinsam?“, fragte Khorchide rhetorisch und gab eine verblüffende Antwort. Das sei nicht ihre sozial prekäre Lage. Gemeinsam sei ihnen der Wunsch nach einer Heimat in Deutschland und Europa. Während die erste Generation der Zuwanderer vor allem mit positiven Erwartungen an ihre wirtschaftliche Situation gekommen sei, wollen die Jungen hier als selbstverständlich angenommen werden. Ein Geflecht aus Faktoren wie Frustration, Nicht-Anerkennung und das Gefühl von Erniedrigtsein zwinge sie in Randpositionen. „Der Islam ist mitten unter uns zum ewigen Rechtfertigungsdiskurs gezwungen“, richtete er sich an seine Zuhörerschaft. Themen wie Moschee, Minarett, Kopftuch und Beschneidung würden laufend diskutiert und ließen Muslime eine „Diskriminierung zwischen den Zeilen“ erleben.
Neu statt fremd
„In der Theorie sind wir hier in Deutschland eine plurale Gesellschaft, in der Praxis haben wir noch viel Arbeit vor uns“, mahnte er. Es gehörte zur raffinierten Dramaturgie des Vortrags, dass keiner aus dieser Verantwortung herausgelassen wurde. Eindringlich forderte Khorchide von seiner Zuhörerschaft einen „Perspektivwechsel“ ein. „Neu statt fremd“, so soll der Weg zu einem neuen „Wir“ führen. Verbindende Werte müssten ausgehandelt werden, alle Gruppen müssten beteiligt werden. Die Herausforderungen der Leistungsgesellschaft sind kritisch zu hinterfragen.
Fehler bei sich suchen
Anhand von Beispielen illustrierte der Religionspädagoge seinen Ansatz, mündend in die Quintessenz: „Immer selbstkritisch bleiben, Fehler erst bei sich selbst suchen, dann bei anderen.“ Bei näherer Untersuchung wüsste nämlich auch keiner so genau, was die christlich-abendländische Leitkultur denn eigentlich sei. Und auch Muslime müssten Themen in der islamischen Religion dringend neu reflektieren und den Mut haben, Positionen, die nicht mehr in die heutige Zeit passen, aufzugeben.
Sachlich-respektvolle Diskussion
Professor Mouhanad Khorchide ist es an diesem Abend gelungen, deutlich zu machen, dass er gegen jegliche Konfrontation ist. „Fronten dürfen nicht entstehen, die Veränderung der Gesellschaft müssen wir als Prozess sehen, und Religionen sind nicht statisch.“ Stattdessen sollten wir immer fragen „Wo ist der Mensch und was verbindet uns?“ Eine sachlich-respektvolle Diskussion schloss sich an. Insgesamt war es ein Abend, der viel Stoff zum Nachdenken gab.
Den Einführungsvortrag von Professorin Yasemin Karakaşoğlu können Sie als PDF-Dokument herunterladen.