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Linguistin Christel Stolz: „Saterfriesisch für die Nachwelt sichern“

Nicht nur Pflanzen und Tiere sterben aus – auch Sprachen sind akut gefährdet. Von rund 6.000 weltweit gesprochenen Sprachen sind 1.800 vom Aussterben bedroht. Am „Internationalen Tag der Muttersprache“ warnte die Gesellschaft für bedrohte Völker jetzt unter anderem auch vor dem Aussterben von…

Frau Stolz, was ist denn Saterfriesisch – und wo wird es gesprochen?

Im Saterland. So heißt auch die Gemeinde 40 km westlich von Oldenburg, die aus den Ortsteilen Scharrel, Strücklingen, Ramsloh und Sedelsberg gebildet wird. Das Saterland gilt als „kleinste Sprachinsel Europas“. Die saterfriesische Sprache ist der letzte Rest des sonst ausgestorbenen Ostfriesischen. Es erhielt sich, weil die vier Orte über Jahrhunderte nur auf dem Wasserweg zu erreichen waren – denn sie waren von Mooren umschlossen, die man höchstens im Winter zu Fuß über das Eis erreichen konnte.

Und was hat die Linguistik der Universität Bremen mit dem Saterfriesischen zu tun?

Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftler der Uni haben in einem schon länger zurückliegenden Projekt gemeinsam mit einigen unserer Linguistik-Studierenden daran mitgearbeitet, diese aussterbende Sprache für die Nachwelt zu sichern und Lehrmaterialien zu entwickeln. Denn es ist tatsächlich so, dass diese Sprache langsam verschwindet. Sie wird nur noch in einigen Familien gesprochen, und dort in der Regel nur von den Älteren. Man hat versäumt, diese Sprache an die Kinder weiterzugeben – oder die haben sich geweigert, sie zu lernen. Um dem entgegenzuwirken, hat man vor Jahren begonnen, die Sprache wissenschaftlich zu erforschen und den Sprachschatz für die Nachwelt zu sichern.

Was haben Sie und Ihre Studierenden da konkret gemacht?

Wir haben aktiv mitgeholfen, die Sprache aufzuzeichnen und Lehrmaterialien zu entwickeln. Das bedeutete viel Grundlagenarbeit, denn Saterfriesisch war immer eine gesprochene Sprache – aber nicht eine geschriebene. Deshalb sind saterfriesische Wörterbücher und Schriften bislang eher selten. Und „moderne“ Wörter gibt es gar nicht. Die Studierenden haben mit Saterfriesisch-Muttersprachlern praktisch gearbeitet: Vorbereitete Texte wurden von diesen vorgelesen und dabei als Audiodateien aufgezeichnet. Außerdem haben zwei Studentinnen beim Text-Layout und bei der Bearbeitung der Audiodateien mitgeholfen. Dank unserer Arbeit und den Bemühungen des dortigen Heimatvereins ist schließlich der saterfriesische Sprachkurs „Seeltersk bale“ entstanden, erschienen im Sambucus Verlag.  Ziel unserer Arbeit ist weiterhin langfristig, diese Sprache ordentlich und nach internationalen wissenschaftlichen Maßstäben zu dokumentieren.

Haben Sie auch heute noch einen Bezug zum Saterland und zum Saterfriesischen?

Ja. Zum einen habe ich in einer mehr sozialwissenschaftlich angelegten Arbeit erforscht, inwiefern das Saterfriesische für die Menschen von dort identitätsstiftend ist, auch wenn die Sprache langsam verschwindet. Das ist durchaus der Fall: Viele Menschen stemmen sich dagegen, dass die saterfriesische Identität untergeht. Allerdings wird diese Identität nicht mehr so stark von der Sprache gestützt, wenn immer weniger Saterfriesisch gesprochen wird. Überraschenderweise versuchen vor allem viele Frauen im Moment, sich eine saterfriesische Identität auf anderer Grundlage als der Sprachbeherrschung zu erarbeiten. Sie reagieren damit folgerichtig auf den fortschreitenden Sprachwechsel hin zum Hochdeutschen. Und selbst wenn es vielleicht ein Kampf gegen die Zeit ist: Es gibt dort immer noch Menschen, die auch die Sprache retten wollen. Zum Beispiel werden bald einsprachige Kindergartengruppen eingerichtet, in denen nur Saterfriesisch gesprochen wird. Wahrscheinlich werde ich auch dieses Vorhaben dann wieder wissenschaftlich begleiten.

 

Interessante Presseberichte über das Saterfriesische:

www.youtube.com/watch?v=AFNlZecza_k
www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/aussterbende-sprachen-sprechen-sie-saterfriesisch-a-479843.html

 

Linguistin Christel Stolz (ganz links) mit den Studentinnen des „Strukturkurs Saterfriesisch“ im saterländischen Scharrel. Aus der Arbeit der Gruppe entstand unter anderem der Sprachkurs Saterfriesisch.
Die Bremer Studentin Sofia Tamahsebi (links) mit zwei „Ur-Saterländern“ beim Aufzeichnen von Audiodateien, mit denen die aussterbende Sprache für die Nachwelt gesichert wird.
Auch das gibt es: das Kinderbuch „Der kleine Häwelmann“ als hochdeutsch-saterfriesische Ausgabe.